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3.2.4 Erziehung und Macht

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Erziehung ist ein durch Macht strukturiertes Verhältnis von Erziehenden und zu Erziehenden. Dabei treten die Machtstrukturen nicht immer offen zu Tage und sind erst recht keine Faktoren, die zur Erziehung hinzukommen und dadurch vermeidbar wären, wie es die Antipädagogik oder auch die antiautoritäre Erziehung nahelegen. Vielmehr ist Erziehung als solche schon durch Macht gekennzeichnet. Um das zu verstehen, bedarf es zunächst einer Klärung des oft nur abwertend gebrauchten Machtbegriffs. An sich beschreibt der Begriff der Macht zunächst lediglich eine produktive Struktur menschlicher Verhältnisse (vgl. Foucault 1985). Im Kontext von Erziehung geht es dabei vor allem um die Frage, wie sich der Mensch als freiheitliches Subjekt hervorbringt, damit er sich als der, der er sein soll, auch tatsächlich versteht.

Hilfreich ist in diesem Kontext die Unterscheidung zwischen einer repressiven Macht als Herrschaft oder Gewalt und einer produktiven Macht. Während Herrschaft und Gewalt als autoritäre Machtstrukturen die Freiheit des Einzelnen durch Unterwerfung vernichten wollen, nutzt die produktive Macht gerade eine suggerierte Freiheit zur selbstgewählten und darin produktiven Unterwerfung. In beiden Fällen schreibt sich die Macht dem Körper oder Leib durch Disziplinierungen ein, wird also inkorporiert und zum vorreflexiven sowie wesenhaften Bestandteil der Subjektivität. Damit wird auch deutlich, dass jeweils repressive und produktive Machtpraxen unterschiedliche Disziplinartechniken implizieren.

Machtpraxen

Die gezielte repressive Einwirkung auf das Handeln der Zöglinge über körperliche Züchtigung reicht bis weit in die Geschichte der Erziehungspraktiken zurück und hat zumeist das erzieherische Ziel, den Willen des Zöglings zu brechen. Bis in die Gegenwart hinein wird der „kleine Klaps“ als legitim betrachtet, und körperliche Strafen gelten nach wie vor als probat. Historisch betrachtet ist eine solche repressive Machtausübung rückläufig. Der Grund liegt allerdings nicht, wie zu vermuten wäre, in einem grundsätzlichen Wandel der Erziehungsstile – vom sogenannten Befehls- zum Verhandlungshaushalt – sondern vielmehr in einem veränderten Verständnis von Disziplinierung im Kontext einer produktiven Machtstruktur (vgl. FOUCAULT 1976).

Führung der Führungen

Die Disziplinierung wird vor allem im 18. Jahrhundert nach dem Vorbild der Pastoralmacht (vgl. FOUCAULT 1982/2005, S. 247ff.) produktiv gewendet. Dieser Begriff Michel Foucaults (1926–1984) verdeutlicht die Verwobenheit einer auf das Seelenheil des Einzelnen gerichteten subtilen „Führung der Führungen“ (FOUCAULT 1987, S. 255), die das Ziel der Herstellung einer normativen Subjektivität sowie einer normalen „Identität“ durch permanente Selbstentzifferung und Überwachung hat. Der Mensch wird zum Objekt einer pastoralen, auf sein Wohl gerichteten erzieherischen Sorge, die auch Kontrolle genannt wird.

„Diese Form der Macht ist auf das Seelenheil eingerichtet (im Unterschied zur politischen Macht). Sie ist opferbereit (im Unterschied zum Herrschaftsprinzip), und sie individualisiert (im Unterschied zur richterlichen Macht). Sie ist koextentensiv mit dem Leben und dessen Fortsetzung nach dem Tod. Sie ist mit der Erzeugung von Wahrheit verbunden, und zwar der Wahrheit des Einzelnen.“ (FOUCAULT 1982/2005 S. 248)

Insgesamt sind die Formen der Macht Weisen, wie man denken, handeln und urteilen soll, wem man den Vorzug gibt, was man verabscheut, wessen man sich schuldig fühlt oder sich zu schämen hat. Hier setzt die Erziehung an, bei der Konstitution eines Individuums als Subjekt, das einer normativen Identität gerecht werden soll, die sich letztlich in den Leib einschreibt. Ziel ist die Unterwerfung der zu Erziehenden bei gleichzeitiger Erhöhung ihrer Produktivkräfte. Unter diesem Aspekt ist die Macht der Erziehung eine produktive Technologie, die freiheitliche Individuen erzeugt, Menschen, die das tun, was sie sollen und die in der machtstrukturierten Selbstregierung (Gouvernementalität) kulminiert.

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