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Krisen und interkontinentale Beziehungen

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Es war die strukturelle Schwäche des Reiches, die es verletzlich machte. Ausdehnung, Macht und Position im regionalen oder internationalen Kontext des salomonischen Staates hingen in hohem Maß ab von der jeweiligen Persönlichkeit des Kaisers. Eine Verwaltung, eine feste, dauerhafte Provinzgliederung oder auch nur eine Thronfolgeregelung existierten nicht – somit gab es ständig Anlässe für Konflikte, Unruhen, innere Rivalitäten. Selbst eine permanente Hauptstadt hatte das salomonische Reich nicht. Hatte ein Herrscher eine solche gegründet, so verlor sie ihren Charakter als Zentrum der Macht und Schwerpunkt des Reiches meist mit dem Tod des jeweiligen Kaisers. Es ist unschwer erkennbar, wie fragil ein Reich23 unter solchen Umständen bleiben musste, welche Bedeutung individuellen Handlungen und Entscheidungen zukam angesichts kaum vorhandener Institutionen, politischer Konzepte und strukturierter Verfahren.

Ba’eda Maryam (1448–1478) etwa sezte die Tradition Zar’a Ya’kobs nicht fort, die Regionen des Reiches direkt oder durch loyale Vertraute zu regieren, sondern übertrug sie Regenten, die aus den jeweiligen Provinzen stammten.

Unter den Herrschern des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts spielten Kriege mit den islamischen Nachbarn eine immer größere Rolle, die zunehmend den Dschihad gegen das christliche Reich führten und es wiederholt in Bedrängnis brachten. Gleichzeitig spielten Höflinge eine unheilvolle Rolle im Streit um die Macht. Damals konnte Eleni (1431–1522), die Tochter eines Herrschers von Hadiyya,24 eines muslimischen Staates im Süden an der Grenze zu Sidamo, an Einfluss gewinnen. Als junges Mädchen wurde sie christlich getauft und mit Kaiser Zar’a Ya’kob verheiratet. Sie konnte auch unter mehreren Nachfolgern ihres Mannes eine stabilisierende Rolle spielen, insbesondere als die noch jungen Monarchen von ehrgeizigen Adeligen marginalisiert zu werden drohten und das Reich am Rand des Chaos stand. Auch noch in der ersten Zeit der Herrschaft von Kaiser Lebna Dengel (1496/97–1540)25 war seine Großmutter Eleni einflussreich und rivalisierte mit der Mutter des Kaisers, Na’od Mogesa. Eleni, die Zeichen der Zeit erkennend, entsandte den Armenier (?) Mateus an den portugiesischen Hof, wo er 1519 ankam; der Austausch verstetigte sich und konnte bald konkrete Erfolge für das salomonische Reich erbringen.

Zwar schien die erste Phase der Regierungszeit von Lebna Dengel stabil, doch begann dann der massive islamische Angriff auf das Reich, der zu seinem Untergang geführt hätte, wäre es nicht zu einem Eingreifen des christlichen Europa gekommen.

Das Horn von Afrika gerät in den Sog interkontinentaler Interessen, Spannungen und Konflikte. Wenn es auch aus weltgeschichtlicher Perspektive dabei keine Hauptrolle spielt, so wird es doch von den neuen Entwicklungen stark betroffen und mehr und mehr einbezogen in internationale Prozesse.

Das 16. Jahrhundert war für das Horn von Afrika26 eine Epoche, die zu historischen Weichenstellungen führte, welche zu Beginn dieses Zeitraums noch nicht abzusehen waren: Die islamische Offensive,27 die von Akteuren der Region selbst getragen wurde, stellte die bisherige Vorherrschaft des christlichen abessinischen Reiches erstmals ernsthaft infrage,28 gefährdete gar seine Existenz. Kurz darauf stieß das Osmanische Reich im Zuge seiner Expansion ins Rote Meer und den Indischen Ozean an die eritreische Küste vor und gründete eine ›abessinische‹ Provinz. Auch Europa wurde im Zuge seiner imperialen Ausdehnung und seines Griffs nach dem Welthandel im Indischen Ozean, im Persischen Golf und am Roten Meer aktiv und leistete dem christlichen Bruderstaat am Horn von Afrika konkrete, unmittelbare Hilfe, welche das Überleben des christlichen Reiches sicherstellte.

Im Süden der Region gärte es. Die Ethnie der Oromo29 brach im 16. Jahrhundert auf, es kam zu erheblichen Migrationsbewegungen, durch welche die demographische Landschaft am Horn von Afrika dauerhaft verändert wurde. Heute sind die Oromo die größte Volksgruppe des Staates Äthiopien.

Vom Sultanat Adal aus entstand eine Gefahr neuer Dimension für das salomonische Reich. Ahmad ben Ibrahim al-Ghazi,30 von der christlichen Seite als Granj (Linkshänder) bezeichnet, trat als religiöser Führer auf, rief zum Dschihad und erlangte die faktische Macht in Adal und Harar, wo er zwar nie die ›legitimen‹ Herrscher beseitigte, sie aber zeitweise zu Marionetten degradierte. Er maßte sich nie weltliche Titel wie etwa ›Sultan‹ an, sondern nannte sich Imam, womit er das Primat seiner religiösen Rolle betonte. Seinen ersten entscheidenden Sieg über das christliche Reich und Kaiser Lebna Dengel erlangte er 1529. Seine Armeen drangen schnell vor, versetzten das christliche Abessinien in Angst und Schrecken und hinterließen überall Tod und Zerstörung.

Nach einem Jahrzehnt war fast das gesamte Horn von Afrika islamischer Herrschaft unterworfen. In der Tat wollte Granj nicht nur zerstören und Beute machen, sondern strebte ein großislamisches Reich an, wollte sogar eine familiäre Verbindung zur salomonischen Dynastie im Sinne glaubwürdiger Legitimität und langfristiger Sicherung eines islamisch geprägten, aber auch im traditionell-salomonischen Sinn rechtmäßigen Staates. Im Norden trugen die Glaubenskrieger den Dschihad bis nach Tigray und Hamasin (heutiges Eritrea), im Süden31 nach Gurage, Bale, Hadiyya und Sidama. Ein arabisches Werk, von einem Zeitgenossen und Augenzeugen verfasst, der auch die Aussagen anderer Zeitzeugen verwendet hat, mit dem Titel »Futuh al-Habascha«,32 stellt die wesentliche muslimische Quelle für diese islamische Großoffensive dar.

Der salomonische Kaiser selbst war ständig auf der Flucht und starb 1540 im Kloster Debre Damo; Söhne von Kaiser Lebna Dengel wurden getötet oder gefangen genommen.

Der muslimische Siegeszug endete erst, als 1541 in Massawa 400 mit Feuerwaffen ausgerüstete Portugiesen landeten. Zwar wurden die Portugiesen nach anfänglichen Erfolgen im August 1542 in Tigray mit osmanischer Hilfe geschlagen und ihr Anführer Christovao da Gama33 gefangen genommen und von Granj persönlich getötet, aber die überlebenden Portugiesen konnten wesentlich dazu beitragen, dass Kaiser Gelawdewos (1521/22–1559) im Februar 1543 einen entscheidenden Sieg errang. Granj selbst wurde von einem portugiesischen Scharfschützen getötet. Damit war der islamische Dschihad schnell am Ende, denn der Tod eines charismatischen Anführers führte meist zu einem völligen Zusammenbruch. Die Phase erfolgreicher islamischer Expansion war zu kurz gewesen, um


Abb. 6: Johannes-Evangelium aus Gunda Gunde in Tigray um 1540.

eine regelrechte ›Großmacht‹ Adal entstehen zu lassen, die das christliche Reich hätte ablösen können. Das salomonische Reich unter Kaiser Gelawdewos konnte sich erholen, sogar zu Gegenoffensiven ansetzen.

Aber neue Herausforderungen kamen durch welthistorische Entwicklungen: Das Osmanische Reich hatte 1517 Syrien und Ägypten erobert und war auch ins Zweistromland (heutiger Irak) in Richtung Persischer Golf vorgestoßen. Als neue Vormacht im Roten Meer34 sicherten sich die Osmanen an beiden Ufern Positionen. Dabei ging es um den Handel im Indischen Ozean, der in die Hand der Portugiesen zu geraten drohte. Diese hatten nach Entdeckung des Seewegs um Afrika und nach Indien35 ein weitgespanntes Netz von Stützpunkten von Nordafrika bis Ostasien36 errichtet. Das islamische Monopol für den Asienhandel, Garant der Prosperität und Macht der islamischen Welt, war somit in Gefahr. In einer solchen Konstellation war die Rotmeerküste des heutigen Eritrea, nahe dem Bab al-Mandeb, dem Zugang zum Roten Meer vom Indischen Ozean aus, ein strategischer Baustein. 1538 hatten die Osmanen bereits den Jemen ihrem Machtsystem eingegliedert und von dort aus Granj in seinem Dschihad gegen das salomonische Reich mit Feuerwaffen unterstützt. 1557 dann landeten die Osmanen an der eritreischen Küste, nahmen die Hafenstadt Massawa ein und drangen ins Landesinnere vor. Trotz einiger Rückschläge wurde die Provinz Abessinien auf dem Territorium des heutigen Eritrea gegründet, die in ihrer Ausdehnung variierte, aber in jedem Fall mindestens einen osmanischen Stützpunkt an der Rotmeerküste sicherstellte. Die osmanischen Türken spielten von da an eine Rolle in den Rivalitäten und Auseinandersetzungen am Horn von Afrika zwischen dem salomonischen Reich, dem das heutige Norderitrea kontrollierenden ›Baher Negasch‹37 und anderen Akteuren, wie etwa dem muslimischen Herrscher von Harar.

Aber auch die Portugiesen waren längst vor Ort und verteidigten ihre Positionen gegen ihre muslimischen Gegner. Schon im 15. Jahrhundert hatte es portugiesisch-abessinische Kontakte38 gegeben, doch traten die portugiesischen Beziehungen zum Horn von Afrika etwas in den Hintergrund im Gesamtkontext der portugiesischen Ausbreitung39 im Indischen Ozean des 16. Jahrhunderts und im Zusammenhang mit der historischen osmanisch-portugiesischen Auseinandersetzung um den Welthandel.

Es ging um die Frage, ob die erste Globalisierung im Zeichen des Kreuzes oder des Islam erfolgen würde. Schon 1499 hatte es einen Angriff Portugals auf Mogadischu gegeben, der aber erfolglos geblieben war, ebenso wie die Verwüstung von Barawa (Brava) im Süden der Somaliküste durch die Portugiesen. Zwar hatten die Portugiesen 1515 Hormuz, die bis heute strategisch wichtige Insel am Eingang zum Persischen Golf erobert und die Osmanen konnten es erst im 17. Jahrhundert ihrem Reich eingliedern. Aden aber hatten die Portugiesen trotz mehrerer Versuche nie einnehmen können.40 Auch portugiesische Vorstöße ins Rote Meer blieben Episode.

Wenn Portugal auch keine Stützpunkte am Horn von Afrika hatte, hier nie territorialen Besitz erwarb und diese Region angesichts welthistorischer Veränderungen, die damals im Gang waren, nicht im Mittelpunkt des Interesses stand, war Portugal doch durchaus engagiert in diesem Großraum und wusste um die Bedeutung guter Beziehungen zu Abessinien, die aktiv von beiden Seiten gepflegt wurden. Nachdem da Gamas relativ kleines Kontingent mit Feuerwaffen ausgerüsteter portugiesischer Soldaten das salomonische Reich hatte retten können, gingen Gesandschaften hin und her, blieben Abessinier und Portugiesen in Kontakt, so schwierig und langwierig angesichts der Distanzen, Gefahren und Verkehrsverhältnisse dies auch gewesen sein mag. Europäische Geistliche, vor allem aus Portugal, kamen ans Horn von Afrika, gelangten an den salomonischen Hof, wurden einflußreich, brachten den Geist der römischen Kirche, aber auch nachhaltige kulturelle Einflüsse.41 Seit 1555 machten sie kontinuierliche Missionsversuche, gegen die sich einerseits Widerstand erhob, die andererseits auch positive Aufnahme fanden. Teilweise wurde versucht, die Religionsfrage politisch zu instrumentalisieren.

Das Horn von Afrika

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