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Zar’a Ya’kob – Religion, Kultur und Weltpolitik
ОглавлениеIn der Mitte des 15. Jahrhunderts trat mit Zar’a Ya’kob (1399–1468) eine der profiliertesten Herrschergestalten des christlichen Imperiums ins Licht der Geschichte.
Nicht nur durch seine Persönlichkeit und die Ereignisse der Epoche, die er mitgeprägt hat, bildete er einen Mittelpunkt des Interesses. Seit dem 14. Jahrhundert gibt es auch zunehmend schriftliche Quellen, die sogenannten Königschroniken, die uns ein farbiges und plastisches Bild historischer Zusammenhänge und Ereignisse vermitteln und die gut erschlossen und sorgfältig ediert sind.15 Zunächst war seine Regierungszeit – er wurde 1439 in Aksum wie die meisten abessinischen Kaiser gekrönt (nach Niederschlagung einer Rebellion) – durch äußere Bedrohungen belastet. Muslimische Invasionen unter Ahmad Badlay aus Ifat, die 1443 u. a. Schewa betrafen und vorübergehend erfolgreich waren, mussten zurückgeschlagen werden. Nach dem endgültigen Sieg Zar’a Ya’kobs 1445 kamen weitere Regionen im Süden,16 wie etwa das zwischen den Flüssen Awash und Wabi Schebelle (heutiges Somalia) gelegene Dewaro, unter direkte Kontrolle des christlichen Reiches. In Soldatenliedern und Wundererzählungen, wo der Sieg des Kaisers der Jungfrau Maria zugeschrieben wird,17 wird der christliche Erfolg in besonderer Weise zelebriert.
Aber auch im Inneren stellten sich Zar’a Ya’kob Herausforderungen:
Widerstand kam vor allem aus der schon früher unruhigen Nordprovinz Tigray, den der noch nicht gekrönte Kaiser überwinden mußte, damit die Zeremonie in der alten Metropole Aksum stattfinden konnte.
Die Küste war ein weiteres Ziel der Arrondierungspolitik von Zar’a Ya’kob; hier sind nicht nur die Dahlak-Inseln, sondern auch Massawa, das die Rolle von Adulis als Haupthandelshafen längst übernommen hatte, unter islamische Kontrolle geraten; auf der Halbinsel Gerar in nächster Nähe der Stadt errichtete der Kaiser Befestigungen. Eventuell kam es sogar zur gewaltsamen Einnahme von Massawa. Sein Sohn und Nachfolger, Ba’eda Mariam, baute die Rotmeerpolitik aus und führte die Funktion des ›Baher Negasch‹ (einer Art autonomer Gouverneur) für die Nordprovinz an der Küste (heutiges Eritrea) ein.
Zar’a Ya’kob hat auch kulturgeschichtliche Akzente gesetzt: Literatur und Kunst erhielten durch ihn neue Impulse. An seinem Hof richtete er ein ›Scriptorium‹, eine Art Literaturwerkstatt ein, wo historische, panegyrische und religiöse Werke entstanden; manche trugen gar den Verfassernamen des Herrschers. Marien- und Kreuzeskult erfuhren gezielte Förderung und damit einen Aufschwung. Ikonen gewannen dadurch mehr Bedeutung: Der Mönch Fere Seyon (1440–1470) machte sich als Maler einen Namen, der Mariendarstellungen für den Kaiser schuf.18 Es gab Bestrebungen, in seine Werke europäische Einflüsse hineinzuinterpretieren; möglich ist, dass der Künstler europäische Mariendarstellungen in der Sammlung des Kaisers gesehen hat und sich daraus Anregungen holte.
Auch Kreuze wurden unter Zar’a Ya’kob nun überall angebracht: Auf Gebäuden, Gebrauchsgegenständen, an Kleidern und auf Waffen, sogar auf Händen und Gesichtern (bis heute nicht ungewöhnlich am Horn von Afrika). Der Kaiser war bemüht, Zauberpraktiken und heidnische Bräuche, die sich überall gehalten hatten und neben christlichen Ritualen oder in christlichem Gewand fortbestanden, abzuschaffen. Dies alles hatte nicht ausschließlich religiöse Bedeutung, sondern diente einer Vereinheitlichung und Reinigung von Kirche, Brauchtum und Ritual im Sinne einer politischen Konformität. Kirche, Glauben und Loyalität zum Staat, zum Kaiser sollten eine Einheit, unzertrennbar verflochten sein – nicht beliebig, sondern streng eindeutig geregelt. So gaben Kirche und Religion dem Kaiser und seinem Reich eine sakrale Dimension, die ihnen ja aufgrund des Ursprungsmythos und der Nationallegende zukommt. Auch höfische Regularien und kaiserliches Protokoll spielen jetzt, aus vergleichbaren Gründen, eine wichtige Rolle. Sie wurden ausgearbeitet, im Detail festgelegt und genau definiert – so trugen sie dazu bei, die Signifikanz dieser fast rituellen Vorschriften und Verfahren festzuschreiben und zu betonen, sie in eine höhere Sphäre zu erheben, ihnen Bedeutung zu verleihen. Sie erlangten dadurch eine herrschaftsstabilisierende Funktion.
Der Kaiser führte auch eine aktive Religionspolitik. 1450 berief er ein Konzil in das von ihm gegründete Kloster Debre Metmak ein, nördlich der von ihm gegründeten Hauptstadt Debre Berhan. Dabei wurde der lange schwelende Streit mit der Bewegung des Ewostatewos (der selbst aber längst im Exil war) beigelegt. Die Feier des Sabbath wurde als orthodox anerkannt. So ging dieser weit über ein Jahrhundert währende Konflikt mit einem Kompromiss zuende. Weniger flexibel und tolerant zeigte sich der Kaiser gegenüber den Stefaniten, die er verfolgte und deren Gründer Estifanos im Gefängnis starb. Sie hatten die Verehrung religiöser Symbole, die nun auch Staatsinsignien waren, sowie die Niederwerfung vor dem Herrscher abgelehnt und wurden deshalb wohl als politisch gefährlich oder zumindest unzuverlässig betrachtet.
Zar’a Ya’kob hatte auch erste Kontakte nach Europa – unter ihm begann die Phase des Austauschs von Delegationen und der lange Prozess gegenseitigen Kennenlernens, der schließlich in Kooperation mündete. Eine Kontaktaufnahme des christlichen Landes am Horn von Afrika zwischen Indischem Ozean und Nil, mit Europa, dem Zentrum der christlichen Welt, lag auf der Hand. Sie sollte von da an zu einer der Konstanten der Geschichte des nordostafrikanischen Raums werden und bald eine entscheidende Rolle spielen. Eine vage, im Nebel des Sagenhaften nur undeutlich fassbare Vorstellung von einem christlichen König im Osten, dem ›Erzpriester Johannes‹, hatte sich im Laufe des Mittelalters in Europa entwickelt19 und begann nun, schärfere Kontouren anzunehmen.20 Die militärischen Erfolge des abessinischen Kaisers gegen seine muslimischen Nachbarn passten gut ins (Wunsch-)Bild eines ebenfalls vom Islam bedrohten Europa. Kaiser Zar’a Ya’kob hatte an seinem Hof den Italiener Pietro Rombulo, der als Abenteurer ans Horn von Afrika gekommen war, Jahrzehnte im Land verbrachte und dem Herrscher in verschiedenen diplomatischen Funktionen diente. Ihn schickte der Kaiser 1450 an der Spitze einer Delegation nach Europa, wo er eine Audienz bei Papst Nikolas V. erhielt und auch den König von Neapel besuchte, wodurch er dem abendländischen Interesse an Abessinien besondere Impulse verlieh. Zwar gab es keine unmittelbaren konkreten politischen Ergebnisse dieser Mission Rombulos, aber ein erster Kontakt war hergestellt. In derselben Periode nahmen abessinische Mönche am Konzil von Florenz teil. Zur gleichen Zeit gab es auch erste Verbindungen zwischen Portugal und dem salomonischen Staat, die knapp 100 Jahre später entscheidende Bedeutung gewinnen sollten.
Auch aus einer ganz anderen Richtung landen Schiffe am Horn von Afrika: Unter der Ming-Dynastie (1368–1644) unternahm China weitreichende See-Forschungsreisen,21 erreichten chinesische Flotten Afrika, z. B. auch die somalische Küste. Brava und Mogadischu hatten Kontakt mit den Chinesen (1414), deren Fahrten in den westlichsten Bereich des Indischen Ozeans jedoch nicht fortgesetzt wurden. Das damals schon strategisch bedeutsame Hormuz am Eingang zum Persischen Golf wurde ebenfalls von chinesischen Schiffen angelaufen.
In der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit gründete der Kaiser eine eigene Hauptstadt, Debre Berhan,22 die zu einem Anziehungspunkt nicht nur für die politische Elite des Reiches wurde, aber ihren Charakter als Reichszentrum schon unter seinem Sohn und Nachfolger verlor. Erst im späten 17. Jahrhundert wurde Debre Berhan noch einmal zu einem Zentrum der Macht.