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6. Von der „Ponerologie“ über die „Pistodizee“ zur „Theodizee“

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Die Reflexion sieht sich somit dazu angehalten, die unkritische Vermengung einer übertrieben einheitlichen Behandlung aufzugeben, eines Erbes aus einer Kulturepoche, wo Religiöses und Weltliches ihre gesamte methodische Verschiedenheit noch nicht herausgebildet hatten.

Dies ist der so wenig beachtete Grund dafür, dass die Behandlung des Problems auch hier die grundlegende Vermittlung durchlaufen muss, wie das alle großen Fragen getan haben, nämlich die des etsi Deus non daretur. Denn es erweist sich als offenkundig, dass, „auch wenn es Gott nicht gäbe“, die Herausforderung des Übels danach verlangt, in jedem Gedankengang bedacht zu werden, der nach einer sinnvollen Gestaltung für die menschliche Existenz als solche sucht. Dies bedeutet aber nicht, dass die religiöse Antwort ausgeschlossen bliebe, sondern lediglich, dass alle, welche sie als die annehmbarste betrachten, den genauen Platz, den sie unter den übrigen Antworten einnimmt, finden und deren besondere Struktur klären müssen: „unterscheiden, um zu einen“, nach dem bekannten Titel von Jacques Maritain.

So ergibt sich eine Behandlung in drei wohl unterschiedenen Schritten, die in ihrer Besonderheit beachtet werden sollten, um dann gebührend in die Gesamtgestaltung des Diskurses einzugehen: Ponerologie, Pistodizee und Theodizee.

(1)Die Ponerologie (von griechisch ponerós „schlecht“)49 muss einen Traktat über das Schlechte an und für sich bilden, dessen Struktur gegenüber jeder religiösen bzw. nichtreligiösen Wahlentscheidung Vorrang hat. In einer eigengesetzlichen Kultur ist dies das normale Verfahren bei jedem menschlichen Grundproblem, wie etwa Freiheit, Gewissen oder Schuld. Zunächst nämlich gilt es, diese in ihrer gemeinsamen Struktur herauszuarbeiten, und erst danach ist es sinnvoll, sie in die Erörterung ihrer religiösen oder nichtreligiösen Implikationen einzuführen, die dann schon – es sei nochmals gesagt – den Charakter besonderer Antworten auf ein allgemeines Problem haben.

(2)Die Pistodizee (von griechisch pistis „Glaube, Treue“, hier im weiteren, philosophischen und weltanschaulichen Sinne einer Gestaltung der eigenen Existenz)50 bezeichnet keine konkrete Abhandlung, sondern eine notwendige Vermittlung, insofern sie die allgemeine Notwendigkeit einer methodischen Mediation klären soll, um die Antwort oder „Weltanschauung“ zu „rechtfertigen“, die wir alle mehr oder minder ausdrücklich und überlegt angesichts der Wirklichkeit des Übels annehmen. „Pistodizee“, und daher gleichfalls der Rechtfertigung bedürftig, ist ebenso Sartres Standpunkt, von dem er verkündet, das Übel mache die Welt absurd, wie auch der des Agnostikers, wenn er sagt, er wisse nicht, wozu er sich entschließen soll, bzw. der des Gläubigen, welcher mit dem Rückhalt seines Glaubens an das Göttliche behaupten kann, das Schlechte beseitige nicht den Sinn seines Lebens.

(3)Die Theodizee erscheint demnach als die „christliche Pistodizee“, d.h. als eine unter anderen, so dass sie eine doppelte Besonderheit aufweist: Einerseits steht sie in einem Verhältnis der Einheit und der Verschiedenheit zu den übrigen religiösen Pistodizeen, die ein „air de famille“ vereint; sowie andererseits in einem kritischen Dialog mit den nichtreligiösen bzw. den agnostischen Pistodizeen (unser Buch wird grundsätzlich auf diese zweite Front Rücksicht nehmen).

Logischerweise vermag die bloße Verkündung des Prinzips weder die Wahrheit noch die Fruchtbarkeit der Vorlage genau einzuschätzen. Aus der persönlichen Erfahrung einer bereits langen und intensiven Beschäftigung mit dem Problem kann ich sagen, dass diese Ansicht zumindest klärend wirkt. In ihrem Licht kann man mit Leichtigkeit z.B. den Hauptgrund für die eigenartige und paradoxe Übereinstimmung erkennen, die sich, wie anfangs schon angedeutet, in der Ablehnung der Theodizee zwischen den vielen derjenigen, die angesichts der Problematik des Übels den Glauben an Gott bewahren, und denen ergibt, die ihn aufgeben. Denn obgleich die Absicht jeweils grundlegend anders ist, bewirkt die Nicht-Unterscheidung der Ebenen, dass an sich so entgegengesetzte Standpunkte danach in der Abqualifizierung der Theodizee übereinstimmen und dies auch mit oftmals gleichen Gründen tun.

Ohne die Vermittlung der Ponerologie, so möchte ich zeigen, hindert die Logik erstere daran, eine kohärente Auffassung vom göttlichen Geheimnis beizubehalten, wenn sie diese nicht auf der kritischen Höhe der aus der Moderne kommenden Einwendungen halten können. Daher die Leugnung einer Möglichkeit der Theodizee als Ausflucht, wobei man oftmals in einen mehr oder minder verdeckten Fideismus gerät, so sehr man sich auch in ein „Geheimnis“ flüchten möchte, das aber gar keines ist, sondern allein das Ergebnis eines Zusammenpralls widersprüchlicher Voraussetzungen, oder auch die unhaltbare Vision eines verendlichten „Gottes“ anstrebt, der dann nur eines seiner Attribute beraubt ist.

Die letzteren scheinen wiederum gegenüber der traditionellen Religionsauffassung stark zu sein; jedoch wenn sie diese angreifen und zugleich die Voraussetzung eines „eingreifenden“ Gottes beibehalten, so verstoßen sie gleichfalls gegen die Kohärenz des eigenen Diskurses, der ja aus einer Ansicht von der Autonomie der Welt hervorgegangen ist. Denn sie bestreiten die Möglichkeit der Existenz eines Gottes, weil der nicht erfahrbar eingreift und alles Übel beseitigt, wo ein solches Eingreifen doch gerade das grundlegendste Motiv zu seiner Leugnung bilden sollte, da es die Freiheit des Menschen und die weltliche Rationalität aufhebt. (In der Tat ist dies, außerhalb unseres Kontextes, wohl das Hauptargument gewesen, das seit Feuerbach gegen die Existenz eines „Gottes“ vorgetragen wurde, der Autonomie und Verwirklichung des Menschen beseitigen kann.)

Offenkundig genügt das einfache Aussprechen einer Diagnose nicht, um auch deren Richtigkeit zu sichern, die sich, falls sie zutrifft, allein aus der gesamten Entwicklung ergeben kann. Deswegen möchte ich, um das Kapitel abzuschließen, nicht nur Spinozas Hinweis erneuern, bis zum Ende zu warten, um dann ein Urteil zu wagen, sondern die Leser jetzt auch darum anhalten, mir großzügig eine entschiedene Epoché zu gewähren. In diesem Sinne mögen sie, ohne die kritische Wachsamkeit zu verringern, sondern gerade mit dieser zusammen, den Gedankengang an sich in seiner eigenen Logik beurteilen, ohne ihn von vornherein zu verwerfen. Wie bereits anerkannt, verheimliche ich die Arbeitshypothese nicht, welche diese Studie anleitet; und ich bin mir dessen sehr bewusst, dass ich nicht für ausgemacht halten kann, es sei mir gelungen, deren Einfluss in Form eines nicht – oder nicht genügend – kontrollierten Vorurteils ganz zu vermeiden. Deshalb ersuche ich darum, dass mögliche Kritiken sorgsam darauf achten, bei ihrer Ausübung nicht die zahlreichen Topoi zu verwenden, wie sie in den Abhandlungen vorkommen und oft auch einleuchtend klingen, weil sie schlicht ein Erbe darstellen.

Was den Ablauf der Darstellung angeht, so war ich der Ansicht, das beste sei, diesen der vorgeschlagenen Dreigliederung anzupassen und ihr Schritt für Schritt zu folgen, wenn auch mit Zuweisung der jeweiligen Anteile nach den inneren Erfordernissen des Diskurses. In dem Sinne sollen der erste und der dritte Schritt, d.h. Ponerologie und Theodizee, einen deutlichen Vorrang erhalten. Dem zweiten Schritt, der Pistodizee, kommt somit ein eindeutig vermittelnder Charakter zu. Wichtig ist sie zwar für die methodische Klärung und den Dialog von Philosophie und Theologie, doch wird ihre Behandlung weniger ausführlich sein.

Trotz allem habe ich mich dazu entschlossen, dem Kerntext ein eher historisches Kapitel voranzustellen, das auf den Dialog zwischen Bayle und Leibniz eingeht. Dessen Lektüre ist zwar nicht unerlässlich und kann auch einige Wiederholungen nicht umgehen. Doch scheint sie mir interessant als eine lebendige Illustration – und ich würde sogar sagen, als eine Art Überprüfung – der Diagnose, die ich in diesem einführenden Kapitel zum gegenwärtigen Stand der Theodizee vornehmen konnte.

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