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Zweites Kapitel

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Die Ödnis um sie herum erfüllt Frances mit Ehrfurcht. Es sind jetzt bestimmt zwanzig Minuten vergangen, seit sie zuletzt einem anderen Wagen begegnet ist. Die einzigen Geräusche, die sie vernimmt, während sie sich dem Chateau nähert, sind das Knirschen der Reifen auf der Schotterstraße und ihr eigener Atem.

Sie hat vergessen, wie fehl am Platz das Hotel wirkt, am Fuße dieses Berges am Ende der Welt. Mit seinen hellblauen Dachziegeln und den weißen Schornsteinen sowie den roten Backsteinmauern, die von Sprossenfenstern durchzogen sind, ist es ein merkwürdiges europäisches Wahrzeichen in einem noch so jungen Land. Als es in den späten Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts errichtet wurde, muss es für die einheimische Bevölkerung ein seltsamer Anblick gewesen sein, zumal Neuseeland damals, wie der Rest der Welt, in der großen Depression versank.

Als Teenager war sie vom Luxus des Hotels tief beeindruckt und erstaunt angesichts der ungewohnten Extravaganz, die sich ihr Vater erlaubte. »Es ist nur für dieses Mal«, erklärte er ihr. »Deine Mutter braucht ein wenig Komfort.«

Frances hatte das Gefühl, dass auch sie ein wenig Komfort gebrauchen konnte, obwohl sie zuerst nicht mit ihnen hatte kommen wollen, sondern lieber bei ihren Freunden geblieben wäre. Sie war ein Leben ohne jeden Luxus gewohnt. Sie wohnten in einer Doppelhaushälfte eines Ziegelstein-Cottages im englischen Surrey. Damals war ihr der Zweck jener Reise nicht ganz klar, aber immerhin war es ihre erste Urlaubsreise nach Übersee gewesen.

Während sie auf den Parkplatz fährt, bemerkt sie die verräterischen Zeichen dessen, was sie ein zweites Mal in dieses Land geführt hat. Lautsprecher an Masten, Plakate mit Anweisungen und die auf den Nebengebäuden angebrachten Antennen – all das ist Teil des Frühwarnsystems, von dem Theo Rush ihr erzählt hat und das dringend modernisiert werden muss.

Das Team, in dem Frances in Seattle arbeitete, hat ein neues akustisches Frühwarnsystem entwickelt. Auch hat sie mitgeholfen, das System zu testen, zuerst in den Vereinigten Staaten und später dann in wilderen Gegenden der Welt. Doch sie weiß, dass es hier nicht so einfach sein wird. Die Wissenschaftler haben es mit einem viel engeren Zeitfenster zu tun. Beispielsweise könnte es sein, dass zwischen der Warnung, dass sich im Ruapehu ein Lahar aufbaut, bis zu dem Zeitpunkt, da er den oberen Teil des Skigebiets erreicht, nur neunzig Sekunden liegen. Optimal wäre, wenn man ein, zwei Stunden Zeit hätte, um die Menschen des umliegenden Gebiets zu evakuieren.

Als sich Frances für diesen Posten bewarb, war sie sich nicht sicher, ob sie ihn annehmen würde. Der Umzug würde ihr nicht leichtfallen. Der Gedanke daran jagte ihr Angst ein, auch wenn der Tapetenwechsel möglicherweise einen Ausweg aus dem Gefühlschaos bot, in dem sie seit längerem gefangen war. Und genau das brauchte sie. Doch als Theo anrief, um ihr den Job anzubieten, lösten sich ihre Zweifel in Luft auf, und sie wusste instinktiv, dass es das war, worauf sie ihre Arbeit all die Jahre über vorbereitet hatte.

Sie erwähnte nicht, dass sie schon einmal in Neuseeland, geschweige denn am Ruapehu gewesen war. Theo wollte sie aufgrund ihres Spezialwissens, ihrer Fähigkeit, Vulkane zu überwachen, und sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ihre Rückkehr auf sentimentalen Beweggründen beruhte.

»Hatten Sie eine lange Reise?«, fragt die rothaarige Rezeptionistin, die gar nicht erst auf ihre Antwort wartet, als sie sieht, wie Frances ihren Rollkoffer in die Lobby zieht und gleichzeitig mit Laptop und Rucksack kämpft. »Lassen Sie Ihr Gepäck stehen, ich sorge dafür, dass es auf Ihr Zimmer gebracht wird«, sagt sie, während sie Frances’ Buchung auf dem Computerbildschirm aufruft. »Wir sind nicht annähernd ausgebucht, deshalb habe ich ein Zimmer mit Blick auf den Berg für Sie reserviert.«

»Danke, das ist großartig. Herrscht schon lange so klares Wetter?«

»In den letzten Tagen hatten wir recht wenige Wolken und eine ausgezeichnete Bergsicht. Woher kommen Sie? Aus Amerika? Oder Kanada?«

»Aus Seattle … aber ursprünglich aus England.«

»Nun, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Aufenthalt. Abendessen gibt es ab sechs. Wir servieren eine Reihe lokaler Spezialitäten, und wenn Ihnen nach Schwimmen ist, so steht Ihnen der Pool im Untergeschoss zur Verfügung.«

Frances nimmt dankbar den Schlüssel entgegen und sieht sich in der Lobby um. Sie ist erstaunt, wie wenig sich das Hotel verändert hat. Von der Decke hängen noch immer auf Hochglanz polierte Kronleuchter, und sie lächelt, als dasselbe Bild vor ihr aufsteigt, das sie als Teenager vor Augen hatte: Aschenputtel, die die elegante Treppe herabschwebt. Dicke Wollteppiche weisen ihr den Weg zu der großen Lounge, wo es sich Gäste mit einem Aperitif in den schwerfälligen Sofas vor dem offenen Kamin bequem gemacht haben, in dem ein Feuer brennt.

Wie in einem altvertrauten Traum geht sie zu dem großen Panoramafenster, das von schweren Samtvorhängen eingerahmt wird. Der hoch aufragende Berg, angestrahlt vom letzten Sonnenlicht des Tages, scheint ihr etwas sagen zu wollen. Doch dann übermannt sie die Müdigkeit von ihrer langen Reise, und der Gedanke an den Berg verblasst, als sie in einen Armsessel sinkt. Endlich entspannt sich ihr Körper, und die Augen fallen ihr zu.

Aufgeschreckt von dem unverkennbaren Rotorengeräusch eines Hubschraubers, geht sie wieder zum Fenster und sieht, wie er gleich einer Libelle auf der Suche nach Beute aus den Wolken rings um den Vulkanschlund aufsteigt, dann ein paar Sekunden unschlüssig auf derselben Stelle verharrt, ehe er wegfliegt.

Die Insel der Feuerberge

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