Читать книгу Die Insel der Feuerberge - Anne Maria Nicholson - Страница 18

Zehntes Kapitel

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Tori schüttelt das Wasser aus dem Haar, ehe er in seinen schwarzen Badeshorts tropfnass aus dem See steigt. Für die meisten ist die Badesaison vorbei, aber er schwimmt bis fast in den Winter hinein, bis das Wasser auch ihm zu kalt ist. Das klare Wasser macht seinen Kopf frei wie nichts sonst, und in letzter Zeit ist ihm so manches durch den Kopf geschwirrt. Bibbernd sucht er sein Handtuch und findet es schließlich im Gras neben dem Weg zu seinem Cottage, wo der Wind es hingeweht hat. Schnell rubbelt er sich trocken, dann wickelt er es um die Hüften und geht hinein.

Der Zeitungsartikel hat dazu geführt, dass sein Telefon nicht mehr stillstand. Journalisten, Politiker und nicht wenige Mitglieder seines iwis haben ihn angerufen, um mit ihm über den Kratersee zu sprechen. In solchen Zeiten neigt er dazu, sich nach seinem früheren Leben zu sehnen, zumindest nach den angenehmen Seiten. Stark gebaut und gut aussehend, hatte Tori als junger Mann nie Schwierigkeiten, einen Job auf den Baustellen zu finden, während er immer weiter Richtung Norden zog, bis nach Auckland. Auch verdiente er gutes Geld, das jedoch allzu schnell für Alkohol und Dope draufging. Cheryl lernte er in einem Pub kennen, und sie wurden ein wildes Paar, feierten oft und ausgiebig, und das ging mehrere Jahre so. Auch noch nachdem sie schon verheiratet waren und zwei Kinder hatten, dachten sie, dass die Partys immer so weitergingen. Doch ein Jahrzehnt mit diesem Lebenswandel forderte bei jedem von ihnen seinen Preis.

Während eines Heimaturlaubs schien der See ihm ein Zeichen zu geben, und Tori beschloss zurückzukehren. Er erinnert sich noch genau an den Moment. Er planschte im seichten Wasser an der Stelle, wo er vor kurzem geschwommen ist, und spürte den Sand und den schmatzenden Schlamm zwischen den Zehen, während das kalte Wasser an seinen Knien leckte. Da traf es ihn mit einem Schlag, als wollte der See ihm etwas sagen. »Sei kein Idiot, Tori, hier ist dein Zuhause!«

Bald wurden er und seine Familie von der Routine des Kleinstadtlebens eingeholt, im Kreis einer großen Familie, die ihnen unter die Arme griff. Er fing wieder mit dem Fischen an, nicht mehr als Hobby, sondern um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber nach einem Jahr wurde Cheryl ruhelos und launisch, und eines Tages war sie einfach nicht mehr da. Sie hatte ihre Sachen gepackt und die Kinder in seiner Obhut und der seiner Mutter gelassen. Tori war drauf und dran, ihr zu folgen, doch sein Stolz verbot es ihm, außerdem hatte er Angst, ein zweites Mal verletzt zu werden.

Bald taumelte er in eine neue Beziehung. In Taupo gab es genug Partys, wo Singles und Möchtegern-Singles die Puppen tanzen ließen. Eine Zeit lang genoss er die sexuelle Freizügigkeit und das unerwartete Prickeln eines One-Night-Stands, die ihm das Gefühl gaben, begehrt zu werden. Aber irgendwann wurde er immer ungeselliger und unnahbarer. Inzwischen in den Dreißigern und völlig von seinem Beruf in Anspruch genommen, besucht er kaum noch Partys, sondern geht lieber auf ein, zwei Bier in einen Pub, um früh am Abend wieder nach Hause zu gehen.

Durch seine Arbeit wird er von den Leuten geachtet, und es gelingt ihm obendrein, ein paar Dollar auf die Seite zu legen. Oft ist er froh, den Rat eines alten Lehrers befolgt zu haben, den er eines Tages durch Zufall auf der Hauptstraße von Taupo getroffen hat. Mit seinen über siebzig Jahren ist der Mann längst im Ruhestand, und Tori wunderte sich, wie dieser friedfertig aussehende Mann ihn in der Highschool einst in Angst und Schrecken versetzen konnte.

»Ich meine mich zu erinnern, dass du in Mathe nicht der Beste warst, Tori. Es könnte dir nicht schaden, dich ein wenig mit Buchführung zu befassen, wenn du vorhast, dich selbstständig zu machen. Ich habe mehr als einmal erlebt, wie einer dieser Träumer eine Bruchlandung hinlegte, weil er die finanziellen Belange schleifen ließ.«

Eingedenk dieser Ermahnung saß Tori abends stundenlang über den Grundlagen der Buchführung und machte sich mit der Geschäfts-Software vertraut. Dass er hart arbeitete und auch Kleinigkeiten im Auge behielt, sollte sich rasch auszahlen. Seine Kundschaft wuchs, Leute, die bereit waren, gutes Geld zu zahlen – in der Regel mehrere hundert Dollar pro Tag –, in der Hoffnung, einen guten Fang zu machen. Aber das Wetter ist ein Risikofaktor, der eine Bootsexkursion oftmals mehrere Tage lang zunichtemacht.

Nein, die Arbeit ist es dennoch nicht, die ihm Sorgen bereitet. Die Tatsache, dass so viele andere immer etwas von ihm wollen, fordert allmählich ihren Tribut. Die meisten seiner Altersgenossen, die ihren Iwi etwa zur gleichen Zeit wie er verließen, sind nicht wieder zurückgekehrt. Die Älteren, viele von ihnen krank und ausgelaugt von ihrem Kampf um Land und Fischrechte, verlassen sich immer mehr auf Tori; er soll sie durch das Labyrinth der neuen Herausforderungen führen.

Er schaltet das Radio ein, um die Nachrichten zu hören. Wieder ist der Krater Thema Nummer eins, und es dauert nicht lang und seine eigene Stimme füllt das kleine Wohnzimmer, die jedes Eingreifen am Vulkan verdammt. Seine Stimme klingt fremd in seinen Ohren, und er zuckt zusammen, in der Hoffnung, bald eine andere zu hören.

Er füllt den Wasserkocher und wartet, bis das Wasser kocht. Als er es in eine Tasse gießt und einen Teebeutel hineingibt, denkt er an Cheryl, die ihm früher den Tee gekocht oder ihm ein Bier eingeschenkt hat, wenn er nach Hause kam. Seit er weiß, dass sie in Auckland mit einem anderen Mann zusammengezogen ist, geistert sie ihm wieder öfter durch den Kopf. Der Gedanke lässt ihn nicht los, dass sie sich womöglich schon kannten, als er und Cheryl noch zusammen waren.

Manchmal sehnt er sich nach ihr, meistens mitten in der Nacht, wenn es im Haus ruhig und der einzige hörbare Laut das Plätschern des Wassers ist, das am Ufer leckt. Dann erinnert er sich, wie zärtlich sie war, an den salzigen Geschmack auf ihrer Haut. Spürt das Verlangen, die Kränkung, die Einsamkeit.

Die Insel der Feuerberge

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