Читать книгу Verfassungsgeschichte Europas - Anita Prettenthaler-Ziegerhofer - Страница 11

I. Was versteht man unter „Verfassung“?

Оглавление

Nach herrschender Staatsrechtslehre versteht man unter der Verfassung eines Staates die Summe der geschriebenen und ungeschriebenen Rechtsnormen, die die staatliche Grundordnung, das sind Staats- und Gesellschaftsform, samt den wesentlichen Organisationsprinzipien festlegen. Verfassung bedeutet ganz allgemein die Grundordnung eines Staates, in der geregelt wird, wer wie Recht erzeugt, regiert, kontrolliert. Sie enthält die „Spielregeln“ des staatspolitischen Prozesses und ist somit Rechtsnormerzeugungsregel.

Verfassung als Ordnung des Gemeinwesens

Allgemein wird seit Aristoteles (384–322 v. Chr.) Verfassung als Ordnung des Gemeinwesens verstanden. Diese Ordnung stellten Herrscher und Beherrschte auf. Hinsichtlich der Frage, welches Verfassungsmodell das beste sei, entschied sich Aristoteles für die politie, eine Mischform aus Demokratie (Volksherrschaft) und Oligarchie (die Herrschaft weniger Personen). Damit werden bereits zwei wesentliche Elemente des modernen Konstitutionalismus genannt: Aktivbürgerschaft (durch Wahlen) und Limitierung der Herrschaft.

In der Bewertung der Verfassung Spartas, die Lykurg zugeschrieben wird, wollte Aristoteles, wie übrigens auch Platon (428/427–348/347 v. Chr.), das System von checks and balances als Gewaltenverschränkung erkannt haben, das später ebenfalls ein Merkmal des modernen Konstitutionalismus darstellen sollte.

Die Antike kannte noch keine geschriebene „Verfassung“, nicht zuletzt, weil man kaum eine Unterscheidung zwischen höherrangigen und niedrigrangigen „Gesetzen“ im Sinne einer Normenhierarchie zog, bzw. kaum „erschwerte“ Rechtserzeugungsregeln (etwa Zweidrittelmehrheit) kannte. Der lateinische Begriff constitutiones galt in der spätantiken Kaiserzeit als Sammelbegriff für alle Vorschriften des Imperators mit Gesetzescharakter. Im (späten) Mittelalter fand er nicht im rechtlich-politischen Bereich Verwendung, sondern vornehmlich in der Medizin im Sinne der Beschreibung des Zustandes eines Körpers. Wenngleich bereits im 14. Jahrhundert das Wort „Verfassung“ erstmals im deutschen Sprachraum auftaucht, wurde dieses nicht im modern-rechtlichen Sinne verstanden, sondern erklärte damit nun jenen Zustand, der nach einer Vereinbarung oder Streitbeilegung erreicht worden war. Vereinzelt fand der Begriff Verfassung im deutschsprachigen Raum Anwendung etwa für Erbfolgeregelungen. Seit dem 16. Jahrhundert findet man den Begriff leges fundamentales häufig, in England werden constitution und fundamental laws gleichbedeutend angewandt, was belegt, dass die konstitutionelle Verfassungsbewegung in England an die alteuropäischen leges fundamentales anknüpfte. Diese leges fundamentales, fundamental laws, loi fondamental oder Staatsgrundgesetze, die zwischen Herrscher und Landständen geschlossen werden, sind „für die Ewigkeit“ begründet.

Verfassungsgeschichte Europas

Подняться наверх