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Komparatistische Verfassungsgeschichte Aus: Jellinek, Staatslehre, 38–39

Alle menschlichen Institutionen, und daher auch der Staat, sind dynamischer Natur, d.h. sein Wesen ist nicht ein für alle Zeiten festes, sondern ändert sich, bildet sich um, indem es sich dem ganzen Umwandlungsprozesse anschmiegt, den die Menschheit in ihrer Geschichte durchmacht. Um daher ein reich entfaltetes typisches Bild vom Staate zu erhalten, muß man gleichzeitige oder doch zeitlich nicht weit auseinander liegende staatliche Gebilde miteinander vergleichen.

In diesem Band wird daher das Hauptaugenmerk primär auf politische Gesichtspunkte der Staatenentwicklung unter besonderer Berücksichtigung der Verfassungsentwicklung gelegt werden. Im Mittelpunkt steht das Werden der heutigen europäischen Staatenwelt ab dem Ende des 18. Jahrhunderts, nicht jedoch der einzelnen Staaten. Diese Darstellung setzt mit dem Zeitalter der Aufklärung ein.

Der Sinn des Verfassungsvergleichs

Der Verfassungsvergleich in diesem Band dient zunächst als Leitfaden, durch den Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden sollen, um dadurch die eigenen, aber auch fremden Rechtsordnungen zu verstehen. Darüber hinaus gilt es, das Verständnis für die Entwicklung von Verfassungen zu wecken, gekoppelt an die jeweilige politische Staatenentwicklung. Der Vergleich dient außerdem dazu, so etwas Ähnliches wie eine „Europäische Signatur“ auszuarbeiten, Entwicklungsstränge freizulegen, die eindeutig „europäisch“ und nicht nationalstaatlich tendiert sind – im Sinne der Europäistik.

Der Anbeginn des Konstitutionalisierungsprozesses

Aufbau Die Darstellung folgt einem chronologischen Aufbau, differenziert nach Zeitepochen. Den Ausgangspunkt der Betrachtungen liefert die Entwicklung in England und in den bis ins zweite Drittel des 18. Jahrhunderts zu Großbritannien gehörenden 13 Kolonien in Amerika. In Europa setzte der Konstitutionalisierungsprozess und somit die Kodifizierungswelle mit der Französischen Revolution ein. Seit diesem Zeitpunkt steht fest, dass der moderne Verfassungsstaat, wenngleich nicht sofort, doch kontinuierlich, dauerhaft etabliert worden ist. Fest steht auch, dass alle darauffolgenden Verfassungen bis heute mittels Hoheitsakt und nicht selten aufgrund eines revolutionären Aktes zustande gekommen sind. In diese frühkonstitutionelle Phase fallen die Menschenrechtserklärungen, vorrevolutionäre Verfassungsdokumente, Verfassungen der Revolutionsepoche, Verfassungen der Napoleonischen Zeit und Dokumente monarchischer Verfassungsstaaten sowie Bundesverfassungen. Alle Verfassungen beinhalten die wesentlichsten Parameter, die einen „modernen“ Nationalstaat ausmachen: Bestimmungen über die Grenzen der Staatsgewalt, Gewaltenteilung über Staatsform, Struktur des Staatsverbandes, Staatsorgane, fundamentale Rechte sowie programmatische Ziele.

Die Darstellung endet mit dem Jahr 1939

Nach der allgemeinen Einleitung folgt eine kurze Darstellung der Verfassungsentwicklung in England, um dann auf die Entwicklungen in Nordamerika und Frankreich einzugehen. Diese Ereignisse sind Ausgangspunkt für die Darlegung der frühkonstitutionellen Epoche in Gesamteuropa, der die restaurative Epoche folgt. Mit der Darstellung der konstitutionellen Epoche ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 schließt dieses Buch.

Das Jahr 1939 erscheint als sinnvolle Zäsur einer Verfassungsgeschichte Europas: Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges brachte den Verfassungsprozess beinahe in Gesamteuropa zu Fall. Viele europäische Staaten waren schon zuvor zu Diktaturen geworden, teilweise ohne Verfassungen. Jene Diktaturen, die über eine Verfassung verfügten, bedienten sich dieser nur zum Schein! Sie hatten lediglich formelle Bedeutung und keine materiell-rechtliche. Erst nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges folgte die Installation von Demokratien, die die Überleitung in oder Neuerarbeitung von Verfassungen vornahmen. Dies gilt allerdings für Europa nach 1945 nur für seinen westlichen Teil, mit Ausnahmen etwa von Portugal, Spanien und Griechenland.

Frankreich als „Laboratorium“

Jede Epoche umfasst die Darstellung der wesentlichen Verfassungen Europas unter Hinweis auf Gemeinsamkeiten und Besonderheiten, eingebettet in die wichtigsten staatspolitischen Ereignisse. Der Verfassungsentwicklung in Frankreich wird eine zentrale Rolle eingeräumt, nahm doch von hier aus der nachhaltige Konstitutionalisierungsprozess seinen Ausgang. Frankreich diente lange Zeit als Vorbild für die gesamteuropäische Entwicklung: Es bot geradezu ein „Laboratorium“ an Verfassungen, dieser Befund gilt in erster Linie für die frühkonstitutionelle Phase. Auch England nimmt innerhalb des Konstitutionalisierungsprozesses einen wichtigen Platz als role model ein: Es gilt nicht nur als Wiege des Parlamentarismus, sondern hat auch Vorbildcharakter etwa für die Weiterentwicklung der Grundrechte, wie persönliche Freiheit, Eigentumsgarantie, Meinungsäußerungsfreiheit. England wird Vorbild für demokratisch legitimierte Justiz, monokratische Regierungsstruktur oder Ministerverantwortlichkeit.

Eine kurze Beschreibung der wichtigsten Verfassungstheorien wird der Darstellung der Staaten- und Verfassungsgeschichte vorangestellt; die wichtigsten Theoretiker und die Rezeption der Staats- und Verfassungstheorien werden erörtert.

Verfassungsgeschichte Europas

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