Читать книгу Die andere Seite der Stille - Andre Brink - Страница 13
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ОглавлениеEine volle Minute lang dem Augenschein nach starrt Oberst von Blixen seine kleine Gastgeberin durchdringend an, dann dreht er sich auf dem Absatz um, geht auf die nächststehende Frau zu, fasst sie am Ellbogen und knurrt: »Komm!« Auf dem Weg nach draußen greift er sich mit der freien Hand noch eine volle Flasche Cognac vom Tisch.
Katja stolpert zurück zu Hanna X, die die Arme um das zitternde Mädchen legt und es an sich drückt. Die anderen Offiziere weichen vor ihnen zurück und strömen an ihnen vorüber wie ein Wildwasser an einem Fels. Ein jeder schnappt sich eine Frau – Beute oder Trophäe? – und schleppt sie durch den nächstbesten Ausgang irgendwo in die Tiefen des Hauses. Ohne einen weiteren Blick auf das Mädchen zu werfen, wendet sich Frau Knesebeck ihren Helferinnen zu, die sich im Durchgang zum Treppenhaus drängen. »Worauf wartet ihr?«, fragt sie. »Die ganze Schweinerei hier muss aufgeräumt werden!«
Die ganzen endlosen Nachmittagsstunden hindurch hallt und erbebt das Gebäude von den Geräuschen des kollektiven Amoklaufs der Männer. Die Wände wackeln vor Flüchen und Gebrüll und den Schreien der Frauen, dem Bersten von Möbeln und zerschlagenen Dingen – Betten und Stühle, Kannen und Krüge, Nachttöpfe, Spiegel und Fensterscheiben, Türen, Knochen. In ihrem kaum möblierten Zimmer sitzt Hanna auf ihrem schmalen Bett, schweigsam und mit geradem Rücken, und streichelt die mageren Schultern des Mädchens, das neben ihr liegt und im Halbschlaf manchmal leise wimmert wie ein träumender Welpe. Von Zeit zu Zeit scheint der Lärm abzuflauen, dann aber braust er wieder auf, kommt einmal aus diesem, dann aus einem anderen Teil des Gebäudes, dröhnt die Treppen auf und ab, dringt durch die Türen oder Fenster und taucht dann anderswo wieder auf. Irgendwann aber scheint sich die schlimmste Raserei gelegt zu haben. Vom Hof her sind die Geräusche erster aufgesattelter Pferde zu hören und Vorbereitungen, die Reise wieder aufzunehmen.
In diesem Moment fliegt die Tür brutal auf und ein Mann taumelt über die Schwelle von Hannas Zimmer. Es ist Oberst von Blixen.
»Ah!«, ruft er und verschafft sich am Türrahmen Halt. »Nach dir habe ich in dem ganzen verdammten Haus gesucht, du schnucklige kleine Schlampe!«
Das Mädchen kämpft sich aus wirren Traumschleiern frei. Hanna legt ihr eine Hand auf die Hüfte. Sie wirkt sehr ruhig, aber ihr Körper ist angespannt.
»Komm her«, sagt der Oberst. Das Grinsen in seinem geröteten Gesicht sieht aus wie ein Schmiss. Auf seiner Uniform und seinen Händen sind Blutflecke.
Katja schüttelt den Kopf.
»Komm her!«, donnert er.
Hanna X zieht das Mädchen noch dichter an sich.
Der Offizier ist offensichtlich sturzbetrunken und dazu jetzt noch fast schlagflüssig vor Wut. Im Versuch, sich zu nähern, stolpert er, kann sich dann an einem der Bettpfosten festhalten, bleibt einen Moment lang schwankend stehen und stürzt sich dann auf die Frauen.
Hanna X versucht, sich zwischen ihn und das Mädchen zu bringen, aber mit der Kraft seiner Wut wischt er sie einfach beiseite und sie stürzt zu Boden.
»Sie haben gehört, was Frau Knesebeck gesagt hat«, flüstert das Mädchen.
»Zur Hölle mit ihr. Zur Hölle mit Oberbefehlshaber Dame.«
Hanna kommt wieder auf die Füße und rückt sich die Kappe zurecht, mit der sie normalerweise ihr Gesicht verdeckt. Sie macht ein Geräusch, aber er dreht sich nicht einmal zu ihr um.
»Komm her«, sagt er wieder zu dem Mädchen. Beide Frauen können jetzt auch seinen Geruch wahrnehmen. Des Besoffenen, des Soldaten, der tage-, ja möglicherweise wochenlang durch die Wüste geritten ist und der jetzt den ganzen labyrinthischen Nachmittag mit Ficken und Kotzen verbracht hat.
Diesmal gehorcht Katja, als stehe sie unter einem Bann.
»So ist’s brav«, sagt von Blixen anerkennend. Er streckt mit äußerster Konzentration die Arme steif aus und legt die Hände auf ihre Brüste. Das Gesicht des Mädchens errötet, aber sie scheint zu verängstigt, sich zu rühren.
»Blut«, sagt er und spuckt aus. »All diese gottserbärmlichen Weiber bluten, es ist wie in einem gottverdammten Schlachthof. Aber du bist zu jung für so was, da bin ich sicher. Und deshalb will ich dich.«
Eine seiner Hände gleitet an ihr hinab und schließt sich um ihren Schamhügel. Er grunzt vor Befriedigung.
Dann geschehen mehrere Dinge gleichzeitig. Das Mädchen zuckt vor seinem Griff zurück, verliert an der Bettkante sein Gleichgewicht und fällt mit strampelnden Beinen auf den Rücken. »Wohl blute ich!«, schreit sie ihm zu. »Ich blute genauso wie alle anderen.«
Hanna X zieht die Kappe ab, um ihr Gesicht zu offenbaren.
Und dann ertönt die Stimme Frau Knesebecks von der Tür: »Herr Oberst.«
Oberst von Blixen reagiert, als habe ihn eine Schlange gebissen. Was es nun eigentlich letztlich ist, das ihn so schockiert – die Bemerkung des Mädchens, das Gesicht der Hanna X oder die Erscheinung Frau Knesebecks –, bleibt unklar. Tatsache ist aber, dass der Soldat sich aufrafft, den Rücken strafft und hinausmarschiert. Sie können ihn den ganzen Weg das Treppenhaus hinab hören. Dann schlägt die Vordertür zu. Von draußen kommen die Geräusche von Männern und Pferden. Sich entfernendes Hufgetrappel, das sich irgendwann verliert. Die endlose Stille der Wüste ergreift wieder Besitz vom Ort des Geschehens.
»Bring dich wieder in Ordnung«, sagt Frau von Knesebeck barsch zu dem Mädchen.
Katja steht auf und zieht sich das Kleid zurecht, das bei ihrem Fall hochgerutscht war. Hanna X zieht sich wieder ihre Kappe über. Die Vorsteherin von Frauenstein wendet sich zum Gehen und schließt die Tür mit einem resoluten, aber leisen Klicken.
Und dann, einige Stunden später, die Nacht ist bereits angebrochen und das Mädchen ist in sein eigenes Zimmer gegangen, kehrt der Oberst zurück, allein und bebend vor innerer Wut, die nicht nachlassen wird, bevor er nicht all den Dampf abgelassen hat, der sich so lange aufgestaut hat.
Der Frauenstein liegt in der Stille. Die Dunkelheit hat dem Gebäude eine merkwürdige, bittere Unschuld zurückgegeben. Es ist die traurige Unschuld eines Waisenhauses, wenn all die kleinen Geräusche des Tages verklungen sind.