Читать книгу Die Insel der Feuerberge - Anne Maria Nicholson - Страница 13

Fünftes Kapitel

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Der Sommer ist dem Herbst gewichen, und die ausgewachsenen Fische verlassen bereits den See, um ihre beschwerliche Wanderung durch die ungestümen Gewässer flussaufwärts zu beginnen, um dort zu laichen. Doch Tori weiß, dass die reifen Regenbogen- und Braunforellen noch immer für Angelspaß sorgen. Gemästet von der reichlichen Nahrung des Sees, sind sie in Topkondition.

Langsam tuckert er aus dem Jachthafen hinaus und beschleunigt, als er das offene Wasser erreicht. Er steuert seinen Lieblingsplatz in der Nähe seines Hauses am westlichen Ufer an, einen Platz, zu dem er nie Kunden mitnimmt. Als er sich einer Bachmündung nähert, drosselt er den Motor, sodass sich das Boot kaum mehr bewegt. Dann stützt er die Angel am Heck seines Bootes auf und lässt die Angelschnur hinter dem Boot ins Wasser baumeln. Jetzt, da die schräg stehenden Sonnenstrahlen das blaugrüne Wasser des Taupo-Sees durchdringen, ist die beste Zeit, um eine Regenbogenforelle zu fangen.

Es dauert nicht lang, und er hört ein Plink, und als er sich umdreht, sieht er die unverkennbare Krümmung der Rute. Er drosselt den Motor ganz, sodass das Boot nur noch mit der Strömung dahintreibt, und springt zum Heck zurück, um die Schnur herauszuziehen, ehe die Angel über Bord geht. Tori rückt sich die Polaroid-Sonnenbrille auf der Nase zurecht, mit der er tief ins Wasser blicken kann, dann packt er die Angelrute und lehnt sich bequem zurück, um den bevorstehenden Kampf aufzunehmen. Die Venen an seinem Hals treten hervor, als er den Ruck spürt, mit dem sich die Forelle rasend gegen die ausgelaufene Angelschnur stemmt. Plötzlich springt sie aus dem Wasser und beginnt so ihren Kampf auf Leben und Tod. In der Sekunde, die sie in der Luft ist – lang genug für Tori, um zu erkennen, dass sie die ideale Größe für ein Abendessen hat -, tanzt das Sonnenlicht auf ihrem rosa gesprenkelten Rücken.

Dieser Kampf zwischen Mensch und Fisch liegt Tori im Blut. Sein Großvater, der ihm den Spitznamen Grashüpfer gab, weil er immer so auf dem kleinen Boot auf und ab hüpfte, nahm ihn oft mit zum Fischen. Er lehrte ihn sowohl Geduld als auch die nötigen Fertigkeiten zum Angeln. Auch weihte er ihn in alte Maori-Weisheiten ein. »Denk immer daran, die beste Zeit, um Fische zu fangen, sind der zweite und dritte Tag nach Vollmond, das Ende des Dreiviertelmonds, der zweite Tag des Neumonds und der zweite Tag des ersten Viertels«, pflegte er zu sagen, während der Junge ehrfurchtsvoll zu dem gefurchten, gebräunten Gesicht und dem schneeweißen Haar des Großvaters aufblickte.

»Du musst dich um das Land und das Wasser kümmern«, lehrte er den Jungen sanft und hielt ihn manchmal in den faltigen Armen. »Kümmere dich um beides, als wären es deine besten Freunde, dann werden sie sich auch um dich kümmern.« Dann hellte sich seine Miene auf, und er entließ seinen Enkel mit einem Kitzeln.

»Jetzt bleib mal still stehen, du Grashüpfer«, sagte der alte Mann oft. »Hey, du sollst das Boot nicht so hin und her schaukeln, sonst erschreckst du mir noch diesen Riesenfisch, den ich schon seit Jahren zu fangen versuche …«

»Schaukel das Boot nicht so …« Tori sagt die Worte im Flüsterton. »Genau das tue ich jetzt beim Streit um den Berg.«

Die Forelle taucht wieder unter und zieht an der Schnur, die sich zum Zerreißen spannt. Plötzlich spürt er, wie sie schlaff wird. Sekunden später zeigt sich der Fisch wieder, indem er seinen sich windenden, glänzenden Körper in die Luft katapultiert. Tori beginnt, die Schnur aufzuwickeln. Im verzweifelten Versuch zu entkommen, taucht die Forelle noch drei weitere Male ins Wasser und springt wieder in die Luft. Aber diesmal gehört der Sieg dem Menschen, und er holt den Fisch mit fachmännischer Ruhe herein, indem er die Rute hochhält und die Schnur Zentimeter um Zentimeter eindreht. Die erschöpfte Forelle ist nun ganz nah am Boot, und Tori lehnt sich hinaus, um sie mit dem Kescher aus dem Wasser zu schöpfen. Dies ist der Moment, in dem einem der Fisch oft noch abhandenkommt; ein kleiner Moment der Unachtsamkeit, und er nützt seine Chance einer Gnadenfrist, indem er einem entgleitet. Während sich die Forelle in dem Netz windet und zuckt, funkelt der gesprenkelte, von einer schleimigen Hülle bedeckte Rücken in den letzten Sonnenstrahlen des Nachmittags. Gegen das unvermeidliche Ende ankämpfend, schlägt und zuckt er noch immer, als Tori ihn auf die Bootsplanken legt. Mit einem groben Stück Kauriholz versetzt er der Forelle einen Schlag auf den Kopf und treibt so den letzten Rest Leben aus ihr heraus.

Was für ein prächtiges Exemplar, denkt er und wirft den Fisch in einen Eimer. Er beschließt, ihn zu grillen, wenn die Kinder von seiner Mutter zum Abendessen zurückkommen.

Er startet den Motor und tuckert langsam auf das Ufer zu, wo er das Boot an dem kleinen Anlegesteg vertäut, den er mit einigen Einheimischen teilt. Aus dem Augenwinkel nimmt er den vertrauten weißen Allradwagen des Rangers wahr.

»Hallo Tori, wie war das Angeln heute?«

»Kia ora, Smithy. Ziemlich gut. Meine Gäste jedenfalls sind glücklich und zufrieden in ihr Hotel zurückgekehrt. Fast alle haben einen kräftigen Fisch geangelt und den Rest wieder ins Wasser entlassen. Genau so, wie wir’s mögen, nicht wahr?«

»Es gibt Probleme mit Wilderern«, sagt der spindeldürre Ranger. »Ein paar Burschen in einem schwarzen Lieferwagen wurden gesehen, wie sie Unmengen von Fischen herausgezogen haben. Hast du irgendwas bemerkt?«

Wilderer gibt es am Taupo-See beinahe so lange, wie es Forellen gibt, und manchmal drückt Tori ein Auge zu, wenn er den Eindruck hat, es handelt sich nur um ein paar Amateure. Doch man kann mit dem Verkauf der Fische gutes Geld machen, und deshalb sind es die organisierten Diebe, denen sie das Handwerk legen wollen.

»Nein, aber ich werde es dich wissen lassen, wenn ich etwas sehe. Irgendwelche Neuigkeiten, was die Diskussion um den Krater betrifft?«

»Hm, einige Leute scheinen völlig den Kopf zu verlieren. Lassen sich von diesen Gemeinderäten aufstacheln, die uns weismachen wollen, es ginge um unser aller Leben!«

Tori grinst. »Na ja, das kommt doch manch einem gerade recht; die wollen die Menschen nur in Angst und Schrecken versetzen, wenn du mich fragst.«

»Nun, ich kenne deinen Standpunkt, aber ich frage mich allmählich, ob es richtig ist, sich zurückzulehnen und die Hände in den Schoß zu legen. Vergiss nicht, dass ein großer Lahar der Sportfischerei ein Ende bereiten könnte. Ich muss gehen, Tori, bis später dann. Vergiss nicht, mich anzurufen, sobald du diese Wilderer siehst. Du hast ja meine Handynummer.«

Zuerst hört Tori ihn in der Ferne, dann tritt der Hubschrauber der Seismologen auch schon in sein Blickfeld. Sie müssen wieder oben auf dem Berg gewesen sein, denkt er. Er selbst ist auch schon mit dem Hubschrauber geflogen, als er ungefähr vor zwei Jahren tief in den Wäldern beim Jagen war. Das Jagen hat er aufgegeben – er hat sich nie an diesen Bambiblick eines sterbenden Rehs gewöhnen können.

Über die Schulter wirft er einen Blick zum Ruapehu zurück, der in einiger Entfernung aufragt, und ein Schauder läuft ihm über den Rücken, als er daran denkt, was auf sie zukommt. Eine Zeit lang hat Tori seiner Kultur, seiner Verantwortung den Rücken gekehrt. Im späten Teenageralter hat er, angezogen von den Lichtern Aucklands, wie so viele Maoris den Heimatort verlassen. Hin und wieder wünscht er, er hätte es in der Großstadt ausgehalten, statt die Bürde auf sich zu nehmen, das Mana des Bergs zu schützen.

»Du sollst das Boot nicht hin und her schaukeln«, murmelt er. »Vielleicht hatte Großvater doch recht.«

Die Insel der Feuerberge

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