Читать книгу Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski - Страница 41

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„…und die Botschaft auf dem Spiegel – glaubt ihr wirklich, Myriana sitzt vor ihrem Kosmetikspiegel, ein Entführer kommt über den Balkon ins Zimmer und bevor die, zu Tode erschrockene Königin, die überhaupt nicht weiß, was mit ihr geschieht, gefangen genommen und über den Balkon aus dem Haus geschafft wird, hat sie noch die Zeit, in aller Seelenruhe eine Botschaft auf den Spiegel zu schreiben. Sie wusste genau, dass nicht die Männer den Spiegel öffnen würden, sondern wir. Also war die Botschaft für uns. Wir sollten sie finden und sonst niemand. Findet ihr das nicht seltsam? Diese ganze Entführung kommt mir vor, wie von einer schlechten Schauspieltruppe inszeniert!“

Cichianon schaute skeptisch.

„Sinja, meinst du nicht, dass du dich da in etwas reinsteigerst? Also ich habe kein gutes Gefühl bei dem, was du hier vorbringst. Sie ist immerhin unsere Königin.“

„Ich habe nur einige Tatsachen benannt, sonst nichts“, erwiderte Sinja, „bis jetzt habe ich noch gar keine Schlüsse daraus gezogen. Hast du denn eine Erklärung für diese ganzen Ungereimtheiten?“

„Nein“, antwortete Cichianon, „das habe ich nicht und wenn ich ehrlich bin, ist es genau das, was mich beunruhigt.“

„Gut! Ich bin wirklich gespannt, was heute in der Dunkelmitte passiert. Da soll ja dieser sogenannte Austausch stattfinden. Bis jetzt hat noch keiner nach meiner Geige gefragt. Aber lassen wir das erstmal. Mir ist noch etwas Anderes begegnet, was mindestens genauso merkwürdig ist.“

„Jetzt bin ich aber ganz Ohr!“, sagte Ferendiano, „was kommt denn jetzt noch?“

„Als ich nach den Noten gesucht habe, ist mir dieses kleine Buch in die Hände gefallen.“ Sinja zog, etwas umständlich eine kleine schmuddelig – braune Kladde unter ihrem Hemd hervor.

„Sinja“, rief Gamanziel entsetzt, als sie sah, was das Menschenmädchen in der Hand hatte. „hast du etwa ein Buch aus der Bibliothek geklaut?“

„Geklaut würde ich das nicht nennen“, erwiderte Sinja, „sagen wir mal, ich hab´ es….hmmm….ungenehmigt entliehen.“

„Warum hast du das gemacht?“

„Weil ich mir ziemlich sicher bin, dass Zabruda Menroy mich nicht noch einmal in die Bibliothek gehen lässt. So, wie er sich beim ersten Mal schon angestellt hat, wird er einen Grund finden, mir einen zweiten Besuch zu verweigern. Und, da ich keine Zeit mehr zum Lesen hatte, musste ich alles, was wichtig war, mitnehmen.“

„Weißt du, das auf Diebstahl von Kulturgütern in Fasolanda lebenslange Kerkerhaft steht?

„Jetzt weiß ich es, aber ich will es ja auch nicht behalten“, sagte Sinja, „sobald wir wissen, was wir wissen müssen, gebe ich das gute Stück sofort wieder an die Bibliothek zurück.“

„Was reizt dich denn so an diesem kleinen, dreckigen Ding, dass du dafür sogar lebenslangen Knast riskierst“, fragte Amandra. „Du kennst ja das Kerkerloch da unten mittlerweile und weißt, dass das kein Fünfsternehotel ist.“

„Ich will es dir sagen, Amandra“, antwortete Sinja. „Was ich hier in der Hand halte, ist das wahrscheinlich einzige erhaltene Original der Tagebücher von Wolfgang Amadeus Mozart. Der letzte Band. Er gilt in unserer Welt als verschollen. Mozart in seiner eigenen Handschrift! Versteht ihr, was das bedeutet?“

„Nee! Tut mir leid. Keine Ahnung, aber du wirst es uns sicher gleich erklären!“

Emelda konnte Sinjas Ergriffenheit in keiner Weise teilen. Für sie war das ein kleines, dreckiges Heft mit einem, völlig zerschlissenen Ledereinband, in das ein Mensch namens Mozart in krakeliger, schwer lesbarer Handschrift ein paar Sachen hineingekritzelt hatte. Na und?

„Der Mozart hat das hier in seiner eigenen Hand gehabt. Er hat das selbst geschrieben. Sein Schweiß ist auf dieses Papier getropft!“, begeisterte sich Sinja.

„Ja!“, meinte Emelda, „so sieht das Ding auch aus. Besser, er hätte etwas weniger getropft, dann könnten wir heute mehr davon entziffern! Man kann das Zeug ja kaum lesen, so verschmiert wie das ist.“

„Ach, Emmi, du bist unmöglich!“ Sinja drehte sich beleidigt zur Seite. „Begreifst du denn nicht, was das für uns heißt? Wir können hiermit den Meister selbst befragen. Er erzählt uns in seiner eigenen Schrift, in seiner eigenen Sprache, wie er die Dinge sieht und was er denkt. Es geht um die beiden letzten Jahre, 1790/91, also genau die Zeit, die für uns interessant ist.“

„Also spannend finde ich das ja schon“, sagte Gamanziel.

„Ich habe immer noch nicht ganz verstanden, warum das für uns wichtig sein soll?!“, sagte Ferendiano. „Was hat das Mozartding mit der Entführung zu tun?“

„Ganz einfach“, antwortete Sinja, „wenn die Königin will, dass wir bei Mozart nachschlagen, dann muss Mozart etwas über die Königin wissen, was wir nicht wissen.“

„Jetzt, wo du´ s sagst“, erwiderte Ferendiano gelangweilt.

„Gut, du kannst ja solange spielen gehen, Ferendiano! Ich bin jedenfalls gespannt, ob ich mit meinen Vermutungen recht habe. Wir müssen das Buch lesen. Hier zum Beispiel.“ Sinja schlug wahllos eine Seite auf. Unter der Überschrift 6. September 1791 stand dort:

Jetzt bin ich aber froh, bald wieder nach Wien…, da die Clemenza-Oper, vor allem vom einfachen Volk nur mäßig aufgenommen wurd. Bald möcht ich auch wieder in teutscher Sprach ein Stück….und freue mich, mein liebes Weibchen Constanze….und die Aufführung der Zauberflöte vorbereiten zu können. Der heutigen Aufführung beigewohnt hat ein sehr mysteriöser Mensch namens Adelmus, Graf zu Faselanth, welcher mir bis vor einiger Zeit noch gar kein Begriff war. Der Otto-Heinrich hat ihn mir selbst in der Loge neulicht vorgestellt und….Dieser Graf behauptet, einen Alchimisten zu kennen, der wohl ein gar treffliches Mittelchen für meine angegriffene Gesundheit hätt….

„6. September! Das war genau drei Monate vor Mozarts Tod!“, wunderte sich Sinja.

Manches war im schummrigen Licht der Kerzen schwer zu lesen, manche Wörter waren verwischt und unleserlich, die Tinte verblasst, doch das, was sie entziffern konnten, versetzte sie in helle Aufregung.

„Leute! Klingelt da was bei euch, wenn ihr Adelmus, Graf zu Faselanth lest?“

„Nö! Erstmal nicht!“, antwortete Emelda, „was vermutest du?“

„Ich denke, dass das unser Freund ist!“, antwortete Sinja.

„Welcher Freund?“

„Der Unerhörte!“

„Der Unerhörte? Dann hätte er ja durch die Zeit reisen müssen, zurück bis ins Jahr 1791 der Menschenzeit!?“, stellte Emelda ungläubig fest.

„Korrekt!“

„Der Unerhörte, ein Zeitreisender? Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Aber der Mozart ist doch früher schon mal bei uns in Dorémisien gewesen!“, warf Gamanziel ein. „Der kannte Fasolanda! Fasolanda, Faselanth. Das hätte er doch merken müssen!“

„Vielleicht hat er nicht direkt an Fasolanda dabei gedacht. Warum hätte er auch daran denken sollen? Für ihn gab es ja erstmal keinen Zusammenhang zwischen dem Grafen und der Stadt. Jedenfalls war ihm Faselanth kein Begriff! Das schreibt er hier!“

„Puh! Wenn das alles stimmt, dann haben wir ja noch viel mehr Probleme, als wir dachten!“, bemerkte Cichianon. „Aber, was wollte der Unerhörte in Wien bei Mozart?“

„Lies´ doch mal den letzten Satz hier oben.“ Sinja hielt dem Elfen das Buch vor die Nase.

„Heh, nicht so dicht! So kann ich gar nichts erkennen….!“

„Gut, ich erzähl´ es dir. Erst ´ne Menge unwichtiges Zeug und dann kommt´s: …der wohl ein treffliches Mittelchen für meine Gesundheit hätt. Der Herr Graf sorgt sich um die Gesundheit des Meisters. Warum? Da gibt es zwei Möglichkeiten: erstens, er meint es ernst und möchte, dass Mozart ein gesundes und langes Leben hat, weil er, zum Beispiel, seine wundervolle Musik so sehr liebt oder…., zweitens, er meint genau das Gegenteil. Dem Herrn Grafen gefällt irgendetwas an Mozarts Musik oder an Mozart selbst überhaupt nicht und er will ihn mit Hilfe seines Mittelchens zum Schweigen bringen. Was haltet ihr davon?“

„Hm! Das klingt schon eher nach dem Unerhörten“, brummelte Amandra, „aber er als Zeitreisender? Davon hab´ ich noch nie gehört. Bis jetzt sind das wilde Spekulationen. Was den Unerhörten angeht, kann ich mir nicht vorstellen, dass er plötzlich sein Herz für Musiker entdeckt hat. Er hat ewig lange versucht, die Musik aus Dorémisien zu verbannen und absolute Stille herzustellen und jetzt das? Nein! Andererseits, warum sollte er ausgerechnet den Mozart umlegen wollen?“

„Die Antwort auf diese Frage finden wir entweder in diesem kleinen, braunen Büchlein hier oder in den Noten und dem Text der Zauberflöte“, sagte Sinja.

„Nur dumm, dass wir die Noten nicht haben“, sagte Emelda.

„Ja“, sagte Gamanziel, „in der Bibliothek brauchen wir uns nach dem Diebstahl erstmal nicht mehr sehen zu lassen.“

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis

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