Читать книгу Die Klippen von Bridwell - Anke Bütow - Страница 10
Оглавление5
Bevor es Zeit wurde, Harry abzuholen, setzte Kate sich noch ans Erkerfenster und sah in den Garten. Sie hatte sich eine Tasse Tee gemacht, denn ein kleiner Wasserkocher mit allem Notwendigen stand auf einem Tablett bereit. Die Sonne schien ins Fenster, und ihr war warm. Sie zog ihre Wolljacke aus und genoss einfach den schönen Blick über den Rasen bis in die Ferne zum See.
Die Sonne schien noch ins Fenster, doch plötzlich wurde ihr kalt. Sie strich sich prüfend über ihr Haar: Es fühlte sich ganz warm an. Die Kälte kroch in ihren rechten Arm. Sie betrachtete ihren Arm und sah, dass sie eine Gänsehaut hatte. Woher kam diese Kälte? Sie stand auf und schüttelte ihn – vielleicht war er irgendwie „eingeschlafen“.
Es klopfte, und Jane kam herein mit frischen Handtüchern.
„Ist Ihnen nicht gut, Madam?“, fragte sie.
„Doch, Jane, es ist nichts. – Mir war nur plötzlich irgendwie kalt“, sagte Kate und zog sich ihre Wolljacke wieder an.
Jane wartete in der Tür. „Ist es jetzt besser, Madam?“
„Ehrlich gesagt, noch nicht ganz. Ich weiß nicht, wie es kommt, dass ich so ein Kältegefühl habe. Sehen Sie meine Haut! Es ist ganz eigenartig.“
„Machen Sie sich keine Sorgen, das kommt hier schon mal vor.“ Und dann fuhr sie leiser fort:
„Dann ist sie wieder hier.“
„Was meinen Sie mit ‚sie‘?“, fragte Kate.
„Wie gesagt, machen Sie sich keine Sorgen. Es ist halt ein altes Haus. Gehen Sie einfach nach draußen, dann fühlen Sie sich völlig in Ordnung.“
„Jane, wohnen Sie auch hier im … ?“
„Nein, natürlich nicht“, sagte Jane, „in Glenton. Hier wohnt niemand vom Personal.“ Und sie verließ das Zimmer.
Die Kälte kroch ihr nun deutlich spürbar in den linken Arm ... und verschwand wieder.
Ach was, dachte Kate, ich will doch nicht anfangen, hysterisch zu sein.
Und sie fuhr los, um Harry abzuholen.
Als sie am Anlegesteg ankam, fuhren die Boote gerade auf den Steg zu. Harry sprang aus seinem Boot heraus und vertäute ein Seil. Dann kam er ihr entgegen.
„Mum, geh schon vor zum Auto, ich komm gleich, ich muss mich nur grad von meinen Kumpels verabschieden.“
Er hatte begeisterte Augen, winkte ein paarmal zurück, als sein Name gerufen wurde. Sie hatte einen verwandelten Sohn.
„Dir scheint dein Kurs zu gefallen, Harry.“
„Schon, sehr eigentlich – trotzdem: Ich dachte, wir segeln einfach. Es ist aber so viel Mathematik dabei. Und Edward ist ein bisschen zu genau mit allem. Ohne Schwimmweste geht erst mal gar nichts. Dabei – wenn ich ins Wasser fallen würde, wäre das für mich doch nicht gefährlich. Schließlich bin ich ein guter Schwimmer.“
„Er hat Erfahrung, Harry. Und er kennt die Gefahren sicher besser als wir.“
„Heute Morgen haben wir ein Mann-über-Bord-Manöver gemacht. Wusstest du, dass einer der Gruppe nichts anderes tun darf, als den Mann – wir sagen immer ‚Mann‘, auch wenn es ein Mädchen ist – zu beobachten und ihn im Wasser nicht aus den Augen zu lassen? Er darf nicht mithelfen, sondern muss nur gucken.“
„Und musste einer von euch über Bord?“
„Nein, das hat Edward selbst gemacht, im Neoprenanzug. – Ich hätte das aber auch freiwillig gemacht.“
„Ich glaube, du bist ganz gut bei ihm aufgehoben, meinst du nicht?“
„Eigentlich würde ich lieber erst mal lernen, richtig schnell über den See zu segeln, also richtig mit Tempo. Aber Edward achtet auf alles. Wir müssen immer auf unsere Hände und den Kopf aufpassen. Die Schot darf nicht aus der Hand rutschen, man verbrennt sich sonst die Haut durch die Reibung. Und wenn man nicht supergenau auf seinen Kopf achtet, sieht man Sterne. – Aber jetzt hab ich einen wahnsinnigen Hunger!“
Abends versuchte Kate, Ron anzurufen, aber sein Handy war ausgeschaltet. Sie sprach nur auf seine Mailbox, dass es ihr gut gehe und sie sich über einen Anruf von ihm freuen würde.
Sie ging noch einmal vors Haus, vielleicht um nach Edward zu suchen, aber es waren neue Gäste angekommen, er hatte wohl mit ihnen zu tun. Sie kamen in einem großen weißen Volvo: ein Ehepaar mit mehreren Kindern. Auf dem Dach des schweren Autos waren mehrere Koffer befestigt. Sie schienen länger bleiben zu wollen. Soviel sie beobachten konnte, wohnte die neue Gastfamilie in den „Stables“.
Erst fiel es ihr schwer, einzuschlafen, sie dachte noch an den Nachmittag und die Kälteempfindung, tat sie aber als Überempfindlichkeit ab. Sie sah noch einmal nach Harry, strich ihm sein helles Haar aus der Stirn, obwohl er das eigentlich nicht mehr mochte. Als sie ihren Kopf aufs Kissen legte und sich wie immer vergewissern wollte, dass sie ihr Amulett trug, merkte sie, dass sie vergessen hatte, es umzulegen. Sie stand wieder auf, holte es aus ihrer Handtasche, öffnete im Dunkeln den Verschluss, las noch einmal die Inschrift im Licht ihrer Nachttischlampe und legte es sich um, wie sie es immer nachts tat, wenn sie allein war.