Читать книгу Wächterin - Ana Marna - Страница 13
August 2011
ОглавлениеFrankfurt am Main, Deutschland
Der Anruf kam überraschend und zu einer ungewöhnlichen Tageszeit, nämlich mitten in der Nacht.
Valea schreckte hoch, als das Telefon klingelte. Verschlafen tastete sie nach dem Hörer. Hoffentlich war das nicht das Institut. Eigentlich hatte sie gerade keine Bereitschaft.
„Ja?“, murmelte sie.
„Dr. Noack? Dr. Valea Noack?“
Der Akzent war eindeutig amerikanisch. Valea richtete sich auf und versuchte zu verstehen, wer da am Apparat war. Vermutlich hatte sie sich verhört. Auf Englisch fragte sie nach:
„Wer ist dran? Könnten Sie Ihren Namen nochmal wiederholen?“
„Bond. James Bond.“
„Äh – hach – sehr witzig. Aber es ist bei mir mitten in der Nacht und da hält sich mein Humor in Grenzen.“
„Entschuldigen Sie den späten Anruf, Dr. Noack.“ Die männliche Stimme klang ebenfalls leicht genervt. „Aber mein Name ist tatsächlich James Bond. Ich bin Special Agent beim FBI und brauche Ihren Rat.“
„Dann muss ich mich wohl ebenfalls entschuldigen, Agent Bond.“ Valea musste grinsen und war dankbar, dass ihr Gesprächspartner dies nicht sah. Doch vermutlich konnte er es sich denken. Wer diesen Namen trug, bekam mit Sicherheit ständig dumme Bemerkungen und noch dümmere Witze zu hören. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich habe hier zwei Mordfälle, naja vermutlich sogar drei. Alle tragen die gleiche Handschrift und wir kommen einfach nicht weiter mit unseren Ermittlungen. Man hat Sie uns empfohlen für solche speziellen – äh – Verletzungen.“
„Sie meinen Fraßspuren.“
„So was in der Art, ja.“
„Haben Sie Bilder, die Sie mir zukommen lassen können?“
„Hm, schon. Doch ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass Sie vorbeikommen.“
Ein Trip nach Amerika? Rasch ging sie im Geist ihre Termine durch.
„Ich muss sehen, ob ich das einschieben kann, Agent Bond“, meinte sie schließlich. „Doch Sie können mir die Bilder auf jeden Fall zuschicken, damit ich einen ersten Eindruck bekomme. Haben Sie meine Mailadresse?“
„Ja, ich werde es sofort veranlassen. Wann kann ich mit einer Antwort rechnen?“
Sie sah auf die Uhr. Es war zwei Uhr nachts.
„Ich hoffe in etwa zehn Stunden“, versprach sie. „Soll ich Sie anrufen, oder reicht Ihnen eine Mail?“
Er gab ihr seine Telefon-Nummer und Valea sank wieder in die Kissen zurück.
Ein Ausflug in die Staaten klang spannend. Und sie hatte noch nie für das FBI gearbeitet – und auch nicht für James Bond. Sie lächelte ein weiteres Mal über den Namen. Diese Reise konnte nur interessant werden.
Kansas, USA
Bereits drei Tage später stand sie zum ersten Mal in einem amerikanischen gerichtsmedizinischen Institut in Kansas und betrachtete die beiden Leichen, die vor ihr auf den Stahltischen lagen.
Neben ihr stand Agent James Bond und sie konnte verstehen, dass er ziemlich bleich um die Nase war. Der Geruch, den die Toten ausströmten, war sehr intensiv. Immerhin hielt er sich gerade und ihr erster Eindruck von ihm verstärkte sich. Sie mochte diesen Agenten. Er sah gut aus, wirkte nett und war dazu noch kompetent.
Doch die beiden Leichen vor ihr fesselten derzeitig ihre gesamte Aufmerksamkeit. Es waren zwei Frauen, vermutlich noch jung und einstmals hübsch. Ihre Körper befanden sich in unterschiedlichen Stadien der Verwesung.
Sie wusste inzwischen, dass eine Frau bereits vor drei Monaten gefunden worden war, die zweite dagegen erst vor etwa einem Monat. Beide wiesen die gleichen Verletzungen auf, und die Art der Verstümmelungen verursachte in Valea kaltes Grausen. Beiden war nahezu komplett die Haut abgezogen worden, und laut der gerichtsmedizinischen Untersuchungen hatten sie beide während dieses Prozesses gelebt.
Agent Bond hatte ihr zudem einen dritten Fall vorgelegt, der vor einem Jahr für Aufregung gesorgt hatte. Diese Frau war genauso verstümmelt worden. Dass hier ein Serientäter am Werk war, war nicht schwer zu erkennen.
Sie seufzte leise und trat näher. Ihre Aufgabe war heute die Überprüfung der Fraßspuren, und sie hoffte sehr, dass sie nicht umsonst hier aufgetaucht war. Wer Frauen so verstümmelte und quälte, musste einfach gefunden und unschädlich gemacht werden.
Einige Stunden später saß sie mit Agent Bond in einem kleinen Büro und besprach das Ergebnis ihrer Untersuchungen. Es war weiß Gott nicht viel, was sie gefunden hatte. Und mit Sicherheit zu wenig, um diesem Ungeheuer Einhalt zu gebieten.
„Die Häutungen erfolgten mit einem Messer und mit Zähnen“, konnte sie bestätigen. „Und leider Gottes haben die armen Frauen dabei noch gelebt. Die Zähne ähneln denen eines Hundes oder Wolfes, aber sie sind ungewöhnlich groß und lang, beinahe dolchartig. Von der Größe her würde ich sie eher einem Bären, Löwen oder Tiger zuordnen, doch die Zahnstellung und die Form ist eindeutig hundeartig. Interessant ist, dass zumindest bei den neuen Opfern die Häutung beinahe ritualisiert erfolgte. Die Muster gleichen sich sehr und alles deutet darauf hin, dass der Prozess quälend langsam erfolgte. Wer auch immer das getan hat, ist hochgradig sadistisch und wird sich sein neues Opfer bereits suchen.“
Agent Bond nickte mit grimmigem Gesicht.
„Das haben unsere Experten auch prophezeit. Und Sie haben keine Ahnung, was für ein Tier ihn unterstützt hat?“
Valea schwieg für längere Zeit. Dann schüttelte sie den Kopf. „Leider nein. Die Haarfunde an den Leichen deuten auch auf einen Caniden hin, doch die Struktur der einzelnen Haare ist ungewöhnlich. Eine Mischung aus Wolf und etwas was ich nicht kenne. Vermutlich ist das Fell sehr dicht und lang, extrem witterungsbeständig und ungewöhnlich weich. Allein diese Kombination ist schon seltsam. – Es tut mir leid, Agent Bond, dass ich Ihnen nicht mehr liefern kann. Ich hoffe sehr, dass Sie diesen Bastard schnell finden.“
Er nickte. „Das hoffen wir alle. Aber ich bin Ihnen trotzdem dankbar, dass Sie hergekommen sind und zumindest unsere Experten bestätigt haben. – Darf ich auf Sie zurückkommen, wenn wir wieder etwas Neues finden?“
„Jederzeit. Zögern Sie bitte nicht. Das hier ist – wichtig.“
Und genauso meinte sie es auch. Diesen Fall würde sie im Gedächtnis behalten, bis er gelöst war.