Читать книгу Genesis V - Alfred Broi - Страница 5
II
ОглавлениеSie hatten die östlichen Ausläufer der boritaischen Schluchten erreicht und der parulische Ozean breitete sich vor ihnen aus.
Noch immer flog die Amarula hinter ihnen her, doch jetzt bog sie nach Norden ab und führte nach einer sanften Schleife das Eintauchmanöver aus, um hiernach mit Höchstgeschwindigkeit nach Poremien zu fliegen.
Alle Anwesenden im Cockpit blickten ihnen stumm nach und wünschten ihnen jeder auf seine eigene Weise Glück und gutes Gelingen für ihre Mission, genauso, wie es umgekehrt auch der Fall war. In ihren Gesichtern zeigte sich Trauer, Wehmut, aber auch Hoffnung und Entschlossenheit.
Wenn sie sich wirklich wiedersehen würden, bestand immerhin die Chance, dass sie eine Möglichkeit gefunden hatten, diesen Krieg zu beenden und den Planeten vor dem Exitus zu bewahren.
Welcher Weg bis dorthin vor ihnen liegen und welche Schwierigkeiten er mit sich bringen würde, konnte niemand sagen, doch allen war klar, dass sie keine andere Wahl hatten, als es zu versuchen.
Cosco lenkte die Kitaja Richtung Süden und leitete seinerseits das Tauchmanöver ein.
Dabei schaute er mehr zufällig neben sich und konnte in Mavis Gesicht einige Skepsis erkennen. „Es ist besser, wenn wir uns trennen!“ meinte Cosco und wartete, bis der Commander ihn ansah. „Für den Fall, dass unser Ablenkungsmanöver nicht gänzlich funktioniert hat!“
Mavis schaute dem Captain einen langen Moment ausdruckslos in die Augen, dann nickte er langsam. „Sie haben Recht!“
Cosco nickte nun ebenfalls. „Ich denke, wir sollten der Küste bis nach Madori folgen und dann nach Westen abdrehen!“
Mavis schob seine Unterlippe nach vorn, als würde er diesen Vorschlag abwägen.
„Die Sandwüsten dort waren von jeher nur spärlich bewohnt!“ fügte Cosco weiter aus. „Dort gibt es nichts, was sich zu holen lohnen würde. Wenn wir dort ins galpagische Meer übersetzen, werden wir sicherlich die geringste Aufmerksamkeit auf uns ziehen!“
Wieder nickte Mavis nach einem stillen Moment. „Machen sie es so!“ Er klopfte Cosco auf die Schulter, dann wandte er sich ab. Vilo befand sich im hinteren Bereich des Cockpits und sprach mit Captain Tibak. Auch Pater Matu stand bei ihnen. „Wir fliegen nach Süden!“ meinte er, als er sie erreicht hatte. Die drei Männer wandten sich zu ihm um und schauten ihn in einer Mischung aus Neugierde und Irritation an. „Wir werden die Sandwüsten von Madori überfliegen und dann direkten Westkurs einschlagen!“
„Sollten wir nicht lieber...?“ hob Vilo an.
Doch Mavis schüttelte den Kopf. „Wir wissen nicht, ob unser Ablenkungsmanöver wirklich funktioniert hat. Und selbst wenn, würden wir auf der Nordroute nichts gewinnen. Wir haben unterschiedliche Ziele, müssten uns ohnehin früher oder später voneinander trennen. Und im Süden haben wir deutlich weniger Feindpräsenz zu erwarten!“
Tibak nickte. „Die Sandwüsten sind teilweise echt ein Glutofen, in dem nichts wachsen und niemand leben kann. Ich war damals froh, als unser Manöver dort zu Ende war!“ Er schaute Mavis direkt an und nickte nochmals. „Der Süden ist eine gute Wahl!“
„Alles klar!“ Mavis wirkte zufrieden. „Dann sollten wir jetzt alle versuchen, ein wenig Ruhe zu finden. Wir werden wieder früh genug Stress bekommen, stimmt´s?“ Er blickte Matu an.
Der Pater nickte. „Sicher!“
„Würdest du Cosco in ein paar Stunden ablösen?“
Vilo nickte. „Natürlich!“
Mavis war wieder zufrieden. „Okay! Ich übernehme die erste Schicht als Copilot!“
„Aber du kannst doch gar nicht fliegen!“ rief Vilo.
Mavis verzog die Mundwinkel. „Nein! Aber ich kann alles andere machen und dem Captain Gesellschaft leisten. Im Ernstfall musst du ihn natürlich unterstützen!“
Vilo nickte. „Ich verstehe!“
„Ich kann bei ihm bleiben!“ meinte Matu mit einem Male.
Die anderen schauten ihn mit großen Augen an.
„Erinnern sie sich! Ich war nicht immer Priester!“
„Richtig!“ Mavis nickte. „Vor dem Glauben stand der Kampf!“
Jetzt verzog Matu die Mundwinkel. „Na jedenfalls ist mir das alles nicht unbekannt und ich kann ihren Dienst.…!“ Er schaute Mavis direkt an. „...mindestens genauso gut erledigen!“
Mavis erwiderte seinen Blick einen Moment lang, dann nickte er. „Wenn sie darauf bestehen, bitte schön! Ich könnte jetzt ohnehin erst mal eine frische Unterhose vertragen!“ Er deutete auf seine vom Meerwasser noch immer feuchte Kleidung, klopfte dem Pater leicht auf die Schulter und verließ dann das Cockpit.
Vilo und Tibak folgten ihm mit einem Lächeln.
Der Laderaum der Kitaja schien Mavis im ersten Moment überraschend klein zu sein, doch dann fiel ihm ein, dass das vorderste Schott geschlossen war, sodass nur ein gutes Drittel des gesamten Raums zu sehen war.
Alle weiteren Insassen des Bootes waren hier versammelt. Captain Tibak nickte Mavis und Vilo zu, dann ging er zu den beiden Männern seines Trupps, die im hinteren, rechten Teil zusammenhockten. Als sie ihn sahen, spannten sie ihre Körper an und hörten neugierig und aufmerksam auf das, was ihnen ihr Truppführer zu sagen hatte. Am Ende quittierten sie seine Worte mit einem zustimmenden Nicken und entspannten sich wieder.
Auf der anderen Seite des Raumes konnte Mavis Kaleena, Jovis und Leira erkennen. Der Junge war aufgeregt und ungeduldig, Kaleena hatte Mühe, ihn mit Erklärungen ruhig zu halten. Leira, dem bärenartigen Monster mit dem goldenen Herzen, sah man an, dass sie sich im Inneren eines Flugbootes noch immer nicht wirklich wohlfühlte. Ihr Blick zeigte Anspannung und Unbehagen, ihr Körper war steifer, als er es sein musste.
Während Mavis ein sanftes Lächeln bei ihren Anblicken über die Lippen huschte, sah er, wie Vilo an ihm vorbei zu ihnen ging. Er ließ seinen Blick einen Moment auf seinem Freund ruhen, doch schon kamen die Gedanken an seinen Verrat zurück und sein Lächeln verschwand wieder. Stattdessen musste er einmal verärgert brummen, aber es gelang ihm, es in ein lautes Räuspern umzuwandeln, mit dem er Vilo folgte.
„Nach Süden?“ Kaleena sah erst ihren Mann, dann Mavis überrascht an. Doch schon einen Augenblick später nickte sie und ihr Blick wurde zustimmend. „Okay! Klingt plausibel! Hauptsache schnell nach Tibun!“
„Sicher!“ erwiderte Mavis, in dem sich immer stärker der Wunsch nach frischen Kleidern und Einsamkeit breitmachte. „Aber wir werden dennoch einige Stunden dazu brauchen. Also entspannt euch und macht es euch bequem. Vielleicht könnt ihr ja was Essbares auftreiben? Das würde uns sicher allen guttun!“ Er lächelte Kaleena an, die seine Geste sanft erwiderte, dann wandte er sich ab.
„Wo willst du hin?“
Mavis Gesichtszüge waren, nachdem er sich von Kaleena und den anderen weggedreht hatte, sofort wieder ernst geworden. Als er ihre Frage hörte, atmete er einmal kaum hörbar tief durch und schloss seine Augen. Er hatte gehofft, er könne jetzt in eine der Kabinen entschwinden und dort allein sein, aber natürlich wollte seine Freundin noch eine kurze Erklärung haben. Nichts, was schlimm war, nichts, was ihm Probleme bereiten sollte, doch Mavis spürte in seinem Inneren ganz genau, wie sich der Schmerz und die Sehnsucht, die er in sich trug, erneut zu einer Welle auftürmten, die ihn, wie schon so oft, überrollen würde und er absolut hilflos dagegen war. Doch er wollte nicht, dass irgendjemand – nicht einmal seine engsten Freunde – dabei anwesend waren und es miterleben mussten.
Deshalb spannte er seinen gesamten Körper an, als er sich umdrehte und dabei wieder ein Lächeln auf den Lippen hatte. „Ich brauche frische Klamotten!“ Er deutete auf seine feuchten Kleider. „Und dann eine Mütze voll Schlaf. Hier ist noch früh genug wieder Halligalli!“ Er grinste breit, aber freudlos. Kaleena nickte mit einem Lächeln. Mavis wollte sich schon wieder abwenden, als er sich doch noch einmal umdrehte und Vilo anschaute. „Du solltest deine Klamotten übrigens auch wechseln!“ Sein Freund nickte, denn natürlich waren auch seine Kleider von den Geschehnissen in Kos Korros in Mitleidenschaft gezogen worden. „Die sind nämlich nicht nur nass vom Meerwasser!“
„Sondern?“ rief Vilo überrascht.
Doch Mavis antwortete nichts darauf, sondern grinste ihn nur abschätzig an und schnaufte dabei durch die Nase. Dann drehte er sich um und zwinkerte Kaleena zu, die ebenfalls breit grinste.
Während Vilo verstand, was Mavis meinte und ihm sofort einen entrüsteten Spruch nachwerfen wollte, stellte sich seine Frau zwischen sie und umarmte ihn liebevoll, sodass er still blieb.
Mavis spürte natürlich, dass Vilo verärgert war und so blieb sein Lächeln noch einen Augenblick länger auf seinen Lippen. Bis zu dem Moment, da er zufällig in die Runde schaute und dabei Captain Tibak erkannte. Der Kimuri stand noch immer in der Runde seiner Männer, die sich leise, aber angeregt unterhielten, doch war sein Blick direkt auf ihn gerichtet. In seinen Augen sah Mavis keine Freude, sondern mitfühlende Erkenntnis.
Blitzartig schoss es Mavis in den Kopf, dass der Captain der Einzige war, der ihn schon einmal in seiner erbärmlichen Verfassung gesehen hatte. Mavis hatte ihn gebeten, es für sich zu behalten und natürlich hatte der Captain niemanden etwas davon erzählt. Dennoch aber konnte Mavis jetzt deutlich erkennen, dass Tibak wusste, was er vorhatte. Sogleich verschwand sein Lächeln, wich im ersten Moment einer abwertenden, harten Maske, dann aber mischten sich Scham und Unbehagen hinzu, bevor er seinen Blick abwenden musste und er tieftraurig wurde.
Mit forschen Schritten ging er zu einer der Schlafkabinen des Schiffes und schloss die Tür hinter sich, während – jedoch unsichtbar für ihn – Kaleenas Blick auf ihn gerichtet war, die ihm in einer Mischung aus Irritation und Besorgnis nachschaute, weil sie das untrügliche Gefühl hatte, dass irgendetwas mit Mavis nicht so war, wie es sein sollte.
Während er den Türknopf mit der linken Hand noch fest umschlossen hielt, drückte er seinen Rücken kräftig gegen die Tür, als erwartete er, dass Jemand ihm folgen würde und er verhindern musste, dass diese Person hierher eindringen konnte.
Für einen Moment blieb er so beinahe unbeweglich stehen und schien zu lauschen. Doch das war ein Irrglaube, denn im Wesentlichen war er bemüht, seine Fassung zu bewahren, da die Flut an schmerzhaften Gefühlen, die er draußen noch versucht hatte, zurückzuhalten, in der Sekunde, in der er die Tür geschlossen hatte, gewohnt machtvoll und schonungslos über ihm zusammenbrach und an seinen Grundfesten rüttelte.
Seine Augen geschlossen, zuckten seine Lider hin und her, sein Atem ging unregelmäßig und ein leises Stöhnen entfuhr seiner Kehle. Im nächsten Moment musste er nach Luft schnappen und dabei zitterten seine Lippen unter schweren emotionalen Schüben. Er schniefte durch die Nase, während er die Lider jetzt fest zusammenkniff, um zu verhindern, dass die ersten Tränen hinaustraten. Dabei wurde sein Stöhnen jedoch lauter und weil er befürchtete, dass ihn Jemand hören konnte, riss er am Ende doch seine Augen und seinen Mund auf, um den inneren Druck abzuschwächen. Das gelang ihm auch, wenngleich er sofort spürte, wie die ersten Tränen an seinen Wangen hinabrannen.
Nur einen Moment später wurden seine Knie weich und er sank an der Tür entlang zu Boden, wo er mit angewinkelten Beinen zum Sitzen kam. Sein Oberkörper driftete nach vorn und er benutzte seine Arme, um seinen Kopf zu stützen und seine Hände, um sein Gesicht zu verbergen, als wolle er nicht, dass Jemand seine Tränen sehen konnte.
Er verharrte einen langen Moment in dieser Position und nur ein leises Wimmern und Schluchzen war von Zeit zu Zeit zu hören.
Dann richtete er seinen Oberkörper wieder auf und seine rechte Hand griff instinktiv in die innere Brusttasche seines Overalls. Einen Augenblick später kehrte sie mit einem Bild in den Fingern zurück. Mavis stütze seine Unterarme auf die Knie und nahm es sehr vorsichtig und beinahe andächtig in beide Hände. Das Bild war eine Fotografie und sie zeigte – natürlich – Melia. Mit breitem, fröhlichem Lächeln, funkelnden Augen und der strahlenden Aura einer wunderschönen Frau. In all den Jahren war es halb zerschlissen, wies Knicke auf, war hier und da schon ausgeblichen und doch war es der mit Abstand wertvollste Besitz, den Mavis besaß. Seine optische Erinnerung an die wunderbarste Frau, die er je kennenlernen, die er je lieben lernen durfte. So sehr, dass es für ihn keinerlei Zweifel darangab, dass er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen wollte. Doch er war ein Narr gewesen, dass er je geglaubt hatte, auch Melia wäre dazu bereit. War sie für ihn auch das Beste, was ihm je passiert war, so musste das für sie selbst noch lange nicht gegolten haben. Geplant als Heiratsantrag vor beinahe der gesamten poremischen Bevölkerung, wurde sein Vorhaben zur absoluten Katastrophe, als quasi im selben Moment, da sie ihm ihr Nein auf seine alles entscheidende Frage vor die Füße schmetterte, der Himmel über ihnen allen aufbrach und die Hölle ausspie.
Während die Welt um sie herum in einem Feuersturm zu vergehen schien, verloren sie einander aus den Augen.
Als Mavis wiedererwachte, war Melia nicht mehr bei ihm. Obwohl das widerlichste Schlachtfeld, das man sich nur ausmalen konnte, nicht die leiseste Hoffnung auf eine andere Wahrheit zuließ, konnte und wollte Mavis nicht akzeptieren, was so offensichtlich war: Melia war in der ersten, vernichtenden Angriffswelle der Fremden getötet worden!
Nein, niemals! Das war der erste Gedanke, den er formulieren konnte, weil er tief in seinem Inneren doch noch so deutlich spürte, dass es nicht so war, sie sich nur aus den Augen verloren hatten, Melia lebte, sich nur verirrt hatte und sie sich wiedersehen würden, eines Tages, wenn dieser furchtbare Krieg vorüber war.
Doch nichts davon geschah. Melia blieb verschollen und Mavis hatte immer mehr Zweifel, dass sein Gefühl, dass sie noch lebte, wirklich vorhanden war, bis er sich schließlich selbst eingestehen musste, dass es nur die eigene Unfähigkeit war, die Wahrheit zu akzeptieren.
Seine schlimmen Verletzungen, die er sich bei dem Angriff der Fremden auf Kos Korros zugezogen hatte und die letztlich aus ihm einen Mann mit vollkommen anderem Gesicht gemacht hatten, den er selbst noch immer nur allzu oft als Fremden ansah, waren für ihn weitere Zeichen dafür, dass es für ihn keine Zukunft mehr geben würde.
Und doch gab es etwas, dass sich nicht überzeugen, sich nicht bekehren ließ, die Hoffnung niemals aufgab – und das war sein Herz.
Egal, wie oft er sich selbst sagte, dass Melia tot sei, egal, wie oft er sich selbst einen Narren schalt, dass er noch immer an sie dachte, egal, wie oft er versuchte, nicht an sie zu denken – sein Herz schlug noch immer mit einer so unendlichen Wucht, einer so übermäßigen Kraft und einem so wundervollen Rhythmus für sie, als würde es die grausamen Jahre des Krieges überhaupt nicht geben.
Liebe, Wärme, Hoffnung wogten durch seinen Körper und das alles mit einer so schmerzhaften Sehnsucht nach diesem wundervollsten aller Menschen, dass ihm regelmäßig alle Dämme brachen und er hemmungslos weinen musste.
So viele Jahre des Krieges hatte er überlebt, so viele Schlachten gefochten, so viele Male dem Tod ins Auge geblickt und ihm Paroli geboten, wusste Mavis doch, dass er hier einen Kampf führte, den er niemals mehr gewinnen konnte, weil er ihn schon vor so langer Zeit verloren hatte.
Sein Verstand wusste dies, doch sein Herz dachte gar nicht daran, dass zu akzeptieren und malträtierte seine Seele immer und immer wieder.
Und in jenen qualvollen Momenten wie diesem, wo er nur noch ein Schatten seiner selbst war, durchlebte er seine eigene, private Hölle, bis er schließlich – so wie jetzt – kraftlos einschlief, während er noch immer Melias Gesicht vor Augen hatte und die Liebe zu ihr spüren konnte.
Ja, es war ein beinahe grausames Ritual, das mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit über ihn kam – und doch konnte Mavis es nicht nur verdammen, denn wenn er wiedererwachte, spürte er nur noch das wärmende Gefühl der Liebe in sich und eine Zuversicht, die er nicht greifen konnte, die ihn aber für eine gewisse Zeit stärker, schneller und besser machte.
Mavis hoffte, dass es auch dieses Mal so sein mochte, dann sank er endgültig in das Reich der Träume.