Читать книгу Die Insel der Feuerberge - Anne Maria Nicholson - Страница 14

Sechstes Kapitel

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Warmes Wasser fließt über ihren Körper und beruhigt ihre vom Jetlag verspannten Glieder. Ihre Biouhr sagt ihr, dass sie noch immer in Seattle ist, und deswegen ist Frances früher als üblich aufgestanden, um sich ein wenig im Hotelpool zu räkeln, dessen Wasser von einem der unzähligen Thermalquellen gespeist wird, die das Vulkanplateau überziehen.

Ihr graut es vor dem vor ihr liegenden Morgen. Vielleicht sollte sie den geplanten Besuch in Tangiwai doch lieber lassen. Sie könnte die Sache einfach vergessen und stattdessen auf direktem Weg nach Taupo fahren. Das wäre so viel einfacher.

Ein Platschen neben ihr schreckt sie aus ihren Gedanken. Der korpulente Mann aus Bayern und seine nicht minder mollige Frau, die sie am Abend zuvor im Restaurant kennengelernt hat, schwimmen um sie herum. Ihr kräftiges Planschen und der Anblick der üppigen Leiber, die sich unter den Badeanzügen spannen, als wollten sie ihre Belastbarkeit testen, reichen aus, um Frances zum vorzeitigen Verlassen des Schwimmbads zu bewegen.

»Wollen Sie sich uns heute nicht anschließen, wo Sie doch allein reisen?«, fragt sie der nahezu glatzköpfige Mann.

»Sehr nett von Ihnen.« Frances klettert aus dem Pool und spürt ihre Augen überall auf ihrem groß gewachsenen, durchtrainierten Körper. »Ich habe nicht vor, den ganzen Tag unterwegs zu sein. Trotzdem vielen Dank.«

Seite an Seite schwimmen die beiden zum Beckenrand und hüpfen herum wie zwei psychedelische Robben. Aus dem Augenwinkel bemerkt sie, wie sie sie wehmütig anstarren, während sie sich eilig in ein großes weißes Badetuch wickelt und zielstrebig auf die Treppe zueilt.

Als sie langsam die Straße zum Fuß des Berges hinabfährt, ist sie unentschlossener denn je. An der nächsten Kreuzung hält sie an, unsicher, welchen Weg sie nehmen soll. Eine gute Minute lang sitzt sie da und blinzelt, weil das durch die Windschutzscheibe einfallende Sonnenlicht sie blendet. Ein Wagen fährt hinter ihr heran und hupt voller Ungeduld. Sie schlägt mit der Faust aufs Lenkrad. »Feigling!«, sagt sie zu sich selbst und biegt rechts ab. Tangiwai kann warten: Entschlossen fährt sie in Richtung Osten.

Es dauert nicht lange, und sie lässt das alpine Panorama hinter sich, als die Straße zum Taupo-See hin abfällt. Riesige Röhren klammern sich an die smaragdgrünen Hügel, die sichtbaren Ausläufer des gigantischen Tunnellabyrinths, das zu dem Wasserkraftwerk am See gehört. Sie weiß, dass die Eruption eines Lahars es zerstören könnte. Die Straße verläuft jetzt gerade, und bald folgt eine Seitenstraße nach der anderen, jede von kleinen, ausdruckslosen Holzhäusern gesäumt – die seelenlosen Vorortstraßen einer Kleinstadt namens Turangi. Sie erinnert sich, dass dies einst das neue Zuhause für Tausende von Italienern war, die an diesen abgelegenen Ort gebracht worden waren, um einen Tunnel in den Berg zu sprengen. Die Arbeiter sind seit langem wieder fort, doch noch immer scheinen die Häuschen, in denen sie untergebracht waren, von der Einsamkeit der Immigranten zu künden.

Kurz hinter dem Städtchen erschrickt Frances, als sie einen unerwartet nahen Blick auf den See erhascht – eine riesige Ausdehnung blauen Wassers, in dem sich ein ebenso blauer, von Zirruswolken durchzogener Himmel spiegelt. Die Straße wird schmaler und folgt der geschwungenen Küstenlinie. Während sie an winzigen Fischweilern vorbei ihrem kurvenreichen Verlauf in Richtung Taupo folgt, eröffnen sich Frances zwischen Kieferngruppen hindurch immer wieder flüchtige Postkartenblicke.

Sie biegt um eine Kurve und fährt über eine kleine Brücke mit dem Namen Waitahanui. Eine lange Reihe von Anglern, zwischen zwanzig und dreißig, steht bis zu den Hüften im See, der sich hier hinter der Mündung des kleinen Flusses erstreckt. Sie hält an, um zuzusehen, wie sie in ihren Wathosen in dem wirbelnden Wasser balancieren und ihre Angelschnüre in die Strömung werfen oder einholen. In ihren Anglerwesten mit den unzähligen Taschen über langärmeligen Hemden und den Schlapphüten sehen sie aus wie ein aus Menschen gebauter Palisadenzaun, entschlossen, nicht eine einzige Forelle durchzulassen.

Bald erreicht sie den Uferrandbezirk von Taupo, wo jedes zweite Gebäude ein Hotel zu sein scheint. Der Verkehr staut sich auf der schmalen Straße, da zu viele Fahrzeuge stadteinwärts fahren wollen. Sie folgt den Anweisungen von Theo Rush und findet ohne weiteres das Office of Seismology, ein kleines quadratisches Gebäude mit verblichenem Anstrich, das ein paar Straßen hinter der Hauptgeschäftsstraße liegt.

Sie stellt den Wagen in der Nähe ab und bleibt einige Minuten sitzen, während sie die Gesichter der Menschen betrachtet, mit denen sie dieses Städtchen teilen wird, jedenfalls für eine gewisse Zeit. Nachdem sie das Gebäude betreten hat, folgt sie einem Schild, das zum oberen Stock weist. In einem der Büros sieht sie einen gebräunten Mann in mittleren Jahren mit freundlichen Gesichtszügen, der auf einem Schreibtisch einen Stapel Papiere verschiebt, ringsherum ein heilloses Durcheinander an Kartons.

»Ah, Sie müssen Frances sein. Schön, Sie hier zu sehen.« Theo überrascht sie mit einer kräftigen Umarmung und einem dicken Schmatz auf beide Wangen. »Das ist der Willkommensempfang, den ich Ihnen versprochen habe«, sagt er grinsend. »Ich bin froh, dass Sie sicher gelandet sind. Hatten Sie eine gute Reise?«

Frances, die befangen seinen Willkommenskuss erwidert hat, ist erleichtert über seine vertrauenerweckende Art, die noch unterstrichen wird durch die Lachfalten, die sich tief in sein Gesicht eingekerbt haben.

»Ja, wenngleich sie sehr lang war. Ich habe das Gefühl, als wäre ich Wochen unterwegs gewesen und tatsächlich auf der anderen Seite der Welt angekommen.«

Sie bemerkt, wie Theo sie von Kopf bis Fuß mustert. »Nun, Sie sehen fit genug aus, um den Anforderungen Ihres Berufs gewachsen zu sein«, sagt er. »Das müssen Sie auch. Es ist ein ziemlich raues Land. Aber das sind Sie ja schließlich gewohnt, nicht wahr?«

»Hm, keine Aufgabe zu hart, kein Berg zu hoch.« Sie grinst und beugt einen Arm, um ihre Muskeln spielen zu lassen.

»Das gefällt mir. Endlich mal jemand mit einer positiven Lebenseinstellung.«

Ein muskulöser Mann Mitte dreißig platzt herein, in der einen Hand eine abgegriffene braune Aktenmappe aus Leder und in der anderen einen Rucksack.

»Ah, Sam, da bist du ja«, sagt Theo. »Lass mich dir Frances Nelson vorstellen, sie ist soeben angekommen.«

»Hab mir schon gedacht, dass Sie die Amerikanerin sind.« Sam sieht ihr direkt in die Augen. Mit einstudierter Nonchalance lässt er Mappe und Rucksack auf den Schreibtisch fallen, dann dreht er sich um und schüttelt ihr die Hand. »Es gibt hier nicht so viele andere Wissenschaftler, die zu Ihrer Beschreibung passen würden. Die meisten von ihnen haben Bärte.«

Frances, die einen Anflug von Aggressivität in seiner Stimme bemerkt hat, schenkt ihm ein flüchtiges Lächeln. »Meinen habe ich vor der Abreise abrasiert«, sagt sie, während sie seinem durchdringenden Blick standhält und seinen starken Händedruck erwidert.

»Ich muss nur noch ein paar Dinge erledigen, dann bringe ich Sie zu Ihrem Motel«, sagt Theo. »Sie werden bestimmt nichts dagegen haben, erst mal eine Nacht lang auszuschlafen, bevor wir uns morgen wieder treffen.«

Theo fährt einen grünen Range Rover, der reichlich mitgenommen aussieht. Als er neben ihren Wagen fährt und ihr bedeutet, ihm zu folgen, kann sie den Staub und die Kratzer erkennen, Zeichen eines arg beanspruchten Fahrzeugs. Er schlängelt sich durch die Straßen von Taupos Geschäftsviertel, ehe er am Stadtrand vor einem Motel hält, das sich an das Seeufer duckt.

»Hier sollten Sie’s eine Weile aushalten können«, sagt Theo und reicht ihr eine Visitenkarte. »Das ist die Immobilienmaklerin, von der ich Ihnen erzählt habe. Sie wird Ihnen ein paar geeignete Wohnungen zeigen. Die Zeit ist günstig, denn in der Nebensaison ist die Auswahl groß.«

Von ihrem Zimmer aus kann Frances jenseits des Sees die Berge sehen. Die Sonne geht gerade unter, und das Blau des Himmels ist von orange gefärbten Wolken gesprenkelt. Das Himmelblau geht in Marineblau über und verschmilzt mit dem dunkler werdenden See. Sie fühlt sich an Seattle erinnert, die wunderschöne, von Wasser umgebene Stadt, die für so viele Jahre ihre zweite Heimat gewesen ist.

Nachdem sie ihre Tasche ausgepackt hat, findet sie das Internetkabel für ihren Laptop und beschließt, dass es nach einer Unterbrechung von vier Tagen Zeit ist, ihre E-Mails abzurufen. Ihre Eingangsbox blinkt – sieben neue Nachrichten. Zum ersten Mal an diesem Tag spürt sie wieder den stechenden Schmerz in der Magengegend. Sie klickt eine E-Mail an, eigentlich die letzte, die sie lesen wollte, aber sie weiß, dass sie nicht anders kann. »Hallo, Baby«, beginnt die Mail. »Hoffe, du bist gut angekommen. Ich vermisse dich. Alles Liebe, Dämon.«

Die Insel der Feuerberge

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