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Das Reich von Gonder
ОглавлениеIn die Regierungszeit von Fasiledes fällt, neben machtpolitisch motivierten Militärmaßnahmen innerhalb des Reiches etwa gegen die Oromo, die weiterhin eine ständige Unruhequelle darstellten, auch eine innenpolitische Entwicklung, welche eine neue Epoche einleitete: Fasiledes machte Gonder, nördlich des Tana-Sees, gelegen an einer der wichtigen Handelsrouten zum Roten Meer, zu seiner Hauptstadt. Damit leitete er eine Periode ein, in der weit über 100 Jahre Gonder51 Hauptstadt des Reiches blieb und den Schwerpunkt des Salomonischen Staates nach Nordwesten verschob.
Diese Einrichtung einer festen Hauptstadt in einem Land, dessen Herrscher sich bislang oft auf Wanderschaft befunden oder nur kurzfristig Residenzen eingerichtet hatten, die ihren Hauptstadt-Charakter bei einem Thronwechsel wieder verloren, entfaltete bleibende Wirkungen. Sie begünstigte eine kulturelle Blüte, wie sie oft entsteht an Orten und in Regionen, die geprägt sind von der dauerhaften Konzentration politischer und wirtschaftlicher Macht. Der Gonder-Stil in der Architektur,52 der sich bereits seit dem späten 16. Jahrhundert entwickelt hatte, prägte die Baukunst nicht nur der Reichsmetropole, sondern auch des Landes zwischen Tana-See und Aksum bis hinein ins 19. Jahrhundert.
Die Palastanlage des Fasiledes gehört heute zum UNESCO-Weltkulturerbe, zahlreiche Bauten sind noch relativ gut erhalten. Der repräsentative Charakter der Stadt wurde weiterentwickelt durch die Bautätigkeit späterer Herrscher, die alle auf diese Weise ihr Zeichen setzen wollten.
Abb. 7: Gonder-Architektur: Fasiledes-Palast.
Auch unter Fasiledes Nachfolgern wurden Feldzüge im Land gegen innere Feinde geführt (z. B. gegen Oromo und Agau) und auch die antikatholische Politik wurde fortgeführt. Katholische Priester wurden ermordet, Katholiken mussten das Land verlassen. Andere wurden gezwungen, zur ›Orthodoxie‹ zurückzukehren. Ganz allgemein sind das 17. und 18. Jahrhundert eine Zeit der religiösen Gegensätze, auch der innerkirchlichen christologischen Auseinandersetzungen, die bezüglich der göttlichen und menschlichen Natur Jesu entstanden53 ( Kap. 5). Teilweise führten diese spitzfindigen religiösen Konflikte zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und sogar Massakern. Kaiser Iyasu I. wurde in diesem Kontext 1706 ermordet. Verschiedene Interessengruppen assoziierten sich mit unterschiedlichen christologischen Richtungen – Machtpolitik und Religionsstreitigkeiten gingen eine unselige Verbindung ein. Diese Konflikte überschatteten auch die Regierungszeit von Iyasus Söhnen Tekle Haymanot und Dawit III. – erst unter seinem Sohn Bekaffa trat eine Stabilisierung ein. Bekaffas späte Jahre wurden bestimmt von seiner Konkubine Welette Giyorgis, die den Ehrennamen Berhan Mogesa54 trug und aus Kwara nordwestlich des Tanasees stammte, aber unter der Bezeichnung Mentewwab (›o welche Schönheit‹) bekannt wurde. Sie soll sich besonders durch die Förderung der Kunst ausgezeichnet haben.
Mütterlicherseits von Kaiser Minas († 1563) abstammend, gelangte sie bei Hof, obwohl nicht Ehefrau des Kaisers, zu beträchtlichem Einfluss. Ihre Stellung erlangte sie mit bemerkenswerter Konsequenz und Durchsetzungsfähigkeit.
Für Iyasu II., ihren Sohn, den sie mit Bekaffa hatte, übte Mentewwab die Regentschaft aus, ebenso für dessen Sohn, ihren Enkel Iyo’as. So blieb sie fast ein halbes Jahrhundert lang die dominierende Persönlichkeit am salomonischen Hof. Ihre Rolle festigte sie durch Berufung von Verwandten in wichtige Positionen, so z. B. ihren Bruder Welde Le’ul, der hohe Hofämter bekleidete und ihr half, ihre Position zu verteidigen, dann aber auch mit ihr in Streit geriet. Es entstand eine Rivalität zwischen Mentewwab und der Mutter ihres Enkels Iyo’as, die der Oromo-Sippe von Yedschu entstammte, welche bald die Kontrolle über das Kaiserhaus und die Residenzstadt Gonder erlangen sollte. Der Regent von Tigray, Mika’el Sehul,55 der zunächst Alliierter von Mentewwab gewesen war und sogar ihr Schwiegersohn wurde, stellte sich dann gegen die Regentin und ihren Enkel Iyo’as, den er als Kaiser absetzte, kurz darauf tötete und durch einen Marionettenkaiser ersetzte.