Читать книгу Die Klippen von Bridwell - Anke Bütow - Страница 11

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Harry war beim Segeln und brauchte sie nicht, und Kate hatte plötzlich Lust, etwas Neues zum Anziehen zu kaufen. In der Gärtnerei trug sie Jeans und Pullis. Nur wenn Ron kam, bemühte sie sich, etwas Hübsches zu tragen, aber eigentlich war ihre Kleidung kein Thema zwischen ihnen. Wenn sie in London lebte, wäre das natürlich etwas anderes, da müsste sie sich wohl umstellen. Sie sah sich in dem großen Spiegel in ihrem Zimmer an. Mit ihrem Haar konnte man sowieso nichts machen, das Rötliche hatte sie nie gemocht, und es war hoffnungslos kraus. Sie hielt es meist mit irgendetwas zusammen, einer Spange oder einfach einem dickeren Gummiband. Wie sehr hatte sie sich in jüngeren Jahren glattes Haar gewünscht! Aber Ron schien es ja so zu mögen. Und sich auffällig zu schminken – da käme sie sich selbst fremd vor.

Aber jetzt etwas Neues! Sie fühlte sich belebt und unternehmungslustig. Sie legte ihr Amulett wie zu Hause auf den Nachttisch – sollte sie es in eine Schublade legen? Aber das Nachttischchen hatte keine. Sie nahm ihre Handtasche, musste eine Weile nach dem Autoschlüssel suchen und fuhr los.

Jetzt vielleicht ein schönes modisches Kleid? Sie fuhr erst nach Glenton, doch da gab es keine aufregenden Geschäfte. „Barrow-in-Furness“, las sie auf der Karte – das ist eine größere Stadt, da würde sie etwas für sich finden.

Sie fuhr über die welligen Straßen des Nationalparks, langsamer, als es sonst ihre Art war. Sie wusste Harry in guten Händen, ihre Buchsbäume und Blumen wurden bestens versorgt, Emma passte auf ihr Cottage auf. Wahrscheinlich würden die Küchengardinen sogar gewaschen, während sie nicht da war; Emma sah immer eher als sie selbst, wenn etwas zu tun war.

Die Straße führte sie an einem See entlang. Kate hielt an. Sie nahm eine Decke aus dem Auto und setzte sich nah ans Ufer. Das Wasser war völlig ruhig. Sie versuchte, diese Ruhe in sich aufzunehmen. Wenn sie am Meeresufer in Bridwell war, wurde sie ruhig, wenn sie den Bewegungen der Wellen mit den Augen folgte. Dann geschah ja etwas, etwas Dramatisches, die Natur war laut und machte sie selbst still. Das tat ihr immer wohl. Die Wellen waren oft hoch, zerbarsten schäumend an den Klippen, wenn die Tide hoch stand. Sie mochte das.

Vielleicht, weil überhaupt etwas geschah, konnte sie einfach nur sehen, beobachten, und sie saß manchmal eine halbe Stunde nur da und schaute auf die Wellen. Dann überkam sie oft eine Traurigkeit darüber, dass sie Harry nicht bei sich haben konnte.

Hier am See war die Ruhe, die Kate spürte, anders. Hier gab es keine Wellen, denen sie mit den Augen folgen konnte, hier war nur das klare, ganz leicht bewegte Wasser. Das gegenüberliegende Ufer war noch mit einem blauen Schleier verhangen, die Berge dahinter lagen im Dunst. Frisches Grün wuchs um sie herum. Von ferne hörte sie ein leises Durcheinander des „Mäh“ der Schafe. Das Wasser, das klare kühle Wasser. Sie konnte auf den hellgrauen Boden des Sees sehen, bis er tiefer und dunkler wurde.

Sie dachte an Ron. Es tat ihr immer noch leid für Harry, dass Ron abgesagt hatte. Aber so ist es eben in heilenden Berufen, dachte sie. Menschen brauchten eben nicht gemäß der 5-Tage-Woche Hilfe. Heilte er eigentlich? Heilte er sie? Aber ihr ging es ja nicht schlecht.

Sie hatte so viel Glück in ihrem Leben gehabt. Sie hatte Ron schon auf der Schule kennengelernt, noch bevor er später in das Internat ging, das jetzt auch Harry besuchte. Dann starben ihre Eltern kurz hintereinander, und sie hatte sich sehr allein gefühlt. Als sie und Ron dann heirateten, war sie überglücklich, mit ihrer Jugendliebe nun für immer zusammen zu sein. Und sie hatte ein neues Zuhause, gehörte wieder zu jemandem. Seine Eltern hatten ihnen beiden das Cottage zur Verfügung gestellt, das Gewächshaus hatte sie mithilfe des Geldes, das ihr ihre Eltern hinterlassen hatten, errichten lassen. Und dann kam Harry auf die Welt – ihr Sohn, ihr Ein und Alles!

Wie schön wäre es gewesen, hätten ihre Eltern Harry noch erleben können! – Sie sah in die lebhaften Wolken und versuchte, das Gesicht ihrer Mutter zu finden. Ja, einen Augenblick sah sie in einer Wolkenballung ihre Züge, freundlich, aber auch zurückgenommen. Sie war als junges Mädchen als deutsches Au-pair-Mädchen nach England gekommen und hatte hier ihren Vater kennengelernt. Den deutschen Akzent hatte sie nie ganz verloren, aber Kate mochte ihn immer. Als kleines Kind hatte sie selbst auch gut Deutsch sprechen können, besonders weil sie bei Besuchen ihrer deutschen Großeltern nur Deutsch gesprochen hatte. „Käthchen“ hatten sie sie genannt. Aber das war lange her, und ihr Deutsch war dem Englischen gewichen. Die Wolken nahmen andere Gestalten an, und das Gesicht ihrer Mutter hatte sich aufgelöst.

Wenn alles geschähe, was sie sich wünschte, dann hätte sie so gern noch ein Kind. Aber nur wenn sie mit Ron eine normale Ehe führen könnte und ihn nicht immer nur am Wochenende, und oft nur an jedem dritten oder vierten Wochenende, um sich hätte. Dazu müsste sie wohl nach London ziehen, nicht umgekehrt er zu ihr. Seine Karriere war an London gebunden, das wusste sie. Sie war dazu bereit, und er wollte es sicher auch so. – Im Grunde war sie allein: Ron war selten da und Harry wegen der Schule auch. Ein Baby würde bei ihr bleiben und nicht ständig wegfahren …

Sie dachte – sie wusste eigentlich nicht, warum – an ihre andere Großmutter, die sie nie richtig kennengelernt hatte und die ihr das Amulett hinterlassen hatte. Jetzt fiel ihr ein: Sie stammte doch ursprünglich aus dem Norden Englands. Vielleicht könnte sie, da sie schon einmal hier war und Zeit hatte, herausfinden, wo sie gelebt hatte.

Über Harry war sie sehr glücklich. Wenn er nur öfter bei ihr sein könnte! Aber sie wusste, dass eine Internatsausbildung sicher das Beste für ihn war und ein so großes Privileg! Sie musste Rons Eltern sehr dankbar sein, dass sie ihm das bezahlten. Trotzdem hätte sie ihn gern bei sich. Aber das wäre wohl zu selbstsüchtig.

Plötzlich dachte sie, wie gegen ihren Willen, an Edward. Fand er sie attraktiv? Das war eigentlich sonst keine Kategorie für sie selbst, aber wenn er so schnell ihre Freundschaft suchte, musste es wohl so sein, denn er kannte sie doch kaum.

Die Sonne kam hinter den Wolken hervor und warf richtig leuchtende Strahlen schräg auf den See, und sie tauchten das gegenüberliegende Ufer in hellviolettes Licht.

Sie besann sich darauf, was sie vorhatte, löste sich von dem schönen Blick und fuhr los. Und sie wollte gern mit der Familie, die in die Stables eingezogen war, ins Gespräch kommen. Aber das hatte Zeit. Wie sie gehört hatte, würde die Familie die ganze Woche bleiben. Wahrscheinlich erging es ihnen dort völlig normal. Auf jeden Fall würde sie am besten vielleicht die Frau vorsichtig ansprechen und sie fragen, ob sie eventuell unerklärliche Geräusche gehört habe.

Die Klippen von Bridwell

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