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Der Islam kommt ans Horn von Afrika
ОглавлениеEine neue, große Gefahr sowohl für Byzanz als auch für das Sassanidenreich, das bald sein Ende finden wird, kommt auf: Der Islam. Anfang des 7. Jahrhunderts AD trat in Mekka, einem Karawanenhandelsplatz auf der arabischen Halbinsel, ein Mann auf, der zur Rückkehr zur (Ur-)Religion des Abraham aufrief. Es ist die Geburtsstunde des Islam. Der ›Mahner‹ ist Muhammad,38 der Stifter der neuen Religion und das ›Siegel der Propheten‹, geboren um 570.
622 AD zog Muhammad nach anfänglichen Schwierigkeiten in seiner Vaterstadt mit seinen Anhängern in die Oase Yathrib, die damit zur ›Stadt (des Propheten)‹ wurde – Madina(t al-Nabi); dies ist der Beginn des islamischen Urstaates.39
In Mekka kannte man längst Menschen von der Westküste des Roten Meeres, viele waren durch den lebhaften Sklavenhandel ins Land gekommen: Muhammad, der Prophet, hatte schon früh Kontakt zu Afrikanern und ernennt einen ›Äthiopier‹, Bilal, zum ersten Muezzin des Islam.
Schon in den frühen Jahren des Islam, noch in der mekkanischen Zeit, kam es zu ersten Kontakten mit dem Horn von Afrika und den dortigen Christen. Als sich die frühislamische Gemeinde zunehmendem Druck seitens der ›Heiden‹ ausgesetzt sah, schickte Muhammad 615 AD in einer ›ersten Hidschra‹ eine Gruppe dieser frühen Muslime, zu denen auch der spätere Kalif Uthman sowie eine der Frauen des Propheten gehörten, ins aksumitische Reich, wo sie offenbar gut aufgenommen wurden. Möglicherweise aus Aksum kam eine Gruppe von Christen, die Muhammad um 620 in Mekka besuchte und von dem, was sie hörten, so beeindruckt gewesen sein soll, dass sie sich dem Propheten anschloss. Auch an den militärischen Auseinandersetzungen des frühislamischen Staates mit dem ›heidnischen‹ Mekka scheinen Menschen vom Horn von Afrika auf seiten des Propheten teilgenommen zu haben. So standen die ersten Kontakte des Islam mit den ›Habascha‹ unter einem günstigen Omen, das sich ausdrückt in dem Prophetenwort ›Lasst die Habascha in Ruhe, solange sie euch in Ruhe lassen‹.
Zu intensiven Auseinandersetzungen zwischen dem entstehenden islamischen Staat, der in den letzten Lebensjahren des Propheten praktisch schon die gesamte arabische Halbinsel umfasste, und dem christlichen Aksum kam es in der Tat nicht und die islamisch-arabische Expansion, die bald nach dem Tod des Propheten (632 AD) einsetzte, hatte eine andere Stossrichtung, konzentrierte sich auf das byzantinische und dass sassanidische Reich, richtete sich mehr nach Norden und nicht gegen das Horn von Afrika, das zunächst eher im Windschatten der islamischen Interessen lag. Dennoch war die Expansion des Islam und die Entstehung eines islamischen Imperiums auch mit mittelbaren und unmittelbaren Konsequenzen für das Horn von Afrika verbunden.
Durch den Siegeszug des Islam verändert sich die politische Landschaft im Nahen Osten und auch im Nordwesten des Indischen Ozeans grundlegend.40 Das sassanidische (Perser-)Reich ging 651 AD unter, das Byzantinische Reich verschwand völlig aus dem Roten Meer und verlor seine Positionen am Südufer des Mittelmeeres, wo sich überall die Herrschaft der Kalifen, später auch lokaler islamischer Machthaber und Dynastien, ausdehnte. Damit befand sich Aksum in einer völlig neuen Situation – die strategische und wirtschaftliche Allianz mit Byzanz, die den aksumitischen Handel im Indischen Ozean und im Roten Meer begünstigte, existiert nicht mehr. Byzanz war damals im Ostmittelmeer damit beschäftigt, sein Überleben zu sichern. Der Islam als die neue dynamische Macht, die bald zur Weltmacht wird, entwickelte sich zum beherrschenden Faktor und bildete eigene interkontinentale Handelsnetze. Das Christentum geriet in die Defensive, verlor im gesamten Mittelmeerraum an Terrain. Das Rote Meer wird zum ›islamischen See‹.
Nach einem Überfall auf Jiddah, der 70241 von der eritreischen Küste ausging (Piraten?), nahmen die Muslime die Dahlak-Inseln vor Massawa ein und hatten somit schon früh einen Vorposten am Horn von Afrika, der später ein unabhängiges Sultanat, zeitweise unter Einschluss von Massawa auf dem Festland, wurde. Unliebsame Personen und politische Gefangene sollen auf die Dahlak-Inseln verbracht worden sein, die aus Sicht der Kalifen in Damaskus oder (ab 750) Baghdad wohl weit genug entfernt von den Zentren der islamischen Welt und somit als Verbannungsort geeignet waren. Jedenfalls ist der Islam damit auch machtpolitisch am Horn von Afrika präsent, wenn auch eine regelrechte ›Eroberung‹ des christlichen Aksum nie versucht wurde. Der erste christlich Staat Afrikas wurde nicht, wie viele andere bereits christianisierte Länder des Nahen Ostens und der Mittelmeerwelt (bis hin zum Westgotenstaat auf der iberischen Halbinsel) von der arabisch-islamischen Eroberungswelle überrollt und hinweggefegt; sein Rückzug von der Küste mag ihn davor bewahrt haben oder auch die guten Beziehungen, die von Anfang an mit der islamischen Urgemeinde bestanden hatten.
Doch mit der islamischen Expansion des 7. und 8. Jahrhunderts begann auch der Abstieg von Aksum, das sich mehr und mehr ins Landesinnere zurückzog und den Fernhandel zunehmend den neuen Herren der Meere, den Muslimen, überlassen musste,42 die jetzt fast alle Küsten der Region kontrollierten. Handelsstraßen und -verbindungen sowie strategische Schnittstellen zwischen den Kontinenten (etwa die Übergänge zwischen Rotem Meer und Mittelmeer sowie dessen Südufer, das Zweistromland, der Persische Golf mit Hormuz und das Bab al-Mandeb43 am Südausgang des Roten Meeres) sind jetzt definitiv für Jahrhunderte in islamischer Hand.
Es gab jetzt untrügliche konkrete Anzeichen für den Niedergang von Aksum: Die Münzprägung wurde im 7. Jahrhundert eingestellt, ein sicheres Anzeichen dafür, dass Aksum nicht mehr so stark am Fernhandel beteiligt war aufgrund des Aufstiegs des Islam, denn Münzen wurden vorwiegend im Fernhandel verwendet. Auf lokaler und regionaler Ebene gab es Tauschhandel;44 verwendet wurden auch Ersatzwährungen wie Salz – die Salzbarren wurden ›Amole‹45 genannt – und Eisenstücke.
Aksum verlor seine Rolle als Reichshauptstadt – auch in den folgenden Jahrhunderten wird das christliche Reich, das dann entstand und das wir später ›Äthiopien‹ nennen, meist keine permanente ›Hauptstadt‹ mehr haben.
Im 7. oder 8. Jahrhundert ging auch die Bedeutung von Adulis zurück, der Aufstieg von Massawa, heute noch wichtigster Hafen an der eritreischen Küste, begann zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert im Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung des Islam. Ausdruck der Krise ist auch der starke Rückgang der Zahl von Inschriften in den letzten Jahrhunderten der aksumitischen Epoche.
Der endgültige Untergang Aksums liegt im Dunkel. Eine Herrscherin aus dem Süden namens Judith/Gudit oder Esato46 soll Aksum im 10. Jahrhundert angegriffen, zahlreiche Kirchen zerstört und den (letzten?) König von Aksum getötet haben. Immer wieder wurde behauptet, es habe sich um eine ›jüdische‹ Königin gehandelt – dies gehört jedoch ins Reich der Legende. Sicher ist, dass Aksum um das Jahr 1000 stark reduziert und geschwächt und nicht lange darauf völlig verschwunden war. Die spätaksumitische Phase ist gekennzeichnet von der Entstehung neuer Staaten im orbis aethiopicus. Das 10. Jahrhundert sieht den Aufstieg des Staates Damot suedlich des Abbay-Flusses und des Tana-Sees in Schewa, der Zentralregion des heutigen Staates Äthiopien, in der auch die aktuelle Hauptstadt Addis Abeba liegt. In welchem Zusammenhang die genannte Königin Judith und ihr Reich möglicherweise mit Damot standen, ist ungklärt; möglicherweise war sie eine Herrscherin des kuschitischen Damot-Staates, die der Hegemonie des semitischen Aksum ein Ende setzte. Damot blieb für längere Zeit der dominierende Staat auf der Hochebene von Schewa.
Nach und nach kamen zahlreiche Muslime ans Horn von Afrika, als Kaufleute oder als Religionsgelehrte, die den Islam verbreiteten und vorlebten. Die Anziehungskraft der neuen Religion ist vor allem da, wo das Christentum noch nicht verbreitet ist, groß. Nach und nach werden weite Regionen islamisiert, der Islam dringt bis in die Gebiete südlich des christlichen Reiches vor.47
Auch islamische48 Machtbereiche bildeten sich wahrscheinlich schon in der aksumitischen Endphase: Mogadischu (heute somalische Hauptstadt) wurde wohl seit dem 8. Jahrhundert von Muslimen besiedelt und war auch am Hof des Kalifen in Baghdad als Teil der islamischen Umma bekannt, wenn es seine Blüte auch erst im Hochmittelalter erleben wird.
Zayla wird ebenfalls in arabischen Quellen genannt, als Handelshafen hervorgehoben, aber als abhängig vom christlichen Äthiopien beschrieben; später allerdings wird es wesentliche Komponente einer islamischen Föderation. Möglicherweise schon Ende des 9. Jahrhunderts entstand ein islamischer Staat in Schewa (im Osten der heutigen gleichnamigen Region gelegen). Es ist ein Anzeichen für das dynamische Vordringen des Islam nach Süden, wenn auch die Quellenlage
Abb. 4: Mittelalterliche Moschee von Harar.
sehr dürftig und es ›verdächtig‹ ist, dass 896 sowohl als Gründungsjahr für das Sultanat Schewa als auch für das Emirat Harar genannt wird,49 das erst im Laufe späterer Jahrhunderte ins Licht der Geschichte treten wird. Im 11. Jahrhundert erst wird das Sultanat Schewa historisch deutlicher fassbar. Wohl ins 13. Jahrhundert fällt die Gründung der islamischen Stadt Harar, eines der ältesten und wichtigsten Zentren des Islam am Horn von Afrika, das später zum Mittelpunkt eines machtvollen Staates wurde, der große Teile auch der christlichen Regionen unterwerfen konnte, und dessen eindrucksvolle Architektur bis heute eine glanzvolle Geschichte dokumentiert.