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Aus gutem Grund herrscht in meinem Elternhaus ein antimaterialistischer Geist. Genügsamkeit war ein Erbteil des Gutshofs, eines einfachen, geschmackvollen Rokokoguts, das sein Begründer erbaut hat. Der ursprüngliche Hof, der sich an derselben Stelle befand und sich bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückverfolgen lässt, hieß «Knyle». Ich habe im Wörterbuch der Wissenschaftlichen Gesellschaft nachgeschlagen. «Knylen» bedeutet: mager werden.

Reich sind wir nie gewesen. Die Größe von Willhofsgaves Gesamtfläche richtet sich nach den Gezeiten von Fjord und Meer. Die Erträge der eingedämmten Marschgebiete, die einen Großteil des Grundbesitzes ausmachen, sind gering, und die Wege zu den Absatzorten ungeheuer lang und kostspielig.

Die Tatsache, dass die Felder des Guts sowohl vom Kattegatt als auch vom Fjord überspült werden, lenkte die Aufmerksamkeit meines naturwissenschaftlich orientierten Urgroßvaters auf die Algen, die damals noch sehr wenig erforscht waren. Viele der Algen, die er entdeckte, fanden Aufnahme in die Flora Danica, zu der er bereits in jungen Jahren einen indirekten Beitrag leistete, als ein Professor der Kopenhagener Universität ihn als seinen Lieblingsstudenten zu botanischen Expeditionen nach Fünen und Jütland mitnahm.

Die Algenart «Holmia», die die Eigenschaft besitzt, das Niveau des Meeresbodens in Fjorden und an den Küsten anzuheben, ist nach meinem Urgroßvater, dem ersten Erbhofbesitzer Tyge Ludvig Willhof-Holm, benannt. Seine Bedeutung für das Selbstbewusstsein meiner Familie kann nicht überschätzt werden. Wie Mikroben fließen Teile dieses Algengeschlechts durch die Adern meiner Schwestern, haben ihre Glieder schlank und ihre Rücken rank werden lassen. Oscillatoria Holmia sitzt in ihren Hautzellen, verleiht ihren Profilen Geist und erhebt sie weit über alles Materielle, und das ist auch gut so.

Werden doch einmal bescheidene Überschüsse erwirtschaftet, erweist sich der Hof als gefräßiger Rachen, der das Geld für Sanierungen, für die Wohnungen der Landarbeiter sowie für Feld und Vieh verschlingt, sofern der Gewinn nicht anderweitig Verwendung findet, so wie damals, als mein Vater die Kirche erbauen ließ – seine einzige materielle Ausschweifung.

Während seiner gesamten Zeit als Erbhofbesitzer musste er die Neigung der vorigen Generationen zu selbst finanzierten, brotlosen Unternehmungen büßen. Mein Großvater gründete eines der ersten landwirtschaftlichen Institute des Landes und errichtete außerdem eine meteorologische Station. Er führte das naturwissenschaftliche Versuchslaboratorium seines Vaters weiter und praktizierte darüber hinaus ebenfalls dessen Prinzip der offenen Tür gegenüber Naturwissenschaftlern und Forschern.

«Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass gemeinsames wissenschaftliches Interesse zu den erfreulichsten Brücken zählt, die Menschen miteinander verbinden», schrieb mein Urgroßvater in einer Gedenkschrift über die lebenslange Freundschaft mit einem norwegischen Wissenschaftler, der ihn in jungen Jahren gemeinsam mit einigen Franzosen auf Exkursionen in die Pyrenäen begleitete.

Von Tante Caro war in meiner Kindheit wiederholt die Rede, und Vidde machte hin und wieder wenig respektvolle Andeutungen. Wir hatten sie von meinen Großeltern geerbt, die sie wiederum von meinen Urgroßeltern übernommen hatten.

Caroline Bahne kam als relativ junge Botanikerin und Rekonvaleszentin nach Willhofsgave und war meinem Urgroßvater «freundschaftlich zugetan». Sie erholte sich in der schönen Umgebung und der, wie es heißt, trauten Gesellschaft meiner Urgroßeltern aufs Beste, wuchs mit dem Hof zusammen und starb hier, steinalt, kurz bevor ich geboren wurde. Willhofsgaves Herbarium steht in Form von vierzehn dicken Lederbänden mit Goldprägung als der sichtbare Beweis für Caros Engagement im innersten Teil der Bibliothek.

«Warum sprichst du so schlecht von dieser Tante Caro?», fragte ich Vidde einmal.

«Das spielt doch keine Rolle. Ich habe meine Erinnerungen, und du weißt nicht einmal, was das Wort ‹Kebse› bedeutet.»

Mein Vater trat das Erbe seiner Vorväter mit Freude und Stolz an. Insgesamt hat er allen Grund, wie schon sein Vater und Großvater, erhobenen Hauptes durchs Leben zu gehen. Wissenschaft und Geist in jeder Form haben immer höchste Priorität gehabt. Das Geschäftliche liegt ihm nicht, was ungünstig ist, denn in der Landwirtschaft muss gekauft, verkauft und gehandelt werden. Mein Bruder hat erzählt, dass unser Vater einmal mitten in einer Verhandlung sagte: «Diesen Vertrag unterschreibe ich nicht, weil es Ihnen nicht ernst damit ist.»

Als das Landwirtschaftliche Betriebsbüro im Jahr vor der Abschaffung des Lehnswesens von ihm verlangte, den Zinssatz für die Kredite zu erhöhen, die von den Bauernhöfen immer noch abbezahlt werden mussten, geriet er außer sich vor Zorn. Die äußerst moderaten Bedingungen, zu denen mein Urgroßvater die Höfe an ihre Pächter verkauft hatte – und die eher durch seinen Frankreichaufenthalt in den Jahren nach 1789 angeregt worden waren als von den halbherzigen Reformversuchen zur Aufhebung der Erbuntertänigkeit –, waren plötzlich gesetzeswidrig geworden. Er durfte die längst freigekauften Pächter nicht einen niedrigeren Zins bezahlen lassen als den, den die Kleinbauern vom Staat erhielten. Das entrüstete ihn. Er protestierte entschieden, erhielt jedoch keine Zustimmung.

Der hochsensible, rechtschaffene Instinkt bewegt sich natürlich in beide Richtungen. Die Redlichkeit, die er anderen gegenüber an den Tag legt, verlangt er auch von diesen.

Sich selbst gegenüber handelt er immer in Übereinstimmung mit dem, was er im Innersten als korrekt empfindet, ohne Rücksicht auf die Kosten. Das macht ihn oft zu einem schlechten Ökonomen.

Unmittelbar vor der Abschaffung des Lehnswesens musste er mit seinen geringen Mitteln Land aufkaufen, weil er es nicht übers Herz brachte, den Bestand der von seinem Großvater und Vater mühselig eingedämmten Felder anzutasten. Das Gesetz über die staatlich gestützte Bewirtschaftung der kleinen Bauernhöfe verpflichtete die Besitzer größerer Güter nämlich dazu, Bodenparzellen in den Randgebieten abzutreten. Man mag der Meinung sein, mein Vater hätte sich anders entscheiden sollen, aber das konnte er eben nicht. Meine Schwestern bewundern ihn maßlos dafür. Helmuth und ich sehen das anders.

«Bei ihm ist fast nichts mehr vom alten Volkswirt zu spüren», sagt Helmuth, der ebenfalls Politische Wissenschaften studiert hat und die beiden Familieninteressen, Naturwissenschaft und Wirtschaft, in seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Forschungslaboratoriums der Königlichen Veterinär- und Landwirtschaftshochschule vereint.

Er hat eine Dienstwohnung am Rolighedsvej. Es ist schön, ihn so nah zu wissen, auch wenn wir uns nur selten sehen. Der Kontakt findet meistens über unsere gemeinsame Haushaltshilfe, Anna Lovinda, statt. Ich muss sie bitten, ihn zu fragen, an welchem Tag er nach Hause fahren wird. Vielleicht können wir zusammen fahren.

Ich habe das Gefühl, mein Bruder und ich teilen stillschweigend den Eindruck, der Kampf meines Vaters sei der von Don Quijote gegen die Windmühlen und halte ihn aufrecht.

Einer der Wahlsprüche meines Vaters, die er seinen hoch gewachsenen Kindern mit auf den Weg gibt, lautet: «Man leidet nur einmal und siegt für immer.» Ich wünschte, er könnte das zu sich selbst sagen oder seinem Herzen mit einem anderen Kierkegaard-Zitat Luft verschaffen: «Schlechte Zeiten sind gute Zeiten.» Dies sagte er bei einem ganz bestimmten Anlass, doch ich hätte es besser gefunden, die Dinge beim Namen zu nennen: Gute Zeiten sind gute Zeiten.

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