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5.1 Erziehungsziele im 'Dritten Reich'

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Die Erziehungsziele im 'Dritten Reich' waren darauf ausgerichtet, die nationalsozialistische Ideologie und Anthropologie umzusetzen. Anstatt einer pädagogischen Ausrichtung fokussierten und unterstützten sie allein die Herrschafts- und Eroberungsbedürfnisse ihrer politischen Machtträger.

Die bereits erwähnte Abkehr von der Individualität zugunsten der Volksgemeinschaft, der Negierung von Pluralität und der intellektuellen Fähigkeiten einzelner Menschen innerhalb einer Gesellschaft, fand Ausdruck in der von Schirach 1933 deklarierten 'Revolution der Erziehung'. Um deren Ziel zu erreichen, die gesamte deutsche Jugend „körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zu erziehen“148, fand in der Schule wie auch in der Staatsjugendorganisation ein maßloser, totalitärer und entindividualisierender Zugriff auf die Jugend statt. Die Erziehung in der Gruppe, in der sich der Einzelne zugunsten der Volksgemeinschaft aufgibt, wurde zur vorrangigen Aufgabe und zum Ziel erklärt, wobei die jungen Menschen „durch Erkenntnis, Erlebnis und Willen an die Gemeinschaft gebunden“149 werden sollten. Aufklärung und intellektuelle Bildung waren nicht gefragt. Um Menschen zu erziehen, denen das Allgemeinwohl wichtiger war als die Bildung der eigenen, individuellen Persönlichkeit, sollten die Kinder so früh wie möglich der HJ und dem BDM beitreten.

Nach Hitlers Bildungsideal war ein „zwar wissenschaftlich wenig gebildeter, aber körperlich gesunder Mensch mit gutem, festem Charakter, erfüllt von Entschlussfreudigkeit und Willenskraft […] für die Volksgemeinschaft wertvoller als ein geistiger Schwächling.“150 An Bedeutung gewann in diesem Zusammenhang die Propagierung eines religionsähnlichen Patriotismus, basierend auf Adolf Hitlers 'Mein Kampf' als deutsch-völkische Bibel. Die jungen Menschen sollten nicht zum kritischen Nachdenken angeregt werden, sondern zum blinden Glauben an die Richtigkeit der völkisch propagierten Ideen und Ziele. Geistige Fähigkeiten sollten nur in Bezug auf die Formung des Charakters eine Rolle spielen, in dem sie verhalfen, Tugenden wie „Treue, Opferwilligkeit und Verschwiegenheit“151 sowie Aufrichtigkeit, Entschluss- und Verantwortungsfreude zu entwickeln.

Letztendlich war die körperliche Ertüchtigung höchstes Erziehungsziel, Basis und Voraussetzung für die weitere ideologische Schulung im sozialdarwinistischen Sinne, das besagte, dass sich der Stärkere auf Kosten des Schwächeren durchsetzt. Hitlers vielzitierter Satz des „Heranzüchten kerngesunder Körper“152 kann in diesem Zusammenhang gesehen werden. Der Körperkult innerhalb des NS-Regimes wurde noch verstärkt durch propagandistische Parolen der Gesamt-HJ, wie beispielsweise 'Dein Körper gehört der Nation' oder auch 'Du hast die Pflicht, gesund zu sein'.153

Im Verhältnis zur körperlichen Ertüchtigung wurde der weltanschaulichen Schulung weniger Zeit und Raum bei der Erziehung der Jugend beigemessen. Ihr Schwerpunkt lag auf der „Behandlung der Rassefrage“154 und der Vermittlung eines 'Rassegefühls' als Grundlage für eine spätere anwend- und umsetzbare Rassenpolitik. Einher ging damit die Förderung eines „unerschütterlichen Nationalgefühls und eines fanatischen Nationalstolzes“155. Hierbei spielten vor allem die Schlüsselwörter „Rasse, Blut, Boden, Geist, Führertum, Ehre, Wehr, bewusste Selbstbejahung der Nation“156 eine große Rolle.

Die Erlangung der 'Ehre' wurde als Erziehungsziel besonders hervorgehoben, dass sie das „natürliche Recht auf die Achtung [darstellte], die jeder Volksgenosse als Glied und Träger der Gemeinschaft für sich beanspruchen kann.“157 Die größte Ehre erlangte der Einzelne durch den harten Kampf für das Vaterland, sei es an der Kriegsfront oder in der Heimat.

Zusammengefasst sei betont, dass es sich bei den formulierten Erziehungszielen im Nationalsozialismus fast ausschließlich um Prinzipien der Menschenformung handelte, orientiert an den Bedürfnissen des Staates. Pädagogische Normen und Ziele verloren an Bedeutung und verschwanden im Laufe der Zeit fast vollends.158

Einmal in der Staatsjugendorganisation angelangt und mit den Werten und Normen des Nationalsozialismus bekannt gemacht, sollten die Kinder nie wieder Gelegenheit erhalten, andere Ideologien kennenzulernen, um zu verhindern, dass sie eigene Vorstellungen einer individuellen Lebensgestaltung entwickeln. Hitler formulierte es in seiner Rede in Reichenberg vom 2. Dezember 1938 folgendermaßen: „Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch zu denken, deutsch handeln. Und wenn nun dieser Knabe und dieses Mädchen mit ihren zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort nun so oft zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei oder in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganz Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alle mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre. Und wenn sie dann nach zwei oder drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter. Und sie werden nicht mehr frei, ihr ganzes Leben.“159

Staatsjugendorganisationen – Ein Traum der Herrschenden

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