Читать книгу Die Insel der Feuerberge - Anne Maria Nicholson - Страница 12

Viertes Kapitel

Оглавление

Verdammter Mist, meine Uhr!« Ehe Tori Maddison ihn aufhalten kann, springt einer der drei Männer, mit denen er zum Angeln herausgefahren ist, ein rundlicher Medienmanager aus Melbourne, vollständig angezogen in den See und taucht unter. Während er mit den Füßen paddelt, fangen die weißen Sohlen seiner Sportschuhe die Sonnenstrahlen auf, die tief in den Taupo-See dringen. Seine Kumpels schauen vom Boot aus hilflos zu, wie die klobige Silberuhr aus seiner Reichweite im seidig klaren Wasser sinkt.

Tori macht sich innerlich schon mal bereit, sein cremefarbenes Sweatshirt auszuziehen, seine Bootsschuhe abzustreifen und hinter ihm herzuspringen. Aber noch hält er sich zurück, während er die Sekunden zählt. Zwölf Sekunden später taucht der Mann wieder auf, das tropfnasse Gesicht blass und verquollen. Auf Toris breiten Schultern zeichnen sich die Muskeln ab, als er sich über den Bootsrand beugt, um ihn aus dem kalten Wasser zu ziehen.

»Verdammt, das war eine Rolex – hat mich einige Riesen gekostet!« Denis Browns sonst so dröhnende Stimme ist nur noch ein keuchendes Stammeln.

»Dann tauch doch hinunter und hol sie dir, Denis«, neckt ihn einer seiner Freunde. »Was ist los mit dir? Der See ist nur ein paar hundert Meter tief. Und wenn du schon mal dort bist, dann bring eine fette Forelle mit, du Idiot.«

Denis wirft ihm einen finsteren Blick zu, während ihm Tori aus seinen patschnassen Kleidern hilft und ihm ein trockenes T-Shirt und ein großes Handtuch reicht.

»Nun, wenn es dich tröstet – deine Uhr ist nicht allein da unten«, sagt Tori. »Es gibt jede Menge andere Uhren, die einander Gesellschaft leisten.«

Die Männer prusten los, und Denis, der zwar noch immer schlottert, aber allmählich wieder Farbe in die Wangen bekommt, stimmt in ihr Lachen ein. »Also, worauf wartet ihr noch, ihr Wichser? Ich brauch ein Bier.«

Während sie aus ihren Bierdosen schlürfen, lässt Denis die Hand ins Wasser baumeln. »Tori, Junge, wie tief ist der See?«

»Schau hinunter und sag mir, was du siehst.« Er liebt es, seine ausländischen Angelgäste zu necken, während sie ängstlich in die scheinbar bodenlose silbrig grüne Tiefe spähen. »Du schaust geradewegs ins Auge des Taupo-Vulkans, der vor fast zweitausend Jahren explodiert ist. Die Explosion war so gewaltig, dass sie es sogar in China sehen konnten und sich die Sonne in Rom verdunkelte. Aber pass auf, dass du nicht wieder hineinfällst, Denis, er könnte jederzeit wieder in die Luft gehen.«

»Klar, und Schweine können fliegen!« Denis, dessen Ego mindestens so groß ist wie sein Bauch, schnaubt, und seine Freunde lachen schallend.

Tori lässt sie den Moment genießen. Die Zusammensetzung der Gruppe, die er an diesem Tag mit auf den See genommen hat, ist typisch: ein australischer Politiker, der von Denis eingeladen ist, und zwei seiner Freunde – alle mittleren Alters, allesamt wohlgenährt, wohlhabend und umgängliche Typen, zumindest wenn man sie gewähren lässt. Tori hat sich einen Namen als gewiefter Angelführer gemacht, nicht nur weil er weiß, wie man schlaue Forellen austrickst, sondern weil er es versteht, sich seinen zahlenden Gästen unentbehrlich zu machen. Er bringt sie zu abgelegenen Stellen, von denen die anderen Bootsführer nichts wissen, und fast immer fangen sie eine Forelle. Außerdem ist er ein begnadeter Entertainer. Er kennt sich nicht nur mit Angelruten und -rollen aus, sondern kann Seemannsgarn spinnen wie kein anderer. Einer seiner amerikanischen Kunden war so beeindruckt, dass er Tori einfliegen ließ, damit er ihn auf eine Angeltour nach Kanada begleitete.

Unter Zuhilfenahme seiner braunen Hände und seiner dunklen Augen, in denen stets ein Lächeln blitzt, malt Tori ihnen ein Bild von der Taupo-Eruption.

»Seht ihr diese verkohlten Baumstämme dort?« Er deutet zum Ufer des still daliegenden Sees. »Und daneben die Schicht aus Bimsstein, Asche und Kohle. Das alles gibt es schon seit dem Vulkanausbruch.«

Eine Weile sind die Männer still und betrachten schweigend die geologischen Zeugnisse, die die weite Wildnis aus Wasser umgeben, auf der sie treiben.

»Also befinden wir uns in einem verdammten Krater – willst du uns das sagen, Kumpel?«, sagt Denis nach einer Weile.

Tori lacht. »Genau. Er nennt sich Caldera, ein Einsturzkrater. Er ist zwischen hundert und stellenweise mehreren hundert Metern tief.«

»Kein Wunder, dass sich die verdammten Forellen so gut verstecken können, bei dem Platz, den sie haben«, bemerkt einer der Männer, der bisher keinen Fang gemacht hat.

»Und wart ihr Maori schon hier, als das Ding in die Luft ging?«, fragt Denis.

»Nein, wir kamen erst sehr viel später. Offenbar ist er mehrmals ausgebrochen, aber das letzte Mal ist verdammt lang her. 186 nach Christus, um genau zu sein, und es heißt, dass die Eruption des Taupo die größte war, die die Welt je gesehen hat. Weitaus größer noch als die des Krakatoa.«

»Wie lange lebst du schon hier, Tori?«

»Mein ganzes Leben, abgesehen von ein paar Jahren, die ich weiter im Norden verbracht habe. Hier bin ich zu Hause. Ich bin auf diesem See und an den Flüssen der Gegend aufgewachsen. Wie der Rest meiner Familie.«

»Hast du eine große Familie?«

Tori lacht. »Könnte man so sagen. Zu groß manchmal. Zum weiteren Kreis meiner Familie zählen Hunderte Cousins und Cousinen, allesamt Angehörige meines Stammes.«

»Junge, ich möchte mir nicht ihre Namen merken!«, murmelt Denis.

»Wo kamen die denn alle her?«, fragt er nach einer kurzen Pause.

»Ich kann meine Wurzeln bis zum 13. Jahrhundert zurückverfolgen, als meine Vorfahren in den mächtigen Arawa-Kanus von Hawaiki nach Aotearoa kamen, in das Land der langen weißen Wolke oder Neuseeland, wie die Pakeha es nannten.«

»Du meinst uns, die Weißen?«

»Na ja, wohl eher eure Vorfahren.«

»Und wer waren eure Vorfahren?«

»Ihre Wurzeln gehen auf die drei großen Stämme Ngati Tuwharetoa, Ngati Rangi und Ngati Tahu zurück. Diese Stämme spalteten sich von den Arwawa ab, weil sie auszogen, um neues Land zu finden. Sie wurden von einem mächtigen Tohunga, einem hohen Priester, hierhergeführt, der Ngatoroiangi hieß. Auf der Reise starben viele Menschen; ihr könnt euch sicher vorstellen, dass es ein raues Land war. Als sie hier ankamen, nahmen sie die Berge und Seen in Besitz und errichteten befestigte Siedlungen, um ihr Land vor anderen Stämmen zu schützen.«

»Soso, ihr habt euch also auch die Berge unter den Nagel gerissen, hm?«, neckt Denis ihn.

»So ist es. Aber einer meiner Vorfahren hat sie zurückgegeben, um sie mit allen zu teilen.«

»Wie das?«

»Nun, wegen der Vulkane wurde die Gegend Land des Feuers genannt. Wir haben die Berge seit jeher verehrt, aber auch gefürchtet. Im 19. Jahrhundert kamen alle möglichen Menschen her – Maori und Weiße –, die die Berge aufteilen wollten, sodass unser ranghöchster Chief beschloss, die einzige Möglichkeit, das Land zu retten, sei, es zu einer Schenkung zu machen. Und so wurde es zum ersten Nationalpark. Auf diese Weise wird das Mana unseres Stamms bewahrt, unsere Kraft, die im Berg liegt. Bestimmt glaubten meine Vorfahren, wie übrigens auch heute noch einige meiner Stammesbrüder, an übernatürliche Kräfte, weshalb viele in Lavahöhlen in den Bergen begraben wurden, Ruhestätten, denen man noch immer Respekt zollen muss.«

»Das wollen wir doch alle letztlich, ein bisschen Respekt. Auch wenn man erst sterben muss, um ihn zu erhalten «, sagt Denis mit einem leisen Glucksen. »Und was ist mit dem See? Besitzt ihr den auch?«

»Noch einmal: Ja und nein«, antwortet Tori. »Der See gehört den Maoris, aber sein Bett gehört allen. Es gibt Regeln – je Angler höchstens drei Fische, keine lebenden Köder –, so gibt man den Fischen die Chance eines fairen Kampfes und stellt sicher, dass auch noch die, die nach uns kommen, sich sportlich betätigen können. Das ist doch in eurem Sinn, nicht wahr?«

»Klar, es lebe unser Sport«, sagt Denis, der immer noch fröstelt. »Lassen wir’s gut sein für heute, Jungs? Ich brauche jetzt ’ne heiße Dusche und noch ein paar Bier.«

Nach vier Stunden auf dem See ist Tori froh, bald Feierabend zu haben. Das heißt, was den offiziellen Teil seines Jobs betrifft. Er selbst will noch ein wenig angeln, ganz allein und ohne Unterbrechungen. Er steuert sein glänzendes acht Meter langes Charterboot, das mit allen Schikanen ausgestattet ist, in den Jachthafen von Taupo. Gerade mal zwei Jahre alt, vermittelt es ihm noch immer die gleiche Freude, die er auch empfunden hatte, als er als Fünfjähriger sein erstes Fahrrad bekam. Er lässt den Blick über die anderen Boote im Jachthafen gleiten und freut sich, dass keines mehr Begehrlichkeiten in ihm weckt. Im Gegensatz zum ersten Mal, als er hierherkam, um aus dem Nichts sein eigenes Geschäft zu gründen, mit einem alten Boot aus zweiter Hand und einer bunt zusammengewürfelten Angelausrüstung. Er lässt das Boot an den Bootsanleger gleiten und hilft den Männern an Land.

»Morgen werde ich mit euch zum Fliegenfischen den Tongariro-Fluss hinauffahren. Trinkt nicht zu viel Bier. Denkt dran, um fünf Uhr morgen früh hole ich euch ab.«

Die Insel der Feuerberge

Подняться наверх