Читать книгу Die Klippen von Bridwell - Anke Bütow - Страница 15
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Kate hatte gerade Snacks für Harry und sich improvisiert, und sie wollten vor Harrys Fernseher essen.
Er hatte schon einige Stunden für seine Segelscheinprüfung gelernt. Trotzdem war er nervös wie vor jeder Prüfung.
„Meinst du, dass ich bestehe, Mum?“
„Natürlich. Denke einfach daran, dass dir in dieser Woche alles Spaß machen soll, vielleicht sogar die Prüfung. Du lernst ja, damit du das Segeln kannst und deswegen diesen Sport genießen darfst. Und da gibt es viel zu genießen: den See und die Berge und Freundschaften – und einfach in einem anderen Element zu sein, dem Wasser. Aber die Sicherheit muss dabei eben beachtet werden, und das darfst du alles lernen. Und solltest du nicht bestehen, macht es ja nichts. Dann essen wir ein Eis und fertig. Und du hast ja trotzdem etwas gelernt.“
„Das sagst du so einfach, Mum, aber hast du eine Ahnung, wie man sich als Loser fühlt?“
„Wir machen hier einfach ein paar Tage Ferien. Du solltest dich nicht unter Druck fühlen.
Wenn du es schaffst, ist es einfach ein zusätzliches Plus, weiter nichts, Harry – und du schaffst es.“
Der Abend war nach Harrys Geschmack vorbereitet: Cola, Barbecue Chips, Salami zum Reinbeißen und Käsewürfel. Jetzt ein Harry-Potter-Film. Kate hätte lieber gelesen, aber sie genoss auch die Gemeinsamkeit mit ihrem Sohn.
Es klopfte. Edward stand vor der Tür.
„Kate, wollen Sie und Harry mir die Freude machen und mit mir essen?“
Kate sah zu Harry. Er machte eine freundliche, aber doch abwehrende Geste und zeigte auf seine Chips.
„Ich fürchte, Harry hat schon seinen Film angefangen, und das ist so, als wollten Sie einem Hund den Knochen wegnehmen.“
„Harry“, rief Edward, „interessiert dich etwa nicht meine neue glatte Petersiliensorte?“
„Also, ehrlich gesagt …“
„Verstehe vollkommen, Harry. – Und Sie?“ Edward sah Kate erwartungsvoll an.
Kate warf Harry einen fragenden Blick zu. Er gab ihr ein Zeichen, dass er seinen Film weiter sehen wollte, aber hielt seinen Daumen hoch.
„Brennend, Edward, wenn es um Petersilie geht, immer!“
Als Kate wieder in diese Küche kam, war ihr die Größe schon vertraut: der lange Tisch in der Mitte, der gusseiserne Herd und die elfenbeinfarben gestrichenen offenen Küchenschränke. Es war einfach, aber liebevoll für drei gedeckt, und Edward stellte Harrys Teller auf die Seite.
Er zündete eine Kerze an und servierte Kate Saltimbocca à la Romana.
„Ich dachte, es gibt Petersilie?“
„Enttäuscht? Aber ich dachte, Salbei passt besser. – Wäre Harry bei Salbei doch mitgekommen?“
„Ich fürchte, das wäre kein großer Unterschied für ihn. – Laden Sie oft Gäste ein?“
„Nein. Absolut nicht. Aber es ist niemand da, mein Vater isst auswärts, und ich hatte keine Lust, allein zu essen, und habe mir ein Opfer gesucht.“
„Dazu hätte eigentlich auch Lamm gepasst“, sagte Kate
Edward sah sie fragend an.
„Nein“, sagte Kate, „die Lämmer sind so entzückend. Ich habe immer schon eine große Freude daran gehabt, ihnen zuzusehen. Neben meinem Garten zu Hause ist eine Weide. – Und eigentlich verstehe ich nicht, warum Lämmer als Opferlamm herhalten müssen. Ich meine, in der Geschichte.“
„Das ist ganz einfach. Wenn ein Lamm angegriffen wird, zum Beispiel von einem Wolf, verfällt es in eine Schreckstarre und wehrt sich nicht. Vielleicht hat das in der Evolution seinen Sinn. Ja, sicher. Die Fressfeinde sollen denken, die Beute sei schon tot, und von ihnen ablassen. – Und so haben sich Lämmer auch nicht gegen die Opferpriester gewehrt, die Evolution hat Kulthandlungen leider nicht berücksichtigt. Die Religionen hauen, wenn man es so betrachten will, in eine verhaltenspsychologische Kerbe.“
„Und wie ist es bei erwachsenen Schafen? Ist das genauso?“, fragte Kate.
„Ich denke schon. Jedenfalls bei den weiblichen. Die Böcke haben ja ihr Geweih, um sich zu wehren.“
„Wenn man das einmal bedenkt … Das ist doch eigenartig: Die Fleischfresser haben die Jagdlust und außer ihren Zähnen keine Waffen, und die friedlichen Pflanzenfresser haben starke Defensivwaffen. Eigentlich doch sinnvoll … Verteidigt eigentlich ein Bock im Notfall seine Auen?“
„Ich denke nicht. Bei den Herden kommen auf einen Bock so dreißig bis fünfzig Auen – das würde er nicht schaffen. Und in der Wildnis leben die Böcke in eigenen Gemeinschaften und die Auen in ihren. Nur im Herbst suchen sie sich.“
Ob es das Verhalten bei Menschen auch gibt?, fragte sich Kate.
„Ihr Mann lebt in London, hat Harry mir gesagt …?“
„Ja, wegen seiner Praxis. Ich fürchte, bei mir auf dem Lande sind die Leute zu gesund, da lohnt es sich nicht. Er ist Psychotherapeut.“
„Gehen Sie auch zu ihm, wenn Sie ein Problem haben?“
„Ich? – Nein. – Nein, ich fürchte, das wäre nicht möglich. – Bei Ärzten ist es ja auch so: Für die eigene Familie ist wenig Zeit. – Mir geht es ja auch gut.“
Sie schwieg eine Weile.
„Und außerdem: Ich möchte mir auch nicht so vorkommen wie eine Patientin. Seine Fragen klingen dann immer irgendwie so professionell. Ich denke fast, er macht sich Notizen und schickt mir eine Rechnung. Und das mag ich nicht so gern. – Aber er kommt nicht mehr so oft, ungefähr zwei…, eigentlich etwas weniger, so etwa einmal im Monat, und dann ist es immer schön. Das ist eine gute Lösung. Ich habe ja auch zu tun. Vielleicht können wir auch bald zusammen in London wohnen. – Und Sie, Edward, sind Sie eigentlich verheiratet?“ Edward antwortete nicht gleich. Er nahm erst einen Schluck Wein. „Nein … das heißt, ich war … aber das ist schon lange her.“
„Mögen Sie mir sagen … Ich meine, hat der Gedenkstein unten am Waldrand etwas mit ihr zu tun? Er steht an einer wunderschönen Stelle.“
„Ja. – Ein anderes Mal. – Kate, mögen Sie Chianti?“
„Sehr gern, danke.“
Sie schwiegen.
„Edward, wenn wir schon ein bisschen in Italien sind … falls Sie noch etwas Weißwein offen haben und Eier, würde ich uns noch eine Zabaglione machen. Mein Großvater war nämlich Maler und hat viele Jahre in Italien verbracht. Seitdem gehört Zabaglione zu unseren ganz besonderen Mahlzeiten.“
„Kate, machen Sie Zabaglione. Ich werde sie genießen. Und ich freue mich, dass Sie mir Gesellschaft leisten. Aber wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, lassen Sie uns nicht über die Vergangenheit reden.“