Читать книгу Das Neubedenken allen Übels - Andres Torres Queiruga - Страница 6

Geleitwort

Оглавление

Von Gustavo Gutiérrez

Jenseits von Schweigen und Wort findet sich, auf dem Wege ins Unendliche, ein Durchlaß; doch mein Mund ist nicht geschickt genug, um ihn zu erhellen.

(M.Martos, „Hablar es una blasfemia“,

in: Aunque es de noche)

Dieses Buch von Andrés Torres Queiruga ist eine Suche nach dem Durchlass, den der Dichter hier anspricht. Weder angepasstes Schweigen noch wiederholtes Wort: Der Autor nimmt an, dass der Weg ins Unendliche ein großes Feingefühl erfordert, den Gang über schmale und noch unbetretene Pfade, sowie gleichzeitig im Voranschreiten auch deren Erhellung.

In der Weise greift er ein Thema auf, das keine Theologie vermeiden kann, wie Schillebeeckx mit vollem Recht sagte. Denn das Thema des Übels ist noch stets vorhanden, es beschäftigt das Bewusstsein der Menschen, und es berührt ganz tiefgehend ihr Gottesbild, wenn es dieses für die einen unglaubwürdig macht sowie unleugbar mehrdeutig für die, welche trotz allem – wie wir – weiter an einen unendlich guten und machtvollen Gott glauben. Eine Angelegenheit, die uns mit Epikurs Dilemma immer noch in Schach hält.

Denn, aufrichtig gesagt, ist ein Glaube, der auch weiterhin annimmt, Gott sei gut, obwohl er in seiner Allmacht, mit seinem bloßen Wollen, allen Schrecken des Bösen in der Welt vermeiden könnte und es dennoch nicht tut, schon eine Herausforderung für unseren Gottesglauben und menschlich kaum glaubwürdig. Gleichfalls unglaubwürdig scheint es, wenn dieser Gott trotz guten Willens nicht kann; zumal, wie selbst Karl Rahner erkennen musste, ein zu unserer Rettung vor dem Bösen unfähiger Gott mit in unser Elend verstrickt bliebe. Gerade dies war auch der Gedanke, der Romano Guardini bis zuletzt verfolgt hat.

Sicher ist aber, dass die in einen kulturell eindeutigen und sozial plausiblen Glauben an Gott eingesetzte Tradition auf die implizite Logik eines tiefreichenden Vertrauens rechnen konnte, das ihr die Herausforderung zu überleben gestattete, ohne auf intellektuelle Aufrichtigkeit verzichten zu müssen. Das will der Autor nachweisen, indem er ihr mit der Einführung eines „kurzen Weges der Theodizee“ gerecht wird. Jedoch hat sich die Situation nach der kulturellen Umwälzung der Neuzeit gewandelt.

Leibniz hatte schon einen entschiedenen Schritt zur Anerkennung einer Autonomie der Welt getan, als er die Erde genauer betrachtete, statt erst den Himmel anzuklagen. Er konnte sich damit auf die Endlichkeit als Bedingung zur Möglichkeit des unvermeidbaren Übels verlassen. Dies ist der Ansatz, den der Autor hervorhebt; und die Folgen jener neuen Lage gestatten ihm, die ganze Frage auszudeuten und neue Zugänge zu eröffnen, um den Weg fortzusetzen. Den Grundstein dazu hatte allerdings schon das Buch Hiob gelegt.

Einem nur annähernd kritischen Blick darauf sollte es nicht schwer werden, die historische Verschiebung zu entdecken, welche diesen Neubeginn verhindert hat. Denn die jetzt schon für uns vorhandene Perspektive lässt erkennen, wie auch die nunmehr kritischen Fragen, bei all ihrer berechtigten Aktualität, in den alten Voraussetzungen gefangen bleiben, die immer noch mythisch und phantastisch befrachtet sind, ohne der aktualisierten Begriffsarbeit unterzogen zu werden.

Darauf aufmerksam zu machen und dadurch einen neuen Weg zu erschließen, bildet die vorrangige Absicht dieses Buches. Sie gründet auf der Überzeugung, dass die Moderne mit ihrer Kritik die Möglichkeit bietet, heute einen „langen Weg der Theodizee“ zu schaffen, der mit dem Vertrauen, welches den kurzen Weg der Tradition unterhalten konnte, die nötige logische Strenge verbinden und dadurch das Rückgrat des Dilemmas brechen würde.

Die Verwendung des Neologismus „Ponerologie“ mag auf die aktualisierende Dringlichkeit verweisen, Denn das Üble ist, eher noch als ein (anti-)religiöses, ein zutiefst und gemeinsam menschliches Problem. Uns alle geht es darum auch an, und es fordert von allen, mehr oder minder deutlich, auch eine Antwort. Ob wir es wollen oder nicht, ob wir ihm eine thematische Gestalt geben oder es im Hintergrund des nicht unmittelbar Angesprochenen lassen, so wählen wir uns doch alle eine Weise des Verstehens und des Herangehens an das dornige Problem, mit der Herausforderung des Üblen da zu sein und zu leben. D.h., wir zählen auf das, was der Autor eine „Pistodizee“ nennt: einen Glauben (eine pistis) im weitesten Sinne des Wortes. Wie erkennbar, verwandelt der allgemeine und universelle Charakter dieser Herausforderung alle und jede dieser einzelnen Glaubenshaltungen auch in Antworten.

Die letztere Feststellung ist von einiger Bedeutung, weil sie zu einer neuen Haltung aufruft, die sich von der polemischen Verhärtung entfernt, welche das neuzeitliche Verhältnis von Religion und Kultur leider ergriffen hat. Die Ponerologie kann, wenn sie das Problem als allgemein erweist, auch den allgemeinen Charakter der Aufgabe zeigen; und, angesichts der dauernden Gefahr der stets zu Argwohn oder einseitiger Geringschätzung geneigten Auseinandersetzungen, zielt sie auf den Dialog der guten Gründe, indem sie zu konstruktiver Arbeit und brüderlichem Zusammenwirken auf dem Weg zu einer Menschheit ermuntert, die, vom Übel bedrängt, nicht auf die Hoffnung verzichten will.

Bedeutsam ist die Beobachtung, wie sich dieser kulturelle und religiöse Drang nach einem Perspektivenwechsel im Bewußtsein der Menschen immer mehr Bahn bricht. Denn in Auschwitz wollte Franziskus keine wohlfeilen Worte liefern, blieb bei seinem Schweigen und, statt Fragen an Gott zu richten, forderte er dazu auf, seinen Aufruf zu erhören. Daher fragte er sich selbst und uns alle, als er vor aller Welt die Frage stellte, wie wir jenes fürchterliche Geschehen haben zulassen und ausführen können.

Zu Klärung und Begründung dieses Wandels möchte dieses Werk beitragen. Seine Darstellung geht dabei organisch vor: Nach ausführlicher philosophischer Erhellung und mit Berücksichtigung von deren Ergebnissen kann das theologische Anliegen von einer Grundeinsicht ausgehen, nämlich derjenigen von einem Gott, welcher sich in seinem Aus-Liebe-Schaffen vollkommen und frei um Wohlergehen und Verwirklichung der Geschöpfe kümmert, die er in ihrer Autonomie achtet und bestärkt. Die gnoseologische Grundlegung befolgt einen Begriff der Offenbarung, der, weit entfernt von jeglichem über-naturalistischen Fundamentalismus, sie als Erfassung der lebhaften und uneingeschränkten Gegenwart eines Gottes versteht, der stets liebend darum bemüht ist, sich allen mitzuteilen, und nur durch die natürlichen Grenzen und die Widerstände in der Freiheit der Menschen eingeengt wird. Diese so entstandene Ansicht interpretiert das Üble als unvermeidbare Folgeerscheinung in einer zugleich autonomen wie endlichen Welt. Einer nicht schlechten, sondern endlich guten und besserungsfähigen Welt, die darum ebenso unvermeidbar dem Vorkommen von Mängeln, Widersprüchen und Konflikten ausgesetzt bleibt, dem Üblen eben. Demnach kann, im Einklang mit der grundlegenden Evidenz der biblischen Entwicklungsrichtung – selbst wenn diese vielleicht durch Jahrhunderte der Buchstabentreue verdunkelt wurde –, Gott sich als der Anti-Böse offenbaren, der immer an der Seite der Witwen und Waisen steht, der Unterdrückten und der Ausgestoßenen. Er ist ein Gott, der, weil er liebt, die Schöpfung beschlossen hat, und der, weil er kann, nicht allein befähigt ist, die Hoffnung zu erzeugen, welche die Geschichte trägt, sondern der auch, nach dem Sieg über den Tod, das Geheimnis einer vollen Verwirklichung in der allgemeinen Herrlichkeit einer Gemeinschaft eröffnet, wo Er alles in allen und für alle sein wird. D.h., Epikur bekommt seine Antwort: Denn Gott will und kann das Üble und Böse besiegen, wenngleich dieser vollkommene Sieg in das Geheimnis der Eschatologie eingefügt bleiben muss.

Aus dieser Sicht entsteht, in je aktueller Erfahrung und in Erwartung von Spiegel und Rätsel (in speculo et aenigmate, vgl.1 Kor 13,12), eine Perspektive, die es erlaubt, Themen mit neuer Kohärenz einzuordnen, wie etwa Gottes Handeln in der Welt. Dieses Buch dürfte seinem Verfasser Freude machen – auch wenn es nicht beansprucht, alle Themen erschöpft zu haben –, falls es dazu beitragen könnte, dass andere – ohne vorgegebene Grenzen – den Mut finden, eine Aufgabe des Neubedenkens und der Aktualisierung zu übernehmen, die allein gemeinsames Bemühen und geschwisterliches Zusammenwirken bewältigen sowie, nach Möglichkeit, auch ausführen können.

Vieles bleibt auf diesem Weg noch zu tun, aber Torres Queirugas Reflexion bildet hier einen unübersehbaren Markstein.

Das Neubedenken allen Übels

Подняться наверх