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3 Sieben Jahrhunderte salomonische Dynastie – zwischen christlichem Nationalmythos und imperialer Kontinuität Ein Staat und seine Legende
ОглавлениеYekunno Amlak wurde Erbe des Zagwe-Reichs, dessen gewaltsames Ende er herbeiführte (1270). Er ist der der Gründer der salomonischen Dynastie1 bzw. nach dem historischen Mythos derjenige, der die salomonische Dynastie ›wiedereinsetzte‹: Denn er ist es auch, der seine Herkunft – und damit die Legitimität der von ihm begründeten Dynastie – auf König Salomon und die Königin von Saba sowie deren Sohn Menilek I. zurückführt. Diese Abstammungstheorie, obwohl völlig fiktiv, hat sich bis ins 20. Jahrhundert gehalten als akzeptierte offizielle Staatslehre und Grundlage des religiös-politischen Geschichtsbewusstseins.2
Yekunno Amlak ist auf Kirchenfresken aus dem 13. Jahrhundert, die noch erhalten sind, dargestellt und gilt als Erbauer und Stifter vieler Gotteshäuser. Zahlreiche Rituale, darunter archaische aus aksumitischer Zeit, verleihen den salomonischen (wie bereits zuvor den Zagwe-) Herrschern einen quasi-religiösen Nimbus und tragen zu einer Verflechtung der politischen und religiösen Sphäre bei. Sie sollen eine Kontinuität zum Reich von Aksum konstruieren, die ebenso fiktiv ist wie der mythische Anspruch einer Abstammung vom jüdischen König Salomon und einer Königin von Saba.
Ausformuliert findet sich diese Staatsideologie und Legitimationsdoktrin für die salomonische Dynastie in einem ausführlichen Text, der unter dem Titel »Kebre Negest«, ›Ruhm der Könige‹, bekannt geworden ist.3 Das anonyme Buch, das ursprünglich keinen Titel trug, ist als ›historischer Roman‹ bezeichnet worden und als ›ideologisches Instrument‹ zur Legitimierung der salomonischen Dynastie (zunächst gegenüber der Zagwe-Dynastie).4 Es ist im frühen 14. Jahrhundert entstanden und stellt bis heute ein hoch angesehenes und weitgehend unbestrittenes christliches ›Nationalnarrativ‹ dar, welches das Horn von Afrika bzw. das abessinische Reich in der christlich-jüdischen Tradition verwurzelt. ›Kebre Negest‹5 stellt zwar keine Quelle für reale historische Abläufe dar, ist aber ein primäres Zeugnis für Mentalität, Selbstverständnis und historisches Bewusstsein des christlichen Abessinien.
Kernstück des vielfältigen Textes, der aus einem breiten Spektrum von Quellen schöpft, ist die alttestamentarische Erzählung von der Reise der Königin von Saba, Makedda,6 im 10. Jahrhundert v. Chr. vom Horn von Afrika nach Jerusalem zu König Salomon, um von dessen sagenhafter Weisheit zu profitieren. Dort wendet sie sich vom traditionellen südsemitischen Sternenkult ab und dem Judentum zu. Salomon und Makedda7 zeugen einen Sohn (deshalb ›salomonische‹ Dynastie), Menilek, der bei seiner Mutter am Horn von Afrika aufwächst. Im Alter von 22 Jahren reist er zum Vater nach Jerusalem, besteht aber darauf, mit dem Segen des Vaters zur Mutter zurückzukehren, um dort die Herrschaft zu übernehmen. Begleitet wird er auf der Heimreise von Söhnen der führenden Persönlichkeiten des jüdischen Staates, welche die Bundeslade aus dem Tempel Salomons mitnehmen, die in der weiteren Geschichte des christlichen Abessinien eine wichtige symbolische Rolle spielt. Als ›Löwe von Juda‹ wird König Menilek I. als Erbe und Träger der Würde und Legitimität des wahren, alten Israel dargestellt. Schon früh erkennt die Führungsschicht des Reiches später in Jesus den Messias – im Gegensatz zu den Israeliten im Heiligen Land – und wird nicht erst durch spätere Missionierung christlich. Deshalb ist es wichtig für das Selbstverständnis des salomonischen Reiches, in den Traditionsmythos auch das Reich von Aksum einzubeziehen. Priester und hohe Beamte im Reich sind Abkommen der Begleiter Menileks I., die dieser aus Israel mitgebracht hatte.
Dieser Traditionsmythos, der Staat und Kirche eng verbunden sieht,8 hat sich sieben Jahrhunderte hindurch praktisch bis zum Ende (1974) der äthiopischen Monarchie gehalten: Noch in der Verfassung von 1955 wird er beschworen und bekräftigt.
Unter der salomonischen Dynastie festigt sich auch die Dominanz des semitischen Kultur- und Spracheinflusses, der sich, in Verbindung mit dem Christentum, schon weiter nach Süden ausgebreitet hat. Im Kontext dieses Verschmelzungsprozesses (beispielsweise mit starker Agau-Komponente) war erst im Mittelalter das Amharische aus verschiedenen äthio-semitischen Sprachvarianten entstanden, benannt nach der Region Amhara, südlich von Lasta, wo es vor allem Verbreitung fand. Schewa, als amharisches Kernland, bislang am südlichen Rand des Reiches gelegen und zeitweise gar nicht dessen Bestandteil, sondern Sitz eines muslimischen Sultanats, wird zeitweise zur Kernregion des salomonischen Staates. Dieser Staat muss sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts konsolidieren. Ein amharisch beeinflusstes Ge’ez wird zur typischen Sprache historischer Texte (Königschroniken), die jetzt entstehen und ein besseres Verständnis der Geschichte ermöglichen.