Читать книгу Das Neubedenken allen Übels - Andres Torres Queiruga - Страница 20
3. Leibniz am historischen Kreuzweg 3.1 Ein Neubeginn
ОглавлениеIn der Tat meine ich, dass sich gerade hier der Unterschied zwischen beiden Autoren zeigt. Bayle wendet sich zwar, mit ungleicher Schärfe, gegen den Widerspruch zwischen der traditionellen Auffassung vom Verhältnis Gottes zum Schlechten einerseits, sowie dem grundlegenden Erleben des Glaubens an dessen Güte und Schöpferkraft andererseits. Doch eigentlich begnügt er sich damit, dies zu beklagen, wenn er dessen ungelöstes Auseinanderklaffen so herausstellt, ohne nach einer Möglichkeit der Synthese durch ein neues Verständnis zu suchen.
Leibniz hingegen resigniert nicht. Scharfsinnig deckt er die Mängel dieser Einstellung auf: „Man muß schon zugeben, daß Monsieur Bayle […] alle Vorteile auf seiner Seite hat, den Kern der Frage ausgenommen“ (Préface 38). Und nicht ohne eine gewisse ausgesuchte Ironie geht er auf den pragmatischen Widerspruch bei denen ein, die – auch heute noch – zu dem fast stets unter dem eiligen Vorwurf des Rationalismus versteckten Topos greifen, dass man in solchen Fragen von logischer Rationalität absehen müsse: „Bayle will die Vernunft zum Schweigen bringen, nachdem er sie allzu laut hat reden lassen“ (Préface 39).
Deswegen behauptet er geradeheraus, dass ein solcher Widerspruch im Prinzip gar nicht aufkommen kann, „zumal das Licht der Vernunft nicht weniger eine Gabe Gottes ist als das der Offenbarung“ (§ 29). Das kündigt er gleich zu Beginn mit einer programmatischen Überschrift an: „Vorüberlegungen zur Verträglichkeit von Glaube und Vernunft“ (49–111). Und folgerichtig verwendet er tatsächlich die Hauptbemühung seines Werkes darauf, Vereinbarkeit und Nicht-Widerspruch beider Größen positiv zu erweisen. Doch weder die Strenge seiner Logik noch die Gelassenheit seiner Gedankenführung dürfen über die verborgene, aber tiefe religiöse Leidenschaft hinwegtäuschen, die sein Vorhaben beflügelt.
Seine nie widerrufene Grundüberzeugung besteht darin, dass die Wahrheit einzig in der Synthese, nicht jedoch im Widerspruch zu finden sei. In seiner Vorrede (Préface) wiederholt er dies mehrmals mit einem glänzenden Ausdruck, der die Pole des unversöhnten Geistes seiner Zeit in sich vereint, also Bayle und Spinoza, Pascal und Descartes: „Man muss Licht und Glut zusammenführen“28. In der Weise verzichtet er auf eine „faule Vernunft“29, und vor allem gewinnt er damit eine Gottesidee zurück, die entgegen allem möglichen Anschein demutsvoll ist, gerade weil sie das Geheimnis achtet und trotz aller unmittelbaren Schwierigkeiten die Gesamtheit alles Vollkommenen bewahrt; sie ist daher eine Idee, „welche Heiligkeit, Gerechtigkeit und Güte Gottes nicht minder herausstellt als dessen Größe, Macht und Unbedingtheit“ (Préface 37)30.
Indem er so verfährt, kann er auch die Starrheit des traditionellen Ansatzes durchbrechen, wo ja, wie das von Bayle mit seiner gewohnten Emphase zutreffend gesagt wird, als ausgemacht galt, dass Gott, „obwohl er stets untadelige und glückliche Geschöpfe hätte erschaffen können, lieber wollte, dass sie verbrecherisch und ewig unglücklich seien“31.
Bayle geht von dieser Annahme aus, und er nutzt sie als scharfe Waffe, um die traditionelle theologische Argumentation zu widerlegen. Er leistet damit gewiss einen großen Dienst, wenn er spürbar werden lässt, dass der Glaube nach einer geeigneteren Begrifflichkeit suchen muss32. Doch nie fragt er sich recht nach den Gründen, die den Widerspruch ermöglichen. Denn ihm scheint offenkundig – wie eigentlich der gesamten Tradition bis zu ihm und so weiter –, dass jene Voraussetzung sich auf die biblische Offenbarung abstützt; und ganz unbestreitbar lassen sich im Wortlaut der Schrift reichlich Motive dafür finden, wie das ebenso der Mythos von Paradies und Erbsünde als auch die damals unvermeidliche Denkweise belegen, die einen allseitigen göttlichen Interventionismus als offensichtlich annahm.
Hier nun hat Leibniz’ Andersartigkeit seine Wurzel. Denn auch ohne dass er diese Annahme ganz verwirft, wandelt er sie – zumindest der Struktur nach – in etwas Marginales um, indem er sie aus der Mitte der Überlegungen rückt. Und ohne dabei der einzige zu sein, war er es darum, dem es in der Tat gelang, den Epochenwandel einzuleiten, als er eine öffentliche Diskussion auslöste und damit die Notwendigkeit eines richtigen Ansatzes sichtbar machte. Dessen wahre Bedeutung bestand darin, als Ausgangspunkt einer kritischen Reflexion nicht die apriorische Aussage darüber anzusetzen, was Gott hätte tun „können oder müssen“, sondern die aposteriorische Frage danach, was an und für sich selbst möglich oder unmöglich ist, wenn man – gemäß den Anforderungen der neuen Kultur einer Eigengesetzlichkeit – die Konstitution des Wirklichen untersucht33. Dass Leibniz dies nicht mit aller Deutlichkeit hat ausführen können, bezeichnet seine Beschränktheit; dass er aber endgültig die Möglichkeit dazu eröffnet hat, seine Größe. Jedenfalls denke ich, dass hier ein entscheidender Schlüssel zum Verständnis seines Vorhabens liegt.