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So wie Zeus die sieben Töchter des Titanen Atlas, die Plejaden, als Sternbild aufs Himmelsgewölbe setzte, so haben meine Eltern mit Hilfe des Herrn oder Jupiters sieben Schwestern an meinen Himmel gesetzt, als ich am 19. Februar 1890 auf dem Erbhof Willhofsgave am Horsens Fjord geboren wurde.

Wie eine leuchtende Sternenschar standen meine Schwestern von dem Augenblick an über mir, in dem ich das Licht der Welt erblickte.

Meine Mutter hatte unter großen Schwierigkeiten entbunden, was zweifelsohne an der Deformierung des Kindes lag, eine Laune der Natur, die meinen Vater während meiner ersten Lebensjahre veranlasste, mit unserem Herrgott hart ins Gericht zu gehen. Seine ausbalancierte dreieinige Lebenseinstellung, bestehend aus Lebenserfahrung, Wissenschaft und Christentum, geriet für eine gewisse Zeit gehörig ins Wanken.

Während er – mit oder ohne Kind – hierhin und dorthin reiste, um Hilfe im Ausland zu suchen, zwang ihn die Realität, sich mit jenem Teil der Philosophie zu befassen, der außerhalb der Erfahrung und Prinzipien steht, auf denen alle Erkenntnis beruht. Nach ein paar Jahren war sein Schiff wieder flottgemacht, und dessen drei Masten hatten erneut dieselbe Höhe und Beschaffenheit. Mit Klugheit, Fleiß und Tatkraft gelang es ihm, die Harmonie wieder herzustellen, noch bevor ich drei Jahre alt war.

Durch meinen Bruder war die Erbfolge bereits 18 Jahre vor meiner Geburt gesichert worden, was meinen Vater nicht davon abhielt, auch mich als jungen Hoferben zu bezeichnen.

Helmuth wohnte nicht auf Willhofsgave und hat es nie getan. Als meine Familie von Kopenhagen nach Jütland zog, wurde der knapp Vierzehnjährige beim Vater meiner Mutter untergebracht, dem pensionierten Museumsleiter und Numismatiker Sophus Mühlenhausen. Er hatte gerade seine Frau verloren, und so hielt man es für eine gute Lösung, dass Helmuth in der Stadt blieb, dort weiter zur Schule ging und dem Alten Gesellschaft leistete.

Unser altes Kindermädchen hat mir einmal unfreiwillig zu verstehen gegeben, sich sehr um meinen großen Bruder gesorgt zu haben. Sie erzählte mir, es hätte ihr damals wehgetan, einen so jungen Kerl auf diese Weise zurückzulassen. Wenn sie seinerzeit schon über den großen Einfluss verfügt hätte, den sie später ausübte, hätte sie sich gewiss gegen die Entscheidung aufgelehnt.

Von seinen Schwestern und Eltern gehätschelt und umsorgt, bildete er den Mittelpunkt, wenn er in den Ferien nach Hause kam, und auch ich entwickelte eine große Zuneigung zu ihm und besonders zu seinem Freund Olaf. Ich erinnere mich an nichts anderes, als dass Olaf beinahe ständig bei uns war. Im Gegensatz zu Helmuth beschäftigte er sich ganz ohne Vorbehalte mit mir. Als ich mit sieben Jahren schon richtig gut Klavier spielen konnte, stellte er sich am Flügel in Positur und ließ zu meiner Begleitung und der ungeteilten Begeisterung meiner Familie seinen Tenor erklingen.

Die Plejaden – von Astronomen als M 45, von Laien als Siebengestirn bezeichnet – bilden den schönsten so genannten offenen Sternenhaufen des Himmels. Meine leuchtenden Schwestern waren allgegenwärtig. Wie Sterne umstrahlten mich ihre Gesichter, als sie sich von drei Seiten über den Tisch beugten, auf den man mich Neuankömmling gelegt hatte, um zu sehen, was ich denn für einer war.

Meine gut entwickelten Geschlechtsorgane ließen keinen Zweifel aufkommen, dass hier ein Mann in spe lag. Doch davon abgesehen, hatte die Hebamme – noch bevor das Kind gewogen und für zu leicht befunden worden war – in Anbetracht der Mühe, die sie gehabt hatte, mich durch das letzte Hindernis hindurch ans Licht zu zerren, flüsternd ihre Bedenken hinsichtlich meiner Konstitution zum Ausdruck gebracht.

Nichts konnte zu diesem frühen Zeitpunkt die kleinen und großen Damen verunsichern, die je nach Alter und Temperament vor Freude jauchzten und seufzten. Ihre Gesichter leuchteten vor Freude über das Kind auf dem Tisch, als wäre es vom Himmel gefallener Sternenstaub.

Madame Johannesen sollte die Hofjägermeisterin zum ersten Mal entbinden, und das erfahrene Kindermädchen Melvida Valentin, genannt Vidde – das sich im Übrigen den Rang einer Mamsell erworben hatte, da die meisten Kinder schon aus den Kinderschuhen heraus und halbwegs selbständig geworden waren –, versicherte der Hebamme, acht leibhaftige Exemplare bewiesen hinreichend, dass dieser Schoß in der Lage sei, ein Kind freizugeben, wenn die Zeit gekommen sei.

Vidde, die sich im Laufe der Jahre eine gewisse Autorität im Haus erkämpft hatte, hielt ihren Hinweis für ausreichend und musste einen nahenden Kompetenzenwettstreit mit dem Hofjägermeister verloren geben, als dieser während der einleitenden Phase der Geburt Madame Johannesen auf einen Kaffee in seine Bibliothek einlud.

Hier wurde die erfahrene Hebamme so gründlich über den Verlauf der früheren Geburten informiert, dass sie glauben musste, der Hausherr sei Arzt und Geburtshelfer in einer Person, obgleich sie aus der Zeitung wusste, dass er in der Schweiz das Bankwesen studiert hatte.

Während des Kaffeetrinkens nickte sie sachlich, überwand ihre Verblüffung und gewann aus der zweifachen Aussage über die problemlosen früheren Geburten die Überzeugung, dass ihr eine leichte Aufgabe bevorstünde, wenn das Kind nur gesund sei. Ins Geburtszimmer zurückgekehrt, genügte ihr ein Blick in Viddes Gesicht, um zu begreifen, dass die Situation eine unvorhergesehene Wendung genommen und man sich verrechnet hatte.

Als das unbestechliche Gewicht der Laufgewichtswaage nach oben schnellte und drei Kilo und ein paar Gramm anzeigte, erklärte sie ungeniert:

«Mit dem Kopf müsste es doch über vier Kilo wiegen!»

Im Bewusstsein ihrer frisch erworbenen Doppelwürde, schnaubte Vidde vor Wut. Als Kopenhagenerin verabscheute sie das bäuerliche «es», wenn ein Kind gemeint war. Die Bedeutung des Gesagten kümmerte sie nicht.

Die Wöchnerin schlief, und die Mädchen glaubten zu träumen. Sie starrten alle gebannt auf das lebhafte Kind auf dem Tisch und versicherten einander, dass der Kleine einen ganz besonders aufgeweckten Eindruck mache.

Der Hofjägermeister, der selbst anwesend war und sich mit den Händen auf dem Rücken über die Mädchen hinwegbeugte, um etwas sehen zu können, lachte der Hebamme zu und sagte:

«In diesem Kopf ist Platz für sehr viel Verstand.»

Die Hebamme packte ihre Sachen zusammen, während sie den Anwesenden im Geburtszimmer zumindest darin Recht gab, dass der Neugeborene ungewöhnlich aufmerksam und geistesgegenwärtig sei. Auf das kleinste Geräusch platschenden Wassers oder klappernder Schüsseln und Instrumente reagierte er. Selbst das Knirschen der Tür, als der Hofjägermeister den Raum verließ, entging dem kleinen Kerl nicht.

Zur nach wie vor ungetrübten Freude Viddes und der Mädchen bemerkte sie zum Abschied, so etwas habe sie noch nie gesehen. Aufrichtig wiederholte sie ihre Worte, als der Hofjägermeister sich in der Diele erbot, ihre Tasche zum Wagen zu tragen: «... noch nie gesehen.»

Er lachte. Natürlich hatte sie das nicht. Willhofsgaves neuntes Kind der vierten Generation des Erbhofs war, wie erwartet, etwas ganz Besonderes. Es wurde auf einem Gut geboren, dass über eine Bibliothek von 10 000 Bänden verfügte; das Kind hatte das Blut von Generationen in den Adern, die (drei auf der mütterlichen und zwei auf der väterlichen Seite) Mitglieder der Wissenschaftlichen Gesellschaft waren. Da schien es einleuchtend, dass Madame Johannesen, die Landhebamme vom Horsens Fjord, so etwas noch nie erlebt hatte.

Objektive Augen, die wissen, worauf sie zu achten haben, können bereits bei einem Neugeborenen gewisse Symptome der Achondroplasie feststellen, selbst wenn sie von dieser Krankheit noch nie gehört, geschweige denn Bekanntschaft mit ihr gemacht haben. Eine erfahrene Hebamme vergisst nicht – wie andere vielleicht –, wie klein ein Säugling ist, und weiß genau, wo die Haut sich natürlicherweise faltet und zusammenschiebt und wo nicht. Selbst weniger erfahrene Augen würden sich im Laufe weniger Tage wundern, dass die weichen Teile der Oberarme und Oberschenkelknochen sich nicht strecken.

Als Madame Johannesen am fünften Tag zu ihrer obligatorischen Visite erschien, war das Lachen des Hofjägermeisters nicht mehr ganz so ausgelassen.

Tanz der Zwerge

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