Читать книгу Die Klippen von Bridwell - Anke Bütow - Страница 14
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Kate ging ins Haus zurück und betrachtete im Hinaufgehen die Porträts im Treppenhaus, die auf einer ledergeprägten Wandverkleidung hingen. Nur das hohe bleiverglaste Fenster des Treppenabsatzes warf ein wenig Licht auf die Bilder. Kate betrachtete ein Doppelporträt von zwei Jungen mit einem Pferd. Beide Kinder hatten freundliche Gesichter mit blondem, gescheiteltem Haar und waren einander zugewandt. Sie trugen dunkle Samtanzüge mit weißen Kragen. Der kleinere hielt die Zügel, der größere hatte seine Hand auf der Mähne des Pferdes. Was Kate sofort wunderte, waren die Größenverhältnisse. Wie können die Jungen größer sein als das Pferd? Ein Pony war es jedenfalls nicht.
Die Katze Ginger kam ihr nach. Wenn Kate stehen blieb, setzte sich Ginger auf eine Stufe und putzte sich so lange, bis Kate weiterging.
Das nächsthöher platzierte Bild zeigte einen Mann in mittleren Jahren, fast heiter aussehend, mit einer Allongeperücke, weißem Jabot und brauner offener Samtjacke. Er sah sie an. So musste er den Porträtisten angesehen haben – sein Blick schien noch einigermaßen freundlich zu sagen: „Jetzt geht’s noch – aber bitte nicht zu lange!“ Der Samt war so stumpf gemalt, und gleichzeitig war bei den Reflexen ein so feiner Glanz, dass sie die Leinwand gern berührt hätte, um herauszufinden, ob die Oberfläche sich wirklich weich anfühlte.
Sie ging höher hinauf. Vor dem Treppenabsatz mit dem großen Fenster war das Porträt eines sitzenden graubärtigen Mannes, der den Betrachter nicht ansah. Seine Haltung drückte Gespanntheit und Ungeduld aus. Er trug Jagdkleidung, hatte seinen Unterarm auf einen Tisch gelehnt, seinen Jagdhut auf dem Schoß. Sein energischer Gesichtsausdruck zeigte, dass man ihm besser nicht widersprach. Wem es wohl gelungen war, ihn überhaupt zu nötigen, dem Maler Modell zu sitzen? Kate konnte sich vorstellen, dass er die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte.
„Sie interessieren sich für meine Vorfahren, Kate?“, hörte sie Sir Gordons laute Stimme über sich.
Kate erschrak. „Oh, ich hoffe … Ja, ich finde, es sind schöne Bilder, und ich frage mich bei Porträts manchmal, welchen Menschen aus Fleisch und Blut sie wohl darstellen.“
„Das kann ich Ihnen auch so sagen: Die meisten waren entweder als Feldherren oder Jäger unschlagbar, und sie waren als Sieger oder entsprechend mit Beute unausstehlich …“
„Ich frage mich gerade …“
„Was fragen Sie sich, junge Dame? Ob ich genauso bin?“
„Ehrlich gesagt, das habe ich mich tatsächlich eben gefragt.“
„Wenn Sie sich die Mühe machen wollen … finden Sie es heraus!“
„Ich nehme einfach an, dass Sie sehr nett sind.“
„Da seien Sie sich nicht allzu sicher; etwas unausstehlich bin ich schon.“
„Das glaube ich überhaupt nicht. Unausstehlich wird man nur, wenn alle einen dafür halten. – Kennen Sie alle Lebensgeschichten der Männer und Frauen hier in der Galerie?“
„Einige schon, die besonders böse waren oder viel gestritten haben, die schon; die friedlichen versinken im Brunnen der Vergangenheit. Lange Geschichten mag ich ohnehin nicht. Wenn ich’s herausfinden will, gibt es einfache Mittel, die mich nichts kosten.“
„Wie meinen Sie das, Sir Gordon?“
„Oh, ganz einfach. In diesem Land brauchen Sie nur einen Telefonanruf, eine Bewerbung für ein öffentliches Amt, und schon stehen die wirklichen oder selbst ernannten Historiker hier Schlange, und Sie können sämtliche jahrhundertealten Skandale in der Zeitung lesen. Bei aller Sympathie, Kate, aber das würde ich nicht unbedingt für Sie tun.“
„Natürlich nicht, Sir Gordon. Ich meinte das auch nicht so, mich interessieren nur immer die Menschen. In Geschichte war ich immer schlecht. – Aber wenn es Ihnen recht ist – eine ziemlich dumme Frage würde ich Ihnen gerne noch stellen.“
„Bitte!“
„Warum hängen hier nur Bilder von Ihren Vorfahren, ich meine, nur von Männern, nicht von Frauen?“
Sir Gordon sah Kate an, schwieg erst und sagte dann fast unfreundlich: „Kommen Sie mit!“
Kate folgte Sir Gordon in die Bibliothek. War sie zu direkt gewesen? Zu indiskret? Sie bereute, gefragt zu haben. Jetzt musste sie aber einfach mitgehen, sonst wäre sie unhöflich. Ginger ging erst langsam vor ihr die Treppe hoch, lief dann aber schnell durch die geöffnete Tür und legte sich auf den Teppich vor dem Kamin. Kate sah sich um. Alle Wände waren voller Porträts, aber auch hier nur Männerporträts: patriarchische Gesichter, Männer in Uniform hoch zu Pferde oder mit Hunden, die moderneren auch am Schreibtisch oder mit Dale House als Hintergrund.
Zwischen den französischen Fenstern, die auf den Garten hinausgingen, sah sie jetzt auch Frauenporträts. Dort war die Wand am dunkelsten, und so ging sie näher heran. Ein entzückendes kleineres Bild: eine blutjunge Frau, die am Betrachter vorbei in eine unbestimmte Ferne sah, ihr braunes, über die Schultern in Locken fallendes Haar in der Mitte gescheitelt, glänzend. Sie trug ein weißes Kleid, dessen reicher Faltenwurf mit unglaublicher Finesse gemalt war. Mit einer Hand streichelte sie ein Windspiel, in der anderen Hand hielt sie auf ihrem Schoß einen Veilchenstrauß.
Kate sah Sir Gordon fragend an.
„Sie wurde nach ihrem Tode gemalt“, sagte er. Es klang beiläufig.
Ihr Blick ging weiter zum nächsten Porträt einer jungen Frau. Keine Schönheit, ihr weißes Gesicht mit den leicht hervortretenden Augen war von zurückgekämmtem Haar gerahmt, das konturlos in den dunklen Hintergrund des Bildes überging. Ihre Hand an der Schulter, eine unnatürliche Haltung, kein Schmuck.
„Sie starb im Kindbett“, sagte Sir Gordon.
Kate ging zur anderen Seite der Wand, die an die Kaminwand grenzte. Sie stand vor einem Bild, das eine Frau mit rötlichem, sorgfältig überhöhend frisiertem Haar zeigte, mit fast ausdruckslosem Gesicht. Das weiße Kleid war bauschig, Kate konnte sich fast das Rascheln des Tafts vorstellen.
„Sie kam von der anderen Seite des Sees. Sie war nicht glücklich hier und ging zurück. Aber ihre Söhne wuchsen hier auf, ich glaube, einer war mein Großvater. Kann auch sein Urgroßvater, das weiß ich nicht so genau.“
Vielleicht weiß er es doch, dachte Kate, wenn man täglich an seinen Ahnen vorbeigeht, weiß man das doch, oder will er es nicht wissen?
Ginger sprang plötzlich auf, stieß einen seltsamen Laut aus und lief zur Tür. Sir Gordon öffnete die schwere Tür, und die Katze war verschwunden.
„Ginger ist manchmal von Sinnen, entschuldigen Sie.“
„Ich weiß – Katzen kann man nicht ergründen. – Und was wurde aus ihr?“, fragte Kate und zeigte auf das Porträt.
„Das Haus brannte ab. Die Ruinen gibt es noch.“
Kate hätte gern nach Edwards Mutter gefragt, aber das wagte sie nicht. Oder sollte sie?
„Gibt es hier auch ein Porträt von Edwards Mutter?“
„Nein. – Kommen Sie, wir trinken ein Glas Sherry“, sagte Sir Gordon und ging zu dem silbernen Tablett, auf dem Karaffen und Gläser standen.
„Cheers, Kate. So ein kleiner Sherry ist doch etwas Feines. Und wie kultiviert: Man nimmt ihn gern zu sich und stellt die Flasche weg, auch wenn man gern noch ein weiteres Tröpfchen trinken könnte!“
„Danke, Sir Gordon, er ist wirklich sehr gut.“
„Gefällt es Ihnen in Dale House, Kate?“, fragte Sir Gordon.
„Ich bin sehr gern hier, wirklich“, sagte Kate.
„Dann bleiben Sie nicht zu lange“, sagte Sir Gordon.