Читать книгу Die Klippen von Bridwell - Anke Bütow - Страница 9

Оглавление

4

Emma nahm den dampfenden Apfelkuchen aus dem Herd und stellte ihn auf den Küchentisch. Sie war stolz auf ihr Werk: Die Äpfel waren aus ihrem Garten, vom letzten Sommer, aber von ihr eingeweckt, und die tagesfrischen Eier für den Kuchen stammten von ihren eigenen Hühnern. Sie wusch sich die Hände, sah prüfend in den Spiegel: Na ja, abnehmen würde sie in den nächsten fünf Minuten nicht, sie konnte John ruhig rufen, aber sie band sich ihre Schürze ab. Das ist das Wunderbare an übergewichtigen Freunden, dachte sie, sie geben einem so ein herrlich schlankes Gefühl. Dann rief sie John, der im Gewächshaus alles stehen und liegen ließ, sich die Hände abspülte, Emma in die Küche folgte und dem Stuhl ein wenig mehr Abstand vom Tisch verschaffte. Er nahm am Tisch Platz.

„Gesegnet, die auf Erden Frieden stiften“, sagte John und strahlte über das breite Gesicht.

„Ja, ja“, sagte Emma. „Hat Shakespeare das über Apfelkuchen gesagt? Mir soll’s recht sein.“

„Hier fehlt noch etwas, Emma. Du verlangst doch nicht etwa, dass ich den Apfelkuchen ohne was esse?“

„Sieh nach, ob noch etwas da ist. Aber denk an die Kalorien!“

„Emma, auch das wusste Shakespeare besser: ‚Enthaltsamkeit erzeuget Krankheit nur!‘ Jetzt, da Kate und Harry nicht da sind, hätte ich gar nicht mit etwas so Schönem gerechnet.“

John füllte sich genüsslich Clotted Cream auf.

Das Telefon läutete. Emma nahm ab. Es war Ron.

„Nein, Kate ist nicht hier. – Nein, tut mir leid, das geht nicht, ich weiß es auch nicht. Sie wollte ein paar Tage mit Harry wegfahren, damit er noch ein bisschen was von seinen Ferien hat. Das hat sie Ihnen ja bestimmt gesagt. – Nein, keine Ahnung, sie hat sich noch nicht gemeldet. – Oh, das klappt schon, John macht das. – Und geht alles gut bei Ihnen? – Ja, ich richte es ihr aus, wenn sie anruft. Auf Wiederhören.“

„Nachricht für Kate: Er muss für zwei Tage zu einer Patientin nach Bath. – Was machen die Buchsbäume, John?“

„Die tun alles, was man ihnen sagt. Man muss nur darauf achten, dass die kleinen genug Wasser haben, das ist alles. Da brauchen meine Mauern schon eine stärkere Hand. – Was bist du, Emma, Buchsbaum oder Mauer?“

„Komm du mir mit ’ner Schere zu nahe – dann wirst du’s schon rausfinden!“

Harry folgte Edward durch das weite, dunkle Treppenhaus. Kate ging zögernd hinter ihnen her. Edward schloss eine Tür auf, und Harry und Kate traten ein. Kate ging gleich durch das Zimmer hindurch, trat an ein helles großes Erkerfenster und sah hinaus: ein wunderschöner Blick über den Rasen und die seitlichen Tulpenbeete, das Wäldchen bis hin zum See. Ein noch viel schönerer Blick als von den Stables! Wie herrlich! Und Rhododendren, so weit das Auge reichte. Wie märchenhaft würde es hier später im Jahr sein! Und dann die Rosen überall!

Hinter dem Rasen eine lang gezogene Stützmauer, und auf dem wilden Teil des Rasens weiter unten Schafe mit vielen entzückenden Lämmern. Und dann am Haus: kleine Buchsbaumhecken, die müsste sie sich morgen eigentlich mal genauer ansehen …

Sie wandte sich um und betrachtete das Innere des Zimmers. Ein großes Four-Poster Bed – es schien ihr neu zu sein –, hell geblümte Bettwäsche, bequeme Sessel, ein Frisiertisch, Bücher, ein Kamin aus weißem Marmor, schöne Bilder – alles großzügig und hell.

Edward war mit Harry in das angrenzende Zimmer gegangen, das sowohl eine Zwischentür zu ihrem Zimmer hatte als auch eine Tür zum Treppenhaus. Edward kam zu Kate zurück.

„Mir gefällt es hier. Sehr sogar. – Aber es ist sicher teurer als in den Stables!“, sagte Kate.

„Sie haben doch schon für die ganze Woche bezahlt. Das ist also erledigt“, sagte Edward, „bitte fühlen Sie sich wie zu Hause. Und machen Sie mir bitte die Freude, mit mir und meinem Vater später ein Glas Wein zu trinken. – Harry, magst du Ginger Ale?“

Es wurde wieder spät, als Kate sich in ihrem neuen Zimmer in das breite Bett legte. Zwei unruhige, fast schlaflose Nächte lagen hinter ihr, und sie freute sich auf eine wirklich entspannende Nacht. Sie dachte an den zurückliegenden, sehr besonderen Tag. Es war eine harmonische Stunde mit dem wortkargen, aber nicht unfreundlichen Sir Gordon und mit Edward gewesen. Eigenartig, als Fremde, noch dazu nach einem Konflikt, eingeladen zu werden. Die Gesprächsthemen waren sehr unverbindlich gewesen, sie hatte von ihrer Gärtnerei erzählt, Edward von der Segelschule, Sir Gordon hatte sich zynisch zur Steuerpolitik geäußert, und Harry hatte sich angesichts des Fernsehers und einiger dazugehöriger DVDs in seinem Zimmer schon bald verabschiedet.

Kate hatte das Fenster offen gelassen; das machte es ihr leichter, mit diesem schönen Blick über den Rasen zum See einzuschlafen. Sie wollte heute Nacht dieses Haus, diesen Garten und die weite Landschaft mit dem dunklen Wasser in ihre Seele aufnehmen.

Als sie aufwachte, war es schon hell. Sie besann sich einen Augenblick, und ihr wurde bewusst, wo sie war. Sie sprang aus dem Bett und sah sofort nach Harry; sie hätte sich schon längst um ihn kümmern müssen! Als sie ihn nicht fand, ging sie so schnell wie möglich nach unten. Von Jane erfuhr sie, er habe seine Angelegenheiten schon selbst geregelt, gefrühstückt, und Edward hatte ihn gleich am Morgen nach Glenton mitgenommen, sie brauchte ihn also nicht einmal zur Segelschule zu fahren.

Also ein kaum vorstellbarer Morgen! Ohne Verpflichtungen! Den Vormittag verbrachte sie einfach so, ohne etwas zu tun, im Park von Dale House, setzte sich mit einem Band von Wordsworth-Gedichten, den sie in ihrem Zimmer vorgefunden hatte, auf ein Mäuerchen und las, zupfte hier und da – sie konnte einfach nicht anders – Wegerich und Löwenzahn aus dem Rasen – und sah weiter unten, schon nahe dem See, den Schafen mit ihren springenden und stupsenden Lämmern zu. Aber wenn sie an den kleinen Buchsbaumhecken entlangging, hielt sie ihre Hände bewusst hinter dem Rücken zusammen.

Gegen Mittag wollte sie nach Glenton fahren, um in dem gemütlichen Tearoom von gestern einen kleinen Lunch zu sich zu nehmen. Edward kam ihr auf der Auffahrt entgegen und setzte bis zu einer Ausweichstelle zurück. Er stieg aus.

„Heute haben die Kids Wetterkunde, da werde ich nicht gebraucht. – Wie steht es mit Ihren Kenntnissen in der Abteilung Salatsoßen?“, fragte er.

Sie sah ihn etwas verwirrt an.

„Also weiter unten bitte wenden, zurückfahren, ich richte den Salat, und Sie machen die Soße? Ich bin ein hervorragender Salatkompositeur.“

Sie gingen in die riesige Küche. Gehörte sie nach einem Tag schon irgendwie zur Familie? Bei jemandem in der Küche zu sein, das fühlt sich wie Freundschaft an, dachte Kate. Was für eine Küche! Sie war renoviert – zuletzt wahrscheinlich vor zweihundert Jahren, dachte sie –, aber sie mochte die traditionellen Küchen gern mit ihren schwarz-weißen Fliesen, den gemauerten Herden und den gusseisernen Geräten darüber. Die alten Teller, blau und weiß, standen auf den Borden, und die vielen bunten Becher hingen an Haken. Immerhin war auch ein elektrischer Herd da. Eine Katze mit rötlichem Fell lag auf einem Sessel mit weinrotem Samtbezug, der schon bessere Tage gesehen hatte. Eigenartig, dachte Kate, Katzen legen sich immer so hin, als seien sie bereit, sich sofort für einen Katzenkalender fotografieren zu lassen. Aber gleichzeitig demonstrieren sie, dass es ihnen vollkommen gleichgültig ist, wie jemand sie bewertet.

„Darf ich Ihnen Ginger vorstellen? Bei ihr dürfen Sie sich über nichts wundern, sie ist etwas exzentrisch.“

„Hallo, Ginger“, sagte Kate, „nett, dich kennenzulernen.“

Die Katze ließ sich nicht stören.

„Tut mir leid“, sagte Edward, „höflich war sie noch nie. Sie tut immer exakt das, was sie will, ohne den kleinsten Kompromiss. Das hat sie uns voraus. Und sie zeigt immer, was sie denkt, aber behält es trotzdem für sich.“

„Bei Ihrem Vater ist es auch ein bisschen so, oder?“ „Kann schon sein.“

Warum lädt er mich ein?, fragte Kate sich und setzte sich an den gescheuerten Holztisch, den Edward in der Zwischenzeit gedeckt hatte. Er schenkte ihr und sich selbst einen trockenen Sherry ein, dann suchte er in der Speisekammer nach frischen Salaten: Blattsalaten, Avocado, Frühlingszwiebeln, Radieschen und kaltem Huhn. Er stellte ihr verschiedene Öle, Kräuter und Zitronen hin, und sie bereitete die Soße aus Olivenöl, Zitrone, Basilikum und frisch gemahlenem Pfeffer zu. Dazu aßen sie einfaches helles Brot und tranken einen fruchtigen italienischen Weißwein. Es schmeckte ihr gut. Sie freute sich an dieser Situation, denn sie war so unbelastet. Im Grunde – das wurde ihr in diesem Augenblick klar – waren die Mahlzeiten mit Ron immer unter Spannung. Und sie wusste, dass sie bestimmte Themen nicht ansprechen durfte: Planungen, seine Arbeit, Termine – und die Frage, wann sie ihn wiedersehen würde.

Dieser Augenblick jetzt war so freundlich! Sie hatte das Gefühl, sie könne heiter sein, viel heiterer, als es in Rons Gegenwart möglich war.

Edward legte sein Besteck gegen den Teller und sah sie an: „Ich freue mich, dass Sie mir Gesellschaft leisten.“

Kate brauchte eine Weile, um ihn ansehen zu können. „Sie meinen, wegen der Soße?“

„Nein, natürlich nicht, die ist schon sehr gut, könnte aber noch ein wenig Chili vertragen.“

„Warum denn dann?“

„Wegen Ihrer Sommersprossen natürlich!“, sagte Edward.

„Lassen Sie mich kurz überschlagen“, sagte Kate. „Unter Ihren Sommergästen sind jedes Jahr circa fünfzig Frauen zwischen zwanzig und vierzig. Ein Drittel hat vielleicht Sommersprossen, großzügig gerechnet. Sagen wir, ein Viertel – das ist leichter: Wenn Sie jede am zweiten Tag Ihrer Bekanntschaft eine Salatsoße machen lassen, dann hätten Sie, sagen wir, in fünf Jahren … oh, ich bin schlecht im Kopfrechnen mit großen Zahlen – schon einige Soßenvarianten.“

„Bitte schön – hier sind viele Varianten möglich, wir haben nämlich sehr verschiedene Kräuter. Wollen Sie unser Gewächshaus sehen? Ich bin selbst gespannt, wie weit alles ist. Ich zeig es Ihnen gern. – Aber, ehrlich gesagt, so oft zeige ich es nicht. Sie sind durchaus eine Ausnahme.“

Als sie gegessen und mit wenigen Handgriffen aufgeräumt hatten, führte Edward sie durch das Gartenzimmer auf die rückwärtige Terrasse.

Edward rief Fellow, den Border Collie, der sofort von irgendwo angelaufen kam und seinem Herrn nicht von der Seite wich. Er führte sie durch mehrere schöne alte Nebengebäude, die wie das Haus aus grauem Granit gebaut waren. Sie dienten der Vorratshaltung. Weitere Nebengebäude waren ein Kutschenstall und eine Scheune mit duftendem Heu und Stroh. Dann gingen sie ins Gewächshaus. Es war hier wärmer als draußen und die Luftfeuchtigkeit hoch. Wie herrlich! Kate sah unterschiedliche Tomatensorten – das erkannte sie an den Blättern –, ein Hochbeet mit vielen verschiedenen Küchenkräutern, sogar Ananas, Avocados, Champignonkulturen, Rosenpflanzen und viele Stauden. Kate konnte sich nicht sattsehen.

„Wann kommen Ihre Rosen nach draußen, Edward?“

„Schon bald. Der Frühling ist voraussichtlich milde. Ich nehme an, in zwei Wochen.“

„Das denke ich auch. Ihre sehen gesund aus. – Müssen Sie sie spritzen?“

„Das versuche ich zu vermeiden. Ich habe da meine eigenen Mittel. Familienrezept.“

„Geheimnis? – Brennnesselsud?“

„Das ist auch kein schlechtes Mittel. Nein, Ihnen sage ich es sogar. Ich nehme zum Pflanzen alten Pferdemist, das ist immer gut, und das machen ja auch die meisten Leute auf dem Land, aber ich lege auch einige Knoblauchzehen ins Pflanzloch. – Also, was man gewöhnlich gegen Vampire nimmt.“

„Weil Blattläuse so ähnlich vorgehen?“

„Genau. Hilft immer.“

„Die armen edlen Rosen! Ob die wohl damit einverstanden sind? Und stört das die Duftnote?“ „Nur meine eigene beim Pflanzen. Aber kommen Sie wieder, wenn sie blühen, und prüfen Sie das nach, Kate! Ich finde, sie duften bezaubernd.“

Edward legte er ihr wie beiläufig seinen Arm um die Schulter, um sie zu seiner eigenen Züchtung zu führen.

„Wie heißt sie?“ Kate löste sich und bückte sich zum Namensschild. „Edward, ich bin übrigens verheiratet, glücklich verheiratet.“

„Ja, natürlich“, sagte Edward, „entschuldigen Sie.“

Kate las „Beatrice“. Sie sah ihn freundlich an. „Eine wunderschöne Rose. Hat der Name ‚Beatrice‘ eine besondere Bewandtnis?“

„Ja, das hat er“, sagte Edward.

Die Klippen von Bridwell

Подняться наверх