Читать книгу Die Klippen von Bridwell - Anke Bütow - Страница 7

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Irgendetwas kochte in ihr hoch, als der Zug ihren Blicken entschwunden war. Immer wurden die wichtigsten Themen zwischen ihnen gerade mal erwähnt, wenn der Zug in den Bahnhof einfuhr. Sie fühlte sich elend und wusste nicht, ob es nur der Abschiedsschmerz oder auch ein wenig Wut war. Wie soll ich auf mich aufpassen? Wie es mir wirklich geht, ist doch nicht wirklich wichtig für dich! Dass du es hier gemütlich hast und ich mein Haar nicht abschneide – ist das alles? Aber auf der anderen Seite hatte er recht: Sie war schon lange nicht mehr bei ihm in London gewesen, vielleicht sollte sie es wirklich bald wieder tun.

Sie fuhr eilig zurück. Hoffentlich war Harry wieder da, und hoffentlich würde er nicht auch ihr gegenüber abgewandt bleiben. Sie fuhr schneller. Am Haus angekommen, sah sie, dass Harrys Fahrrad da war. Ein Glück.

Sie ging in die Küche und bereitete Shepherd’s Pie zu und schob ihn in den Ofen, das mochte Harry gern. Die oberste Schicht, das Kartoffelpüree, musste knusprig und goldgelb sein, die Fleischsoße darunter würzig und alles reichlich. So mochte er es.

Harry aß, aber sprach kein Wort.

Am späten Vormittag – Harry schlief noch – fuhr Kate nach Bridwell, eigentlich ohne triftigen Grund, aber es gab natürlich immer etwas zu besorgen. Sie liebte Bridwell mit seinen strohgedeckten Natursteinhäusern und altmodischen Lädchen. Die Einkäufe waren schnell getan, und sie fuhr durch das kleine Waldstück zurück, wo sich die Straße in zwei schmalere Straßen verzweigte. Die kleinere Straße führte zu ihrem Cottage am Meer. Die von hohen Hecken gesäumte Straße war zwar geteert, aber so schmal, dass Autos nicht aneinander vorbeifahren konnten. Früher wurden hier Schafe von den Weiden oberhalb der Klippen in weiter landeinwärts gelegene Gehege getrieben. Einige Schafe gab es auch noch auf den Klippen, um die sich Kate manchmal kümmerte, wenn sie sich mit ihrem dicken Vlies am Zaun verfangen hatten.

Die Hecke ging in eine Natursteinmauer über, die sie besonders mochte. Zwar von Menschen gemacht, aber doch auch Natur und die schöne wellige Landschaft nicht störend. Und John, ihr guter alter Freund John, hatte sie gebaut oder jedenfalls wieder aufgebaut, denn sicher war sie schon vor Jahrhunderten angelegt worden.

Sie bog in ihre kleine Einfahrt ein und hielt vor ihrem Gewächshaus an. Der Kies knirschte. Kate setzte erst einmal Teewasser für sich auf. Süßer Tee aus ihrem Teebecher, den sie immer nahm, würde ihr guttun und sie ruhiger werden lassen.

Jemand klopfte an die Fensterscheibe. Sie schreckte hoch. John. Seine kräftige Gestalt war unverkennbar – Harry nannte ihn manchmal „Obelix“, wenn er es nicht hörte, aber Johns gutmütiges Naturell hätte diesen Namen nicht übel genommen.

„Komm rein, John“, winkte sie ihm zu. „Du kommst gerade recht, um eine Tasse Tee mit mir zu trinken.“

„Was ist mit dir, Kate, alles in Ordnung?“

„Ja, eigentlich schon, nur dass unsere Reise nicht stattfindet. Ron hat Verpflichtungen und muss hierbleiben. Aber das werden wir nachholen. Du brauchst mich also nicht im Gewächshaus zu vertreten.“

„Schade“, sagte John und fuhr sich durch sein wuscheliges, grau werdendes Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war, „ich bin ja freischaffender Künstler – ich hätte Zeit gehabt, das diese Woche zu tun, und ich habe mich darauf eingestellt.“

Künstler!, dachte sie. Wenn sich ein Trockenmauerbauer Künstler nennt – das gefällt mir, aber sie sagte nichts.

„Außerdem habe ich schon mit Emma darüber gesprochen“, sagte John.

Sie goss die losen Teeblätter in einer Kanne auf, nahm ihren geblümten Becher für sich selbst vom Haken des alten Küchenbuffets und einen großen kräftigen Steingutbecher für John. Er hatte so robuste Hände, dass seine Finger sich kaum um einen Henkel schließen konnten. John brauchte seinen eigenen Becher, und er hatte die Gewohnheit, sich erst Milch einzugießen. Das wusste Kate und goss ihm erst Milch in den Becher, dann seinen Tee darauf. Bei ihr selbst musste es umgekehrt sein: erst Tee, dann Milch.

Einen Augenblick schwiegen sie.

John sah sie an, seufzte und sagte: „Gott hat Euch ein Gesicht gegeben, und Ihr macht Euch ein anderes.“

„Oh, lieber John“, versuchte sie zu lächeln, „wahrscheinlich schon wieder Shakespeare! Was meinst du denn damit?“

John erhob sich schwer, gab ihr einen Kuss auf die Wange und sagte: „Du bist so hübsch, Mädchen, und dein Mann war am Wochenende bei dir – wo leuchtet denn deine Freude? Ich kann sie nicht entdecken. – Und wenn Ron keine Zeit hat – warum fährst du denn nicht mit Harry weg? – Ich mach meinen Job bei deinen geliebten Buchsbaumbabys – keine Sorge!“ „Wirklich, John? – Ich weiß nicht. So etwas habe ich noch nie allein getan. Aber das ist gut zu wissen, danke. Du brauchst sie ja nicht zu schneiden. Sieh nur zu, dass die Stecklinge feucht gehalten werden, das ist alles. Nicht zu feucht natürlich. Und die großen kannst du alle verkaufen – das wär schön! – Aber ich werde wohl hierbleiben.“

Kate wartete das sich entfernende Geräusch, das John und sein Fahrrad auf dem Kies machten, ab und lief dann schnell die Treppe nach oben und fing an zu packen. Das war in wenigen Minuten geschehen, und sie trug zwei Koffer in den Rover. Und ein paar Decken, Platzprobleme gab es ja nicht.

Packen ist ja noch keine Entscheidung, dachte Kate. Und der Tag verging mit Routinearbeiten im Gewächshaus, Harry war kaum ansprechbar und blieb in seinem Zimmer

Am Abend kam er aus seinem Zimmer hinunter in die Küche, redete aber nicht. Da wuchs Kates Entschluss plötzlich. Sie dachte, Vorreden seien im Augenblick nichts für ihn, deshalb musste sie direkt sein. „Morgen früh fahren wir los“, wollte sie gerade sagen, aber sie besann sich: Der Entschluss wurde mächtig. Nein! Sofort!

„Harry, nimm alles mit, was du für Wassersport in deinem Zimmer findest. Und warme Sachen! In einer Stunde fahren wir los. Gleich nach dem Essen.“

„Wieso?“, fragte Harry. „Wohin denn, es wird doch gleich dunkel!“

„Das ist mir völlig egal, Harry. Also, wir fahren! Ich rufe nur noch Emma an, damit sie sich hier um alles kümmert, denn ich will nicht erst die Küche aufräumen. John weiß sowieso Bescheid. Wir beide fahren los, fertig. Du sollst deine Ferien haben.“

Während des Essens taute Harry langsam auf.

„Und wohin willst du? Gibt es hier in der Nähe so etwas wie Klein-Hawaii mit hohen Wellen und 30 Grad Wassertemperatur?“

„Das vielleicht nicht. Aber wir machen das Beste aus dieser Woche für uns beide, weil Daddy leider nicht abkömmlich ist. Wir fahren einfach ins Blaue und bleiben, wo es uns gefällt.“

„Also Hawaii für Arme! – Na ja – besser als nichts“, sagte Harry.

Eine Stunde später ließen sie das Dorf hinter sich. Die Feldmauern warfen breite Schatten. Die Sonne ging blutrot unter. Wenn die Straße über eine Hügelkuppe führte, konnte sie noch einige Male die untergehende Sonne sehen. Dann wurde es dunkel. Ohne Plan fuhr Kate weiter, einfach weiter nach Norden, erst Landstraßen, dann auf die Autobahn. Harry hörte keine Musik mehr, er war schon auf seinem Sitz, den er in die Liegeposition gekurbelt hatte, eingeschlafen. Der Vollmond stieg auf.

Kate sah auf die Uhr – sie war lange gefahren. Es war nach Mitternacht. Sie scherte bei der nächsten Raststätte aus, hielt auf dem Parkplatz, wo er gerade noch ein wenig beleuchtet war, deckte Harry zu, kurbelte ihre Lehne zur Liegefläche. Dann durchfuhr sie ein Schreck. Hatte sie ihr Amulett vergessen? Sie suchte danach, und ihre Finger ertasteten es unter ihrem Pullover.

Die Klippen von Bridwell

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