Читать книгу Die Insel der Feuerberge - Anne Maria Nicholson - Страница 15

Siebtes Kapitel

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Sie vermisst die Vertrautheit. Ihre Beziehung war lange Zeit leidenschaftlich. Zum Scherz pflegten sie zu sagen, dass die einzige Möglichkeit, in Seattle nicht einzurosten, darin bestehe, dem Regen aus dem Weg zu gehen und den ganzen Tag im Bett zu verbringen. Stundenlang konnten sie ihre Körper erkunden. Er war ein selbstbewusster und rücksichtsvoller Liebhaber. Wenn sie sich liebten, ging es mitunter laut und wild zu, und Damon zog sie auf, indem er sie Vesuv nannte. Bisweilen liebten sie sich auch zärtlich, um dann in einen erfüllten Schlaf zu gleiten, die Glieder ineinander verschlungen.

Ein paar Wochen nachdem sie aus England nach Seattle gekommen war, lernten sie sich kennen. Sie hatte ein Graduiertenstipendium, das eine Forschungsarbeit am Mount St. Helens in Washington State beinhaltete. Während der Mittagspause in einem der bevölkerten Cafés auf dem riesigen, parkähnlichen Campus fasste ihre neue Freundin Olivia sie am Arm.

»Komm, Frankie, ich stell dir einen süßen Jungen vor!«, flüsterte sie ihr zu. »Er ist der Star im Abgangsjahr der Architekturstudenten.«

Es sah aus, als hielte er an seinem Tisch Hof. Während er mit Kommilitonen der angesehenen Architekturfakultät die Verdienste der postmodernen Bauweise diskutierte, strich er sein helles, lockiges Haar zurück und versprühte einen frechen, jungenhaften Charme.

Er winkte sie herbei. »Ah, noch eine Vulkanexpertin«, sagte er und reichte ihr die Hand, während er sie musterte.

Sie zwängten sich auf die Bank neben ihn. Er trug einen einfachen schwarzen Pullover und Jeans. Sie atmete seinen erdigen, männlichen Geruch ein, froh, dass er nicht von zu viel Aftershave übertüncht wurde, etwas, was bei den meisten Studenten zur Gewohnheit geworden war.

Damon unterhielt den Tisch mit laut vorgetragenen Geschichten über architektonische Missgeburten, während sie ihre preiswerten, sättigenden Spaghetti alle vongole aßen. Frances spürte, dass sein Interesse an ihr mehr als vorübergehend war, denn er bezog sie in die Unterhaltung ein und erwiderte ihre Blicke mit funkelnden Augen.

»Was denkst du über die Architektur von Seattle?«, fragte er.

»Ich habe noch nicht allzu viel darüber nachgedacht, um ehrlich zu sein. Die Space Needle mag ich jedenfalls nicht besonders«, sagte sie. Sie meinte damit den eigenartigen Turm, das Wahrzeichen der Stadt, das anlässlich der Weltausstellung 1962 erbaut worden war.

»Das ist häretisch!«, sagte einer der anderen Studenten. »Ausgerechnet das eleganteste Bauwerk der Emerald City.« Womit er den Spitznamen von Seattle gebrauchte, eine Anspielung auf das viele Grün der Stadt. Die am Tisch Versammelten lachten.

»Auch wir haben die Space Needle ziemlich satt«, sagte Damon und eilte ihr damit zu Hilfe. »Das Bauwerk ist ein wichtiger Teil unseres Studiums, weil es bei seiner Errichtung revolutionär war und den Erdbeben trotzt, von denen unsere Gegend heimgesucht wird. Das ist schon eher dein Ding, stimmt’s, Frances?«

»Man hat mir gesagt, es gibt hier etwa sechstausend Erderschütterungen im Jahr, und bei all den seismologischen Aktivitäten, die ich bereits mitbekommen habe, ist die Zahl nicht übertrieben«, erwiderte sie.

»Richtig. Und deshalb wird uns eingetrichtert, dass unsere Entwürfe durchaus unkonventionell sein können, Hauptsache, die Statik ist in Ordnung, sodass die Gebäude bei einem Erdbeben nicht einstürzen. Jedenfalls würde Carl F. Gould dir gewiss zustimmen in puncto Space Needle, Frances. Schön ist anders«, sagte Damon.

»Wer?«

»Der große Gründer, der unsere Universität entworfen hat. Er war der Vorreiter in der Architektur zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Das Problem ist nur, dass die Mehrheit der reichen Leute von Seattle noch immer Gebäude in diesem Stil wollen.«

»Aber du wirst es ihnen zeigen, stimmt’s, Damon?«, neckte ihn einer seiner Kommilitonen.

»Da kannst du Gift drauf nehmen«, sagte er in einem Ton, der ahnen ließ, dass er erreichen würde, was immer er sich auch vornahm.

»Ein paar von uns gehen heute Abend in die Innenstadt«, rief Damon ihr nach, als sie aufstand, um zu gehen. »Vielleicht hast du ja Lust mitzukommen. Trinkst du Bier?«

»Hin und wieder.« Sie zögerte. »Um die Wahrheit zu sagen: Ich liebe Bier.«

»Es gibt ein großartiges Lokal in der Nähe des Hafens. Das Bier kommt direkt aus der hauseigenen Brauerei. The Pike Pub heißt es. Was meinst du?«

»Klar, warum nicht? Allerdings kann ich heute Abend nicht allzu früh weg. Wir haben erst vor kurzem ein paar neue Mikrofone oben im Krater installiert. Deshalb herrscht im Labor eine ziemliche Aufregung. Aber gegen acht könnte ich da sein.«

»Wunderbar«, sagte er und schob sich so nah an sie heran, dass sie geradewegs in seine blauen Augen blickte. »Die Adresse lautet 1st Avenue. Ich werde schon dort sein.«

»Der hat’s aber eilig!«, sagte Olivia, die auf ihre Freundin gewartet hatte, und stieß Frances kameradschaftlich in die Rippen.

»Ja, unter Schüchternheit scheint er nicht gerade zu leiden. Was denkst du, Ollie?«

»Ein bisschen eingebildet, aber um ehrlich zu sein, Frankie, äußerst süß.«

Die beiden Frauen hatten sich auf Anhieb gemocht. Olivia war von San Francisco, wo sie eine Zeit lang Erdbeben erforscht hatte, in den Norden gezogen; äußerlich hätten die beiden Frauen nicht gegensätzlicher sein können: Olivia war klein, hatte dickes, lockiges schwarzes Haar und war, obwohl sie äußerst fit war, ein wenig mollig. Mit ihrem ansteckenden Lachen und ihrer unbekümmerten Art war sie an der Universität allseits beliebt.

Als sie die plätschernde Drumheller Fountain auf dem Universitätsgelände erreichten, blieben sie wie gewöhnlich stehen und sahen zum Gebirgszug der Cascade Range hinüber, wo sie tags zuvor gewesen waren.

»Sieh nur, heute kann man den Mount Ranier klar erkennen.« Olivia zeigte zu dem spektakulären kegelförmigen Gipfel am Horizont von Seattle. »Er ist so viel größer als Mount St. Helens, aber längst nicht so aktiv. Ich war einmal oben. Der Aufstieg ist die Hölle!«

»Ich bin immer noch dabei, mich von gestern zu erholen, das hat mir gereicht. Meine Schenkel tun mir weh!«, sagt Frances.

Am Tag zuvor war sie mit zwei anderen des Teams früh am Morgen aufgebrochen, um zur Forschungsbasis des Mount St. Helens zu fahren, eine Strecke, die sie vier Stunden gekostet hatte. Sie waren dabei, auf dem Gipfel und an den Hängen des Vulkans ein Seismographennetz zu installieren, das jegliche verräterische Zeichen für eine etwaige Aktivität ins Labor der Universität senden würde.

Der Nachmittag im Institut verging langsam, auch wenn reichlich zu tun war.

»Ollie, sieh dir das an!«, rief Frances und wies auf ihren Bildschirm. »Was meinst du?« Die Kurven zeigten ungewöhnlich starke Ausschläge nach oben und unten, was auf Erschütterungen am Berg schließen ließ.

»Ein Hubschrauber«, sagte Olivia schnell.

»Was?«

»Auf dem Gipfel ist ein Hubschrauber gelandet. Ich bin beim ersten Mal auch erschrocken, als ich derlei Ausschläge gesehen habe. Die Mikrofone sind heutzutage so sensibel, dass sie die kleinste Erschütterung anzeigen. Schau, da und dort – das kommt von den Menschen, die oben herumlaufen. Wahrscheinlich die Passagiere aus dem Hubschrauber. Hör zu, du kannst ruhig gehen, damit du rechtzeitig zu deinem heißen Date kommst. Ich halte hier Wache. Dann bis morgen.«

Schon von weitem konnte Frances den Lärm aus dem Pub hören, als sie in die Straße etwas oberhalb des Pike Place Market einbog. Als sie den Raum betrat, erhaschte sie zwischen den Gästen hindurch einen Blick auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit, die in den durchsichtigen Röhren hinter dem Tresen sprudelte.

»Hier drüben!« Sie erspähte Damon, der ihr bedeutete, zu dem Tisch zu kommen, an dem sie ein paar andere Studenten erkannte.

»Ein Helles, Ma’am?«, fragte er, nachdem sie sich auf dem Platz neben ihm niedergelassen hatte.

»O ja, gern.«

Sie beobachtete, wie er zielstrebig zum Tresen ging und mit zwei Halben zurückkam.

Er reichte ihr ein Glas. »Prost«, sagte er und leerte ein Viertel seines Biers in einem Zug.

Frances tat es ihm gleich und genoss den kühlen, prickelnden Geschmack.

»Hast du Hunger? Das Essen wird gleich gebracht. Es wird für uns alle reichen. Es sei denn, du magst keinen Fisch. Wir feiern das Ende der Examen, deshalb wollen wir uns heute Abend etwas gönnen.«

Eine Platte nach der anderen mit einer Auswahl von dem Fang des Tages wurde gebracht: gegrillte Lachsscheiben, Krebsfleisch, gedämpfte Muscheln und gebratene Austern. Bis spät in die Nacht wurde gefeiert und getrunken.

»Warum bist du mir nicht schon früher über den Weg gelaufen? Wo kommst du her?«, fragte Damon.

»Nun ja, ich bin noch nicht lange in den Staaten. In England habe ich Seismologie studiert, aber wie du dir vorstellen kannst, gibt es dort nicht mehr allzu viele Vulkane. Daher bin ich viel gereist, zum Beispiel in die Türkei, nach Italien und zu anderen bebenden Orten Europas. Dann habe ich von einem Stipendium der hiesigen Universität gehört und mich beworben. Und voilà, hier bin ich.«

»Großartig, dass du das getan hast, Ms Nelson. Ich hoffe, wir können beruflich zusammenarbeiten.« Damon stieß mit ihr an.

Von jener Nacht an waren sie ein Paar. Frances hatte in einem Studentenwohnheim in der Nähe der Uni gewohnt, und Damon teilte sich mit zwei Kommilitonen eine Wohnung. Als einer auszog, stand außer Frage, dass sie das Zimmer übernahm.

Die Insel der Feuerberge

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