Читать книгу Die Insel der Feuerberge - Anne Maria Nicholson - Страница 10

Der Seismologe

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»Wie oft wurde ich nicht schon nach den Geschehnissen in der Nacht des 24. Dezember 1953 gefragt. Tatsächlich zeigten unsere Geräte an jenem Tag oder an den Tagen davor keinerlei Anzeichen für eine vulkanische Aktivität oder ein Erdbeben an. Obwohl wir sie in regelmäßigen Abständen überprüften.

Seit der Serie schwerer Vulkanausbrüche im Jahr 1945 standen wir im Observatorium hier im Chateau unter Druck und waren angehalten, den Kratersee ständig im Auge zu behalten. Zuvor glaubten viele Neuseeländer, Ruapehu sei erloschen, wobei nur wenige von uns Forschern diese Meinung teilten. Vier Eruptionen innerhalb weniger Monate ließen die Vertreter dieser Theorie ein für alle Mal verstummen.

Die Vulkanausbrüche und der noch immer andauernde Krieg setzten den Menschen dieser Gegend gehörig zu. Gegen Ende ’45 waren die Bedingungen hier am Berg nahezu unerträglich, wenn man bedenkt, dass die Asche die Trinkwasservorräte so sehr verschmutzte, dass das Wasser wie flüssiger Schlamm aussah. Darüber hinaus setzten sich feine Aschepartikel in sämtliche mechanische Vorrichtungen wie etwa im Elektrizitätswerk, sodass die Wartung eine echte Herausforderung darstellte.

Der Krieg hatte auch dem Wintersport einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Gesundheitsamt hatte das Chateau übernommen, um dort Patienten aus einer psychiatrischen Klinik in der Nähe von Wellington unterzubringen, die von einem Erdbeben beschädigt worden war. Doch angesichts der unzureichenden Bedingungen hier am Berg war das nur eine kurze Zwischenlösung. Bald wurden die weiblichen Angestellten und Patienten evakuiert; drei Tage vor Weihnachten verließen sie in einem eigens für sie bereitgestellten Zug das Hotel, um nach Auckland gebracht zu werden. Womit wenigstens ein Teil der Belastung von mir genommen wurde.

Wie gesagt fuhren wir die ganze Zeit über mit der Messung der Daten fort, und es herrschte ein Kommen und Gehen von Wissenschaftlern. Die Vulkanausbrüche hatten uns ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, Bilder davon gingen um die Welt, und der Ort wurde zu einer Touristenattraktion.

Ständig kamen Bergsteiger an, die den Krater erklimmen wollten. Es waren ziemlich draufgängerische Burschen, manche von ihnen ziemlich durchgeknallt, und ich sorgte mich um ihre Sicherheit. Aus gutem Grund, wie sich herausstellen sollte. Ich erinnere mich, wie eine Gruppe von ihnen im Schneefeld unterhalb des Kraters kampierte, die die Juli-Eruption dann voll erwischte. Heiße Steine regneten auf sie herab, und sie erlitten schwere Verbrennungen, einer starb sogar. Die Bergrettung konnte die Jungs bergen, und sie hatten mächtig Glück, den Ausbruch überlebt zu haben. Auch die Skipisten wurden damals zerstört, aber schon 1947 kehrten die Skifahrer in Scharen zurück.

Nachdem die Eruptionen aufgehört hatten, sah der Krater völlig anders aus. Ich stieg oft auf den Gipfel, um ihn zu inspizieren und Proben zu entnehmen. Unten befand sich ein kochender See, umgeben von einem Kraterschlot mit steil abfallenden Wänden, der schätzungsweise dreihundert Meter tief war. Über die nächsten Jahre hinweg füllte sich der See nach und nach wieder, sodass er Ende 1949 etwa die gleiche Höhe erreicht hatte wie vor der Eruption. Ab und zu beobachteten wir kleinere Dampferuptionen, aber mehr nicht.

Eines Tages im März 1953 war ich wieder einmal oben am Krater, als ich einen Lavadom sah, der sich aus dem See erhoben hatte; hin und wieder traten dampfige Aschestöße hervor. Der Dom hatte sich aus Magma gebildet, das aus dem Kraterschlot getreten war und sich zu einem Hügel angehäuft hatte. Über den Boden des Kraters hatte sich Lava ergossen und das Wasser nach oben gepresst.

Von da an gab es regelmäßig mächtige Ascheeruptionen, und im Umkreis von Hunderten von Kilometern rieselte Asche nieder. Im Mai beobachtete ich, dass sich ein weiterer Dom bildete. Etwas später in diesem Monat kam es zu einer riesigen Explosion, und wir sahen, wie Flammen aus dem Krater schossen, die an die tausend Meter in den Himmel stiegen. Was für ein entsetzlicher und gleichzeitig faszinierender Anblick!

Die Zeitungen waren voll mit Berichten und Fotos von der Eruption. Bis der Mount Everest und Hillary uns Ende Mai die Show stahlen und ganz Neuseeland kopfstand.

Für den Rest des Jahres wurde es recht ruhig um den Ruapehu. Und auch an jenem Heiligabend zeigten unsere Messgeräte nichts Beunruhigendes an.

Erst nach dem Unglück von Tangiwai waren wir in der Lage, den Vorgang zu rekonstruieren. Wir wissen nun, dass irgendwann am frühen Abend, wahrscheinlich gegen acht Uhr, eine solide, von Eis bedeckte Aschewand im Kratersee, die bis dahin als Damm gedient hatte, mit einem Mal einstürzte. Massen von Eis zerplatzten mit voller Wucht, und eine riesige Menge Wasser wurde frei. Ein eiskalter Lahar entstand, ein aufgewühlter vulkanischer Schlammstrom.

Der Lahar stieg über den Kraterrand und floss in den Whangaehu-Fluss hinab. Er bewegte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit und riss alles mit sich: Felsbrocken, Eisschollen, riesige Mengen Asche, die noch von der 45er Explosion herrührte, Bäume, alles, was in seinem Weg war.

Der Lahar schwappte ins Tal und hinterließ auf seinem meilenweiten Weg Felsen und Sand und spülte sechs Straßen- und Eisenbahnbrücken weg. Tangiwai erreichte er um 22.17 Uhr. Fünf Minuten später fuhr der Zug auf die Brücke und stürzte in den reißenden Fluss, ein Unglück, bei dem mehr als die Hälfte der Zuginsassen ums Leben kam.

Wie gesagt, hatten unsere Messgeräte keinerlei Hinweise auf ein bevorstehendes Desaster angezeigt.«

Geoff Andrews, 49, Seismologe am Mount Ruapehu, 1953

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