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Aufbruch der Oromo
ОглавлениеTief im Landesinneren brachte das 16. Jahrhundert ebenfalls neue Entwicklungen. Das Volk der Oromo,42 dessen ursprüngliches Siedlungsgebiet sich von Kenia über den Süden des heutigen Äthiopien bis zur sudanesischen Grenze hinzieht, brach zu einer historischen Migration auf. Die Stoßrichtung ihrer Wanderung43 waren Norden, Nordosten und Westen. Sie drangen in muslimische und christliche Siedlungsräume ein, ins Reich der salomonischen Herrscher und die islamischen Staaten wie etwa zunächst Bale, dann Ifat, Adal etc.
Sie wanderten bis Gonder, Wello und sogar Tigray. So wurden die Oromo die weitest verbreitete ethnische Gruppe in dem Großraum. Dieser Expansionsvorgang wurde den militärischen Ereignissen des 16. Jahrhunderts zugeschrieben, die das salomonische Reich schwächten und ein Machtvakuum schufen, gerade an der offenen Südflanke, als das Horn von Afrika von der großen muslimisch-christlichen Auseinandersetzung dieser Zeit heimgesucht wurde. Ein weiterer Faktor, der die Oromo-Wanderung begünstigte, war die Moggaasa (Moassa)-Methode,44 ein System (politischer) Adoption. Es erlaubte die Eingliederung von Stämmen und Ethnien in den Oromo-Kontext und erleichterte somit die Machtübernahme in Regionen, deren Bevölkerung nicht unterworfen und beherrscht werden musste, sondern aufgenommen und integriert werden konnte. Die Oromo-Wanderung war kein kurzes, vorübergehendes Phänomen, sondern ein lang andauernder, kontinuierlicher Prozess, der auch im 17. und 18. Jahrhundert noch anhielt, sogar das Herrscherhaus des salomonischen Reiches beeinflusste und bis heute die Geschichte des Raumes prägt. Der orthodoxe Kleriker Bahrey, ein Zeitgenosse und Zeitzeuge des Oromo-Aufbruchs, vor dem er an den Kaiserhof geflohen war, verfasste eine bemerkenswerte Analyse dieses Migrationsvorganges und die erste Geschichte der Oromo. Sein Werk45 gilt als wichtigste und früheste Quelle zu Geschichte und Gesellschaft der Oromo, deren Erfolg er darin sieht, dass ihr ganzes Volk Militärdienst leistete und in seiner Gesamtheit am Migrations- oder Eroberungsprozess beteiligt war, während der salomonische Staat schon arbeitsteilig organisiert war und nur seine begrenzte Armee dem Ansturm einer wahren ›Völkerwanderung‹ entgegensetzen konnte.
Kaiser Susenyos (regierte 1607–1632)46 war in seiner Jugend Gefangener der Oromo und flüchtete zu ihnen während der Streitigkeiten um den Thron, die schließlich zu seinen Gunsten endeten.