Читать книгу Tödliche Option - Annette Meyers - Страница 12

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Wetzon trat nach ihrer Ballettstunde auf die 57. Street, euphorisch gestimmt wie immer nach dem Kurs, so lebendig, daß ihre Haut wie aufgeladen prickelte. Ihr langes aschblondes Haar, das sie aus dem Knoten gelöst hatte, wippte als lockerer Pferdeschwanz hin und her, während die feuchten Strähnen in ihren Kopf trockneten. Als sie auf den Broadway zumarschierte, überlegte sie, daß sie zu Fuß nach Hause gehen könnte. Es war noch hell, und sie würde eine von vielen sein, die in Kostüm und Reeboks – der bevorzugten Aufmachung der berufstätigen Frau in Manhattan – nach Hause ging.

»Juhu, Häschen!« Carlos stand an der Ecke Broadway und 57. oder, besser gesagt, machte Jetés, der schlanke, geschmeidige Körper noch genauso gelenkig wie damals, als beide Gruppentänzer am Broadway gewesen waren.

»Du erregst Aufsehen, du wunderbares Geschöpf.« Sie fing ihn ein, indem sie die Hände auf seine Schultern legte, ihn festhielt und einen Kuß auf die Lippen drückte. Sie waren genau gleich groß.

»Als ob mir das war ausmachte.« Er warf den dunklen Kopf zurück. Der große Diamantknopf an seinem linken Ohrläppchen funkelte. Genaugenommen funkelte alles an Carlos. »Ich bin nicht derjenige mit dem vorschriftsmäßigen Kostüm und den unpassenden Schuhen. Schämst du dich deiner alten Freunde?« Er bedachte sie mit einem strengen Blick, aber dabei lächelte er breit, und in seinen tiefschwarzen Augen sah sie das vertraute teuflische Glitzern.

»Wie kannst du so etwas Schreckliches sagen, aber von dir ist ja nichts anderes zu erwarten.« Carlos verabscheute ihren Beruf, hielt ihn für herzlos und gemein. Wetzon vermied es, darüber zu sprechen. »Wo gehst du hin?«

»Hoch zu Arthur.« Er legte seinen Arm um sie und nahm ihre Aktentasche.

»Wie geht es Arthur?« Sie machte einen halbherzigen Versuch, ihm die Tasche wegzunehmen, dann gab sie auf.

»Über beide Ohren mit Stiftungen und Immobilien beschäftigt. Wie geht’s dem Sergeant?« Sie gingen jetzt den Broadway hoch.

»Er ist Lieutenant geworden.«

»Schön. Jetzt kann er sich eine Frau leisten.«

Sie blieb stehen und drohte ihm mit dem Finger. »Sieh mich an, Ungeheuer. Siehst du mich als Frauchen?«

Er starrte sie an, neigte den Kopf zurück und zur Seite, schloß ein Auge. »Ach, ich weiß nicht. Du könntest gut aussehen mit einer Schürze.«

»Wehe, du sagst noch ein Wort.« Sie gingen im Gleichschritt weiter. »Ich komme gerade vom Kurs …«

»Das habe ich bemerkt.«

»Wie? Falls das wieder eine witzige Bemerkung auf meine Kosten sein soll, bekommst du die Wolldecke im Juli nicht.« Sie besaßen gemeinsam eine Wolldecke in Rot, Weiß und Blau, die sie zusammen anläßlich der Zweihundertjahrfeier gehäkelt hatten, als sie 1976 für Bob Fosse in Chicago tanzten. Sie hatten verabredet, sich die Decke zu teilen, indem sie jeder jeweils ein Jahr besaß, und dies war ihr Jahr – wenigstens bis zum 4. Juli.

»Nein, ehrlich, Häschen. Du hast deinen Sinn für Humor völlig verloren, seit du die Firma mit dem Barrakuda hast.«

»Fang nicht damit an.« Carlos und Smith haßten sich, und Wetzon sorgte dafür, daß die zwei nicht zusammenkamen, denn dann flogen regelmäßig die Fetzen.

»Liebes, es macht mich wahnsinnig, daß du nicht siehst, was für eine intrigante Lügnerin diese Frau ist.« Sie gingen Arm in Arm, links, rechts, links, rechts.

»Was gibt’s Neues bei dir?«

»Themawechsel?«

»Ich versuche es.«

»Okay. Ich hör’ schon auf – vorerst. Keiner ist so blind wie die, die nicht sehen wollen. Warte mal, was gibt es Neues … Nichts Besonderes. Ich bin mit Mort Hornberg im Gespräch, die Choreographie für sein neues Musical zu machen.«

Wetzon blieb stehen und hielt ihn fest. »Nichts Besonderes? Das ist die Sensation!«

Wetzon und Carlos kannten sich seit Wetzons erster Woche in New York, wohin sie gezogen war, um Tänzerin zu werden. Sie hatten sich in einem Kurs kennengelernt und waren in Broadway-Musicals, auf Tourneen und Sommergastspielen Partner gewesen. Sie hatten unter Gower Champion, Bob Fosse, Michael Bennett und Ron Field gearbeitet, die alle inzwischen tot waren. Als Gruppentänzer hatten sie eine Show nach der anderen gemacht, von der Premiere bis zur letzten Vorstellung, bis Wetzon Smith kennengelernt hatte. Die Begegnung fand an einem Punkt in Wetzons Leben statt, als sie die Dreißig überschritten hatte und dachte, daß sie eigentlich keine alternde Gruppentänzerin sein wollte. Sie war es leid, zu knausern und zu sparen, leid, die Arbeitslosenversicherung zu zahlen und in einer winzigen dunklen Wohnung fünf Treppen hoch zu wohnen.

Smith hatte vorgeschlagen, zusammen eine Firma zu gründen, und Wetzon hatte zugehört. Das alles schien hundert Jahre her zu sein. Jetzt waren sie die angesehensten, möglicherweise die besten Headhunter, deren Revier Wall Street war. Wetzon hatte aus der fünf Treppen hohen Mietwohnung ausziehen können und eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung in der West 86. Street gekauft.

Auch Carlos hatte die Zeichen der Zeit erkannt. Er wußte, daß es nicht viele Rollen für alternde Tänzer gab, aber er hatte eine Firma gegründet, während sie noch in der Tanzgruppe von 42nd Street auf Zehenspitzen über den Broadway hüpften. Princely – nach Carlos Prince – Service. Princely Service beschäftigte arbeitslose Künstler und war so unglaublich erfolgreich, daß Carlos die Firma schon sehr bald von seiner Wohnung in Greenwich Village aus leiten konnte und Tänzer in die ganze Stadt ausschickte, um für Yuppies Wohnungen zu putzen, einzukaufen und das Abendessen zu bereiten. Vor vier Jahren dann hatte Marshall Bart, der mit ihnen in der Tanzgruppe begonnen hatte und Choreograph geworden war, Carlos eine Gelegenheit geboten, weil Marshall auch die Aufgaben des Regisseurs übernommen hatte. Der Rest war Geschichte. Carlos war wieder am Theater, jetzt voll als Choreograph, und hatte einen anderen alten Tänzer engagiert, der für ihn Princely Service leitete.

In der 74. Street lockte der Fairway-Markt sie mit dem Duft reifer Erdbeeren für neunundneunzig Cent die Schachtel. Wetzon kaufte zwei Schachteln und fand Carlos drinnen in der Käseabteilung, wo er sich mit dem Mann hinter der Theke über Vermont-Käse unterhielt.

Sie stieß ihn mit dem Finger in die weiche Seite unter dem Brustkorb. »Her mit der Aktentasche und Mund halten.«

Er reichte ihr die Aktentasche mit reglosem Gesicht und hob die Hände. »Sie können Ihre Knarre wegstecken.«

»Das Amsterdam Festival ist am Sonntag. Willst du kommen?

»Klar. Nach zwölf. Ich brauche meinen Schönheitsschlaf.«

»Ich rufe dich an.« Sie küßte ihn auf den Nacken und grinste über seinen gekünstelten Schauder. Er war ihr bester Freund. Er brachte sie zum Lachen. Sie hatten viel Freude und Kummer geteilt – Kummer besonders in letzter Zeit, wo jeden Tag einer, mit dem sie gearbeitet hatten, an irgendeiner Form von Aids erkrankte.

Carlos warf ihr eine Kußhand zu.

Alles Gute und bleib gesund, dachte sie. Sie ging schräg hinüber zur Amsterdam Avenue und kam bei Baci vorbei, wo Jerome Robbins mit dem Blick zur Straße saß, las und ein Nudelgericht aß. Niemand kümmerte sich um ihn, obwohl jeder wissen mußte, wer er war. Wetzon liebte die Upper West Side von Manhattan. Es bestand so ein selbstverständliches gutnachbarliches Verhältnis – leben und leben lassen, das war die Einstellung gegenüber den bekannten Persönlichkeiten, selbst den Berühmten. Die Upper West Side hatte weder die Arroganz der East Side noch das Selbstbewußtsein des Villages, sondern einen eigenen Charakter, der weitgehend von Künstlern – Schauspielern, Tänzern, Musikern und Schriftstellern – geprägt wurde. Sie hatten sich in den sechziger und siebziger Jahren wegen der vernünftigen Mieten hier angesiedelt. Jetzt waren fast alle Gebäude in Gemeinschaftsbesitz übergegangen, und es war eine feine Gegend geworden mit teuren Eigentumswohnungen. Sogar ein Conran’s hatte gegenüber von Zabar’s aufgemacht. Aber die Gegend hatte immer noch das intellektuelle Flair, auch wenn die Bewohner viel wohlhabender geworden waren.

Wetzons Wohnung befand sich in einem der vor dem Zweiten Weltkrieg gebauten Häuser mit den hohen Decken und geräumigen Wandschränken. Die Portiers waren nicht forsch und militärisch, und die schäbige Aura der alten Marmorhalle wirkte tröstlich. Der Selbstbedienungsaufzug war alt und sollte ersetzt werden, dachte sie, als er auf ihrer Etage ruckend anhielt. Da würde wieder eine Umlage auf sie zukommen. Gut, daß sie es sich leisten konnte.

Sie schloß ihre Tür auf, und der wundervolle Duft einer Tomatensoße wehte ihr entgegen. An der Wand ihr gegenüber hing die alte Stepparbeit mit dem Zickzackmuster in Rosa und Weiß, die sie auf dem Flohmarkt gefunden hätte. Sie ließ Aktentasche und Handtasche auf die weiße Parkbank im Flur fallen, streifte die Jacke ab und lehnte sich an den runden Durchgang zur Küche. Der kleine Schwarzweißfernseher auf der Küchentheke lieferte das Hintergrundgeräusch.

»Hallo, Les.« Silvestri, in Jeans und dem ärmellosen T-Shirt, das er als sein italienisches Hochzeitshemd bezeichnete, blickte nicht auf. Er stand über dem Suppentopf aus feuerfester Keramik und rührte mit dem Holzlöffel die köstliche Soße.

»Hallo.« Sie stellte sich hinter ihn, schlang die Arme um seine Taille und legte die Wange an seinen Rücken. Manchmal dachte sie, sie würde aufwachen und er wäre fort, wäre nie wahr gewesen.

»Irgendwas riecht gut«, sagte sie.

»Nur das alte Familienrezept.« Abruzzi spezial nannte er es, nach jenem Teil Italiens, aus dem seine Großeltern gekommen waren. Er wandte sich zu ihr um und sah auf sie hinab. Er hatte die unglaublichsten türkisfarbenen Augen, die schiefergrau wurden, wenn er zornig wurde oder im Dienst war. Im Moment waren sie türkis. Sie und Silvestri waren seit drei Jahren zusammen, und es prickelte immer noch, wenn er sie berührte.

»Nur das alte Familienunterhemd?« fragte sie, um ihre Erregung zu überspielen.

»Ist das eine boshafte Bemerkung gegen Italiener?«

»Von mir? Um Gottes willen, nein. Ich liebe Italiener.«

Er hielt ihr einen Löffel Soße zum Probieren hin. »Was meinst du?« Eine Linie aus roten Punkten lief über sein Hemd.

»Ich meine, der Koch ist sehr sexy.« Sie berührte die dicke Soße mit der Zungenspitze. »Wunderbar. Das Vorsingen ist vorbei. Sie sind eingestellt.« Sie kicherte. »Ziehen Sie sich aus.« Es war ein Scherz, den sie machte, seit sie einen besonders langweiligen, als Sensation angekündigten Film mit dem Titel Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins gesehen hatten. Der Held war allein vom Sex motiviert, und »Ziehen Sie sich aus« war die Quintessenz jedes ernsten Gesprächs, das er mit Frauen führte.

Silvestri drehte die Flamme unter der Soße herunter. »Es gibt sautierte Kalbskoteletts, Salat, Pasta. Okay?«

»Okay? Wie könnte ich klagen? Ich habe mir einen Macho geangelt, der auch am Herd die Stellung hält. Mannomann. Ich habe einfach Glück.« Sie gab ihm einen Klaps auf den Po und sprang aus der Küche und über den Flur ins Schlafzimmer. In Sekundenschnelle hatte er sie eingeholt.

Sie liebten sich ein zweites Mal in der Dusche und setzten sich endlich um neun Uhr hin, um Silvestris aufwendiges Menü zu essen.

»Ist das köstlich«, sagte Wetzon. »Ich fühle mich so angeheitert, daß ich dich jetzt glatt fragen könnte …«

Silvestri lehnte sich auf dem Stuhl zurück und grinste sie an. »Ich warte schon die ganze Zeit darauf. Warum hast du so lange gebraucht?« Er goß den Rest aus der Weinflasche in sein Glas.

»Ich weiß, du kannst es nicht leiden, wenn ich in eine Morduntersuchung gerate …« Sie hielt inne, in der Hoffnung, er werde ihr helfen, doch er verschränkte die Arme und wartete. Die Farbe seiner Augen verriet ihn. Sie waren türkis. »Du bist wirklich ein Schuft«, sagte sie und lächelte lieb.

Er lachte. »Also?«

»Ach, verdammt! Wurde Goldie Barnes ermordet?«

»Ich kann nicht …«

»Ach vergiß es.« Sie wollte aufstehen.

Silvestri streckte seine Hand aus und legte sie schwer auf ihre Schulter. »Möchtest du mir erzählen, was du heute morgen bei Luwisher Brothers gemacht hast?«

»Ist das fürs Protokoll, Sir? Holst du dein kleines schwarzes Buch heraus?« Sie küßte den Rücken seiner Hand auf ihrer Schulter. »Ich will dir was sagen. Warum tauschen wir nicht einfach Wissen gegen Wissen?«

»Mann, bist zu zielstrebig. Ich brauche keine einzige von deinen Fragen zu beantworten, aber du mußt auf meine antworten.«

»Sagte er, nachdem er sie wild und leidenschaftlich geliebt, ihr ein üppiges Mahl gekocht und sie mit Wein abgefüllt hatte, um ihre angeborene Zurückhaltung zu überwinden.«

»Angeborene Zurückhaltung. Das ist gut. Sprich, Lady, oder ich schleppe ich eigenhändig auf die Wache.« Er verschränkte wieder die Arme.

Sie wurde rot und trat ihn mit den nackten Füßen unterm Tisch. »Ich glaube, etwas an unserer Beziehung ist absolut nicht in Ordnung. Du hast alle Rechte.«

»Ich bin eben Italiener«, sagte er. »Außerdem ist es mein Beruf.« Er griff in die Innentasche seines Jacketts, das über der Stuhllehne hing, und holte tatsächlich sein kleines schwarzes Notizbuch vor. »Was, sagtest du, hattest du dort zu tun?«

»Ich habe nichts gesagt, aber wenn du es wissen mußt, wir beraten Luwisher Brothers.« Sie schnitt ihm ein Gesicht.

»Kanntest du Goldie Barnes?«

»Nicht gut. Wir haben uns gegrüßt, mehr nicht.« Sie sah ihn ernst an. »Wurde er ermordet?«

»Was weißt du über die anderen dort? Hoffritz und seine Mannschaft.« Er blätterte die Seiten um, und sie sah, daß er einige wohlbekannte Namen aufgeschrieben hatte. Hoffritz, Bird, Gorham, Munchen.

»He, ich glaube, ich werde hier benutzt. Das ist nicht fair. Sag mir nur eines. Wurde Goldie ermordet? Ich werde keine weiteren Fragen stellen. Er sah aus, als würde er ersticken, als hätte er einen Asthmaanfall.«

»Er sah aus, als würde er ersticken?« wiederholte Silvestri. »Was zum Teufel sagst du da, Les? Willst du mir erzählen, daß du dort warst, um Gottes willen?«

»Na sicher war ich dort. Ich habe dir gesagt, daß ich zu einem Essen bei einem Geschäftsführer gehe. Du hörst mir nie zu.«

»Ich kann’s nicht glauben.« Er schlug auf den Tisch, daß die leeren Teller klirrten. »Wie kennst du bloß jeden …«

»Es ist mein Beruf, jeden in Wall Street zu kennen. Und New York ist sowieso eine kleine Stadt. Ich komme nie irgendwohin, ohne daß mir jemand über den Weg läuft, den ich kenne oder der jemanden kennt, den ich kenne.«

»Ach, vergiß es. Mit wem warst du dort – nicht zufällig mit Hoffritz?« Er war sarkastisch, und sie konnte das Kichern nicht zurückhalten.

»Chris Gorham.«

»Ach du dickes Ei!«

»Wirst du mir jetzt über Goldie Bescheid sagen?«

»Nein.« Er räumte die Teller zusammen und trug das Geschirr in die Küche.

Sie folgte ihm und begann, die Spülmaschine einzuräumen. »Du hast mir schon gesagt, daß du wegen eines Mordes dort warst.«

»Wer, ich? Daran kann ich mich nicht erinnern.«

»Doch, als die Aufzugtür sich schloß.«

»Ich redete von der Hitze.«

Sie gab ihm einen Stoß. »Es macht mich wütend, wenn du das tust.«

»Wenn ich was tu?« Er zog sie an sich und küßte sie. Er schmeckte süß, nach Wein und Tomaten. »Du kannst wirklich hilfreich sein, weil du die Spieler kennst.«

»Stimmt«, murmelte sie in sein Hemd. »Was geben Sie mir, wenn ich kooperiere, Officer?«

Er lachte und ließ seine Hand langsam über ihren Rücken wandern. »Gott, ich sage dir äußerst ungern etwas, weil du garantiert dafür sorgst, daß du in die Sache hineingezogen wirst.«

Tödliche Option

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