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Vorwort
ОглавлениеWenn die griechische Hässlichkeit in Äthiopien Schönheit sei, so könnte wohl sein, dass beide Teile recht hätten?
Christoph Martin Wieland, ›Geschichte der Abderiten‹
Das ›Horn von Afrika‹ ist ein geographischer Begriff. Es bezeichnet den Raum um die Ostspitze Afrikas, die wie ein Horn in den Indischen Ozean ragt. Hier befindet sich der östlichste Punkt Afrikas, Ras Hafun (Ras Xaafuun), südlich von Kap Guardafui, dem ›aromaton acron‹ (Kap der Gewürze) der Antike. Kap Guardafui liegt an der Spitze des Horns von Afrika und wird deshalb manchmal irrtümlicherweise als östlichste Stelle des Kontinents betrachtet. Zu den heutigen Staaten am Horn von Afrika im weiteren Sinn gehören Äthiopien, Dschibuti (Djibouti), Eritrea und Somalia, welche den geographischen Rahmen abstecken, dessen historische Entwicklung Gegenstand vorliegenden Buches ist.
Dieser geographische Raum ist selbst dem gut informierten Europäer bestenfalls in großen Linien vertraut. Deshalb ist es unerlässlich für ein historisches Verständnis des Horns von Afrika, geographische und historische Karten zu verwenden. In Band V der ›Encyclopaedia Aethiopica‹ (EA) findet sich eine Zusammenstellung von über 30 Karten,1 viele historische Werke enthalten weiteres kartographisches Material, auch am Ende dieses Buches finden sich zwei Karten.
Es fällt schwer, gemeinsame Züge für die Länder dieses Raumes zu finden. Charakteristisch ist vielmehr eine schier unüberschaubare Vielfalt – etwa 80 Sprachen, die teilweise untereinander nicht einmal verwandt sind, werden hier gesprochen. Nie war im Laufe der Geschichte das ›Horn von Afrika‹ eine politische oder kulturelle Einheit oder wurde von einer einzigen Macht beherrscht. Auch religiös herrscht mehr Vielfalt als Einheit. Neben dem Christentum und dem Islam, die seit weit über 1000 Jahren vor allem prägend waren, existieren auch zahlreiche (Natur-)Religionen lokaler und regionaler Bedeutung.
Ein besonderes Charakteristikum des Horns von Afrika besteht darin, dass hier das Christentum eine über 1600 Jahre lange staatliche Kontinuität aufzuweisen hat, dass hier seit dem 4. Jahrhundert christliche Staaten bestehen. Das Horn von Afrika ist der einzige Bereich auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, in dem das Christentum seine Führungsrolle bis heute behaupten konnte. Die christlichen Reiche Nubiens wurden vom Islam erobert, die ägyptischen Kopten sind längst zur Minderheit im Land am Nil geworden. In den Ländern Nordafrikas westlich von Ägypten ist das Christentum völlig verschwunden.
Die Länder dieses Großraums haben untereinander immer sehr enge und wechselvolle Beziehungen unterhalten, intensive Wechselwirkungen und lebhaften Austausch erlebt. Deshalb ist es sinnvoll, sie als eine historische Einheit zu betrachten.
Dabei ist die Verwendung geographischer und kultureller Begriffe nicht unproblematisch. Sprechen wir etwa über das salomonische Reich oder seine christlichen und vorchristlichen Vorgänger, so verwenden wir in diesem Buch oft die Bezeichnung ›Abessinien‹ (vom semitischen ›Habasch‹,2 deshalb in älteren deutschen Texten auch Habessinien), ›Äthiopien‹ wird vorwiegend als Bezeichnung für den modernen Staat dieses Namens (seit dem 19. Jahrhundert) verwendet.
Andere Bezeichnungen, wie Somalia oder Eritrea, werden – wenn sie sich nicht eindeutig auf die modernen Staaten beziehen – angewandt, um die geographische Einordnung eines Ortes oder eines Ereignisses zu erleichtern. Sie sollen weder Grenzen präjudizieren noch eine Parteinahme in kontroversen Fragen darstellen.
Zahlreiche Eigennamen und Toponyme, die in diesem Buch verwendet werden, entstammen unterschiedlichen Sprachen und Kulturkreisen, für die kein einheitliches Transskriptionsystem existiert. Es wurde versucht, sie in einer benutzerfreundlichen, bewusst vereinfachenden Schreibweise wiederzugeben, die allerdings keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben will und kann. Inkonsequenzen sind dabei nicht auszuschließen.
Die Geschichte des Horns von Afrika ist in Europa außerhalb der Fachkreise noch weitgehend unbekannt – deshalb ist das Buch chronologisch aufgebaut. Dies stellt für den Leser den einfachsten Zugang zu einer sehr komplexen Materie dar. Eine Ausnahme bildet Kapitel 4, in dem thematische Einzelaspekte, welche eine vertiefte Behandlung sinnvoll erscheinen lassen, näher betrachtet werden.
Für dieses Buch habe ich über Jahre und Jahrzehnte hinweg zahlreiche Anregungen, Inspirationen und Impulse von verschiedensten Seiten erhalten, für die ich sehr dankbar bin. Besonders verpflichtet fühle ich mich:
Meinem Großvater Eugen Berger, der lebhaftes Interesse an außereuropäischen Räumen hatte, dieses an seine Kinder weitergab und stets von Reisen träumte, die ihm nie möglich waren.
Meiner Mutter Hildegund Berger, die mich schon als Kind auf Reisen nach Afrika mitnahm und mir aufgrund ihrer umfassenden literarischen, geographischen und historischen Kenntnisse die Augen für Vieles öffnete.
Meinem verehrten akademischen Lehrer Julius Assfalg,3 der mir half, Zugang zur vielfältigen Welt der Sprachen und Kulturen des christlichen Orients zu finden und sie mir wissenschaftlich zu erschließen.
Meinem akademischen Lehrer Hans-Joachim Kißling, der mein Interesse an interkontinentalen Beziehungen im Spannungsfeld der islamisch-christlichen Rivalität weckte.
Meinem Mentor Eberhard Schmitt,4 als dessen Mitarbeiter ich viel über Globalgeschichte gelernt habe und dem wir das 14-bändige Monumentalwerk ›Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion‹ verdanken, an dem ich zeitweise mitarbeiten durfte.
Meinem Schwiegervater Ghebre Selassie Dirar, der als Geistlicher die tiefe, traditionelle Frömmigkeit des christlichen Afrika bis an die Schwelle zum 21. Jahrhundert brachte und dessen Gebetbuch noch heute im Familienbesitz ist.
Meiner Frau Azeb, die die Familientradition bis heute lebendig hält und dafür sorgt, dass in unserer Familie noch drei Sprachen (Tigrinya, Amharisch und Arabisch) vom Horn von Afrika gepflegt werden. Sie half mir, Quellen zu erschliessen, die mir sonst unbekannt geblieben wären.
Meiner Tochter Julia, die in Washington DC geboren ist, in Amman, Jordanien, zur Schule kam, in Atlanta, GA, ihr Abitur machte, die in Deutschland studiert und in drei Kulturkreisen zuhause ist. Sie leistete mir konkrete Hilfe bei der Entstehung dieses Textes.
Ihnen widme ich dieses Buch.
Alfred Schlicht
Im November 2020