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II. Die Besonderheiten des privaten Rundfunkrechts

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Das Verständnis der konkreten Regelungen und gesetzlichen Anforderungen soll zunächst dadurch erleichtert werden, dass noch einmal kurz an die besonderen Herausforderungen und strukturellen Eigenarten der Rundfunkregulierung erinnert wird. Die Herausforderung des modernen Rundfunkrechts resultiert aus der Tatsache, dass Gesetzgeber, Regulierungsbehörden, Rundfunkveranstalter, Infrastrukturbetreiber und nicht zuletzt Nutzerinnen und Nutzer mit einer sich ständig fortentwickelnden Medienlandschaft konfrontiert sind. Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre sind zahlreich. Die Digitalisierung der Angebotserstellung und der Verbreitungswege führt zu neuen Programm- und Nutzungsformen. Rundfunk über das Internet, IP-TV, digitaler Hörfunk, Hybrid-TV, HD-TV, DVB-T2 und Handy-TV sind Beispiele hierfür.[3] Inhalteanbieter und Programmveranstalter sehen sich der Notwendigkeit ausgesetzt, zusätzlich zu den klassischen Refinanzierungsinstrumenten neue Erlösquellen aufzutun. Plattformanbieter sind zunehmend zwischen Nutzer und Inhalteanbieter eingebunden und stellen wichtige Flaschenhälse dar. Die Grenzen zwischen Rundfunk, Telemedium und Presse verschwimmen, verschiedene Angebote vermischen sich bzw. werden auf derselben Plattform angeboten. Wie Smartphones und Tablets werden auch Fernsehempfangsgeräte smart und ermöglichen den Zugang sowohl zu linearen Rundfunkangeboten als auch dem Internet. Der Zugang bei connected tv erfolgt über Apps, die von Geräteherstellern selbst zu Portalen zusammengestellt werden. Diese Art des Navigierens ist bislang zumindest unter dem Gesichtspunkt des chancengleichen und diskriminierungsfreien Zugangs nicht rundfunkrechtlich reguliert.[4] In diesem Umfeld gewinnen auch Fragen des Signalschutzes für Anbieter klassischer Rundfunkprogramme zunehmend an Bedeutung.

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Hinzu kommt das sich verändernde Mediennutzungsverhalten. Zwar hat das klassische lineare Fernsehen nach wie vor hohen Stellenwert. Vor allem jüngere Zuschauergruppen nutzen zunehmend Medieninhalte auf Abruf, z.B. über YouTube, Netflix oder Spotify. Informationen werden über Intermediäre vermittelt, die sich als Suchmaschinen wie z.B. Google oder soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter nicht dem klassischen Plattformbegriff zuordnen lassen. Diese Strukturen, die sich nicht als Medieninhalteanbieter begreifen und die Auswahl und Auffindbarkeit der über sie zugänglichen Inhalte nicht nach medienrechtlichen Kriterien steuern, haben zusätzlich zu den oben bereits geschilderten Entwicklungen in der letzten Zeit die Diskussion über die moderne Medienordnung, neue Rahmenbedingungen und Regulierungsinstrumente gefördert. Die in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung eingesetzte Bund-Länder-Kommission hat sich nicht nur mit Handlungsbedarf im Zusammenhang mit der Überarbeitung der AVMD-Richtlinie und des Jugendmedienschutzes befasst, sondern hat auch untersucht, inwieweit über kartellrechtliche und rundfunkrechtliche Vielfaltssicherungsmodelle, eine neue Verortung des Plattformbegriffs bzw. der Plattformregulierung solche Intermediäre in einen Regulierungszusammenhang gestellt werden sollen. Diese Bund-Länder-Kommission soll Vorschläge für eine der Medienkonvergenz angemessene Medienordnung auf nationaler und internationaler Ebene erarbeiten und dabei auch die bessere Verzahnung der Arbeit der nach Bundes- bzw. Landesrecht zuständigen Behörden untersuchen.[5] Der Bericht der Bund-Länder-Kommission mit Handlungsempfehlungen liegt seit Juni 2016 vor.[6]

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Für den Nutzer bedeutet das immer mehr Bedarf nach Medienkompetenz. Rundfunkangebote klassischer Ausprägung sind zunehmend nur ein Bestandteil des Angebotsbündels, mit dem z.T. supranational agierende Unternehmen Inhalte crossmedial verwerten, bzw. Infrastrukturen vermarkten. Das Rundfunkrecht soll diese Entwicklungen aufgreifen bzw. vorwegnehmen und steuern. Der sich aus dem Normziel des Art. 5 GG ergebende Auftrag an den Gesetzgeber hält diesen in stärkerem Maße dazu an, mit seinen Mitteln einen Entwicklungsprozess zu fördern. Nicht die Einhaltung und Wahrung eines für einmal verfassungskonform befundenen Zustands steht im Vordergrund. Es bedarf vielmehr einerseits bestimmter, andererseits dynamischer und flexibler Regelungen um den erwünschten Zustand bei sich ständig entwickelndem Regulierungsgegenstand zu gewährleisten.

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Der Rundfunkstaatsvertrag und die Landesmediengesetze operieren daher mit Zielvorgaben, wie etwa den Programmgrundsätzen, mit unbestimmten Rechtsbegriffen und mit Satzungs- und Richtlinienermächtigungen, die die konkretere Ausgestaltungen in die Hände der Landesmedienanstalten legen. Fragen der Auslegung und des rechtskonformen Verhaltens sind in stärkerem Maße dem Dialog zwischen Regulierten und Regulierer überantwortet als auf anderen Rechtsgebieten. Eine weitere Besonderheit, die das Rundfunkrecht auszeichnet, resultiert aus der Einordnung des Rundfunks als Kulturgut. Rundfunkgesetzgebung ist nach der Kompetenzaufteilung des GG Ländersache. Seit der Einführung des satellitenübertragenen Rundfunks stellt sich das Rundfunkrecht der Herausforderung, bundesweite, bzw. sich europaweit auswirkende Sachverhalte durch Landesgesetz zu regeln.

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Den vielleicht vorläufigen Höhepunkt in der Herausforderung stellt die Entwicklung dar, dass zunehmend abseits der klassischen Rundfunkübertragungswege das Internet zur Verbreitung auch von Rundfunkinhalten genutzt und Angebote weltweit empfangen werden können. Gesetzgebung zur Regulierung des privaten Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland unterliegt daher nicht nur der Notwendigkeit zur Harmonisierung der Gesetzgebung in den einzelnen Bundesländern und der Regeln für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im dualen System. Sie erfordert auch die Beachtung europäischer Rechtsrahmen, wie etwa der AVMD-Richtlinie,[7] die sich über den Grundsatz der Bundestreue auch auf den Landesgesetzgeber auswirken.

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Die Besonderheiten des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland und seine Doppelnatur stellen nicht nur Anforderungen an den Gesetzgeber, sondern auch an die Aufsicht. Während die Aufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch in seinen Aufbau integrierte Gremien wahrgenommen wird, obliegt diese Aufgabe für den privaten Rundfunk den staatsunabhängig aufgebauten und gebührenfinanzierten Landesmedienanstalten. Eine im Verhältnis zu den Strukturen des Rundfunks angemessene Rundfunkregulierung bedeutet für sie nicht nur die verstärkte Zusammenarbeit untereinander und den Austausch mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Gremien. In den Sachverhalten, in denen das Rundfunkrecht zu den allgemeinen Regeln des Wirtschaftsrechts hinzukommt, etwa im Bereich der Medienkonzentration, bedarf es zudem der Zusammenarbeit mit den Kartellbehörden. Da in der Bundesrepublik Deutschland die Gesetzgebungshoheit für die Infrastruktur und die Inhalte auseinanderfallen, ergeben sich viele Berührungspunkte zwischen der Arbeit der Landesmedienanstalten und jener der Bundesnetzagentur. Strukturen wie die EPRA[8] und bilaterale Gespräche mit den in anderen europäischen Ländern für die Rundfunkaufsicht zuständigen Behörden bieten die Plattform für den Austausch in grenzüberschreitenden Angelegenheiten. Die sich aus diesem Konzert von Rechtssystemen mit unterschiedlichen Zielsetzungen, Kompetenz- und Organisationsverteilungen ergebenden Schwierigkeiten zeigen sich z.B. am Fall der Förderung von DVB-T. Deutschen Landesmedienanstalten wurde seitens der Europäischen Kommission die nach den jeweiligen Landesmediengesetzen mögliche und notwendige Förderung untersagt, da sie eine unzulässige Beihilfe darstelle. Klagen der Landesmedienanstalten in Berlin-Brandenburg und NRW vor dem Europäischen Gericht scheiterten daran, dass das Gericht nicht ihnen, sondern nur der nach deutschem Recht allenfalls mittelbar involvierten Bundesrepublik Deutschland die Klagebefugnis zusprach.[9] Die Bundesrepublik Deutschland, die in dem Berliner Verfahren ebenfalls geklagt hatte, unterlag schließlich vor dem EuGH, der die von ihr vorgebrachten Rechtsmittelgründe für nicht stichhaltig erachtete.[10] Konsequenzen für die Meinungsbildung, wie sie der Rundfunkregulierung im engeren Sinne immanent sind, scheinen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Wie schon bei der Diskussion um die digitale Dividende 2 scheint die grundgesetzliche Gewichtung von Inhalt und ihm dienend die Übertragungskapazität sich ständig mehr zu verschieben. Das gilt insbesondere, wenn europäische Verordnungen, wie die im November 2015 in Kraft getretene Telekom-Binnenmarkt-Verordnung,[11] als unmittelbar geltendes Recht rundfunkrelevante Sachverhalte vorstrukturieren. Auch wenn das Thema Netzneutralität noch nicht Regelungsgegenstand des Rundfunkstaatsvertrages ist, ist es in einzelnen Landesmediengesetzen[12] als Aufgabe für Landesmedienanstalten verankert. Bei der Entwicklung der Leitlinien zur Netzneutralität durch das Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (BEREC)[13] war die Bundesnetzagentur vertreten, die Landesmedienanstalten allenfalls informell einbezogen. Es wird abzuwarten sein, inwieweit die Ergebnisse der Bund-Länder-Kommission zur besseren Verzahnung der Arbeit der Regulierungsbehörden bzw. die in das novellierte TKG[14] integrierten Abstimmungspflichten in der Praxis gelebt werden.

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