Читать книгу Tödliche Option - Annette Meyers - Страница 8

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Sie nahmen ein Taxi zum Luwisher Tower gegenüber dem World Trade Center, Smith im pflaumenblauen Kostüm und Wetzon im dunkelblauen Nadelstreifen. Smith war wie immer zu spät gekommen, und jetzt steckten sie im Stau der Autos, Lastwagen und Taxis, die im Schneckentempo vom FDR Drive im unteren Manhattan abbogen. Die Temperaturen waren seit dem frühen Morgen rasant gestiegen, und es war heiß.

»Er schreibt, daß ihm die Schlußprüfung in Algebra Sorgen macht.« Smith las einen Brief von ihrem Sohn Mark, der sein erstes Quartal an St. Paul’s fast hinter sich hatte und zum erstenmal von zu Hause fort war. »Wie ich ihn vermisse«, sagte sie plötzlich und berührte die Augenwinkel mit einer Fingerspitze. »Ich auch, aber genießt er es nicht?«

»Ich weiß nicht.« Smith sah aus dem Fenster auf die Baustelle, die eine Spur der Schnellstraße beanspruchte, und runzelte die Stirn. »Ich kann zwischen den Zeilen lesen, und ich weiß, daß er mich vermißt. Aber Jake meint, er muß eine Weile für sich sein.«

Wetzon gab es nicht gern zu, nicht einmal vor sich selbst, aber Jake Donahue hatte recht. Mark war jetzt fünfzehn, und es war an der Zeit, daß er sich aus der engen Beziehung zu seiner Mutter löste.

»Das Schuljahr ist ja fast vorbei. Er ist bald zu Hause.« Ihr Taxi stieß an die Stoßstange des Lieferwagens vor ihnen, und der Fahrer, ein kleiner Latino, schoß aus seinem Wagen und begann, auf Spanisch auf den Taxifahrer einzuschreien, einen Schwarzen mit unbewegtem Gesicht. Ihr Fahrer öffnete die Tür und schrie zurück: »Scheiß Mex …«, als ein Verkehrspolizist auftauchte, die Stoßstange inspizierte und dann beide Fahrer wieder auf ihre Plätze winkte. Der Verkehr geriet wieder in Bewegung.

»Sag es bitte keinem, Wetzon, aber ich glaube, Jake ist eifersüchtig auf Mark.«

Es war absolut nicht Smiths Art, sich so besorgt zu äußern. Doch Smith hatte sich in letzter Zeit sehr verändert. Sie ging seit über einem Jahr zu einem Therapeuten. Ihr Leben schien sich seit der Katastrophe mit Leon stabilisiert zu haben, und ganz bestimmt arbeitete es sich leichter mit ihr.

»Du lieber Himmel, Smith, wem sollte ich es sagen? Und warum soll er auf einen fünfzehnjährigen Jungen eifersüchtig sein?« Falls der große Jake Donahue tatsächlich eifersüchtig war, dann mußte Smith das selbst verursacht haben, indem sie den Sohn gegen den Liebhaber ausgespielt hatte.

»Jake hat für Mark arrangiert, daß er den Sommer in Arizona verbringt und auf einer Rinderfarm arbeitet.«

»Ja? Hört sich toll an. Freut sich Mark darauf?«

»Ich weiß nicht. Ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen. Ich wollte warten, bis er zu Hause ist.«

»Das geht in Ordnung, bestimmt. Und falls nicht, dann gehe ich, und du kannst mit Mark das Geschäft den Sommer über führen.«

»Wetzon, falls ich es dir in letzter Zeit nicht gesagt habe: Du bist eine wunderbare Freundin – und ich liebe dich.« Sie faltete den Brief zusammen, schob ihn in den Umschlag und verstaute ihn in der Aktentasche.

»Nanu, danke, Smith.« Wetzon war überrascht und auch ein bißchen gerührt.

»Also dann.« Smith wand sich, um den Rock glattzuziehen, der hochgerutscht war. »Kommen wir zum Geschäft. Ich möchte, daß du bei diesem Treffen mich reden läßt.«

»Was …« In diesem Moment hielt ihr Taxi mit einem Ruck an, und der Fahrer schaltete den Taxameter ab. Er stand auf sechzehn Dollar und fünfundachtzig Cent.

»Gib dem Mann bitte einen Zwanziger, Wetzon. Ich habe meine Brieftasche vergessen.« Smith öffnete die Tür und rutschte aus dem Taxi.

Der Luwisher Tower war eine der neuen Granit-Glas-Monstrositäten, die sich achtundsechzig Stockwerke hoch über den Finanzdistrikt im unteren Manhattan auf aufgeschüttetem Land erhoben. Der kleinen Gruppe von Börsianern, die sich am 17. Mai 1792 unter der Platane vor 68 Wall Street versammelt und die Einrichtung gegründet hatte, aus der später die New Yorker Aktienbörse wurde, wäre allein bei dem Gedanken schwindelig geworden.

Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Wetzon sich schrecklich geärgert, doch an diesem herrlichen sonnigen Tag im Juni war sie milde gestimmt. Smith war Smith, und auch durch die Therapie würde sich ihr narzißtisches Wesen nicht ändern. Sie sah auf die Uhr. »Wir sind fünfzehn Minuten zu früh.«

»Siehst du, ich habe dir gesagt, du brauchst mich nicht zu hetzen. Du willst immer so früh aufbrechen.«

»Ich kann es nicht ausstehen, zu spät zu kommen.«

»Du bist diejenige, die zu einem Therapeuten gehen sollte, denke ich.« Smith strahlte sie an.

»Möchtest du auf einen Kaffee hineingehen?« Wetzon deutete auf einen kleinen Croissantladen mit Ginganvorhängen auf einer Ebene mit der Halle, neben einem Walden-Books-Geschäft von der Größe einer Flugzeughalle.

»Nein, gehen wir gleich nach oben. Wir können unsere Nasen pudern.«

Ein besonderer Aufzug war programmiert, direkt zu Luwisher Brothers, der die acht obersten Stockwerke gehörten, zu fahren. Der Bau war ein Gemeinschaftsunternehmen von Luwisher Brothers und einem internationalen Immobilienkonzern, der zehn Stockwerke des Gebäudes besaß. Den Rest des Wolkenkratzers teilten sich der New Yorker Sitz eines großen Versicherungsunternehmens, die Zentrale von Merryweather Funds, einer Firma von Ruf für Investmentfonds, und Grover, Newman, eine der größten Anwaltsfirmen der Welt.

Die Wände des Aufzugs waren mit braunem Leder überzogen wie ein Polstersofa, und die Beleuchtung war gedämpft, gestreut durch das bunte Glas der Zwischendecke. Und der Aufzug sprach. »Guten Morgen«, sagte er mit Digitalstimme. »Dieser Aufzug fahrt zu Luwisher Brothers. Bitte wählen Sie Ihre Etage.«

»In welchem Stock hat Destry gesagt?

»Siebenundsechzig.« Smith drückte auf das glänzende Messingquadrat, und der Aufzug stieg geräuschlos. Die Lämpchen über den Türen begannen im sechzigsten Stock zu blinken und erloschen, als die Türen sich im siebenundsechzigsten weich öffneten.

Rechts von den sechs Aufzügen, je drei auf beiden Seiten, befand sich ein kleiner Empfangsbereich, der in blassem Maulwurfsgrau ausgelegt war. Links und rechts ging ein breiter Korridor ab, der durch die ganze Breite des Gebäudes zu führen schien. Der Raum war zwei Stockwerke hoch und wurde von einem Oberlicht gekrönt, wodurch er an eine Kathedrale erinnerte. Wetzon unterdrückte ein Lachen. Schöne Kathedrale. Hier betete jeder zu Mammon, dem Gott des Goldes. ›Goldies Kirche‹ hatte ein Spaßvogel sie genannt.

An den Wänden, die in einem blasseren Maulwurfsgrau gestrichen waren, hingen Blumenbilder von Georgia O’Keeffe, bei denen Wetzon immer das Gefühl hatte, sie betrachte bunte Darstellungen von weiblichen Geschlechtsorganen.

Ein echter Baum mit fast weißer Rinde und schönen silbernen Blättern wuchs hydroponisch aus einem riesigen Topf mit Wasser und Steinchen und reckte seine Äste bis zum Oberlicht hinauf. Die Fenster reichten vom Boden bis zur Decke.

Aber das auffallendste Merkmal des Raums war die geschwungene Marmortreppe mit einem offenen Eisengeländer an einer Seite. Von der Stelle, von der sie nach oben blickte, konnte Wetzon ein Bataillon von Hosenbeinen sehen, die zu einer Gruppe von Männern gehörten, die am oberen Ende der geschwungenen Treppe hin und her liefen.

Eine junge Frau mit stumpf abgeschnittenem, schulterlangem Haar saß hinter einem Schreibtisch mit Glasplatte, redete am Telefon und schrieb eine Nachricht auf einen Notizblock. »Danke für Ihre Ansichten«, sagte sie. »Ich werde sie an alle weiterleiten.« Sie legte auf und lächelte sie an. Sie hatte tadellose Zähne und trug sehr wenig Make-up. »Was kann ich für Sie tun?«

»Xenia Smith und Leslie Wetzon. Wir haben einen Termin bei Destry Bird.«

»Wir sind ein bißchen zu früh dran«, fügte Wetzon hinzu und handelte sich einen finsteren Blick von Smith ein.

Die Frau griff zum Telefon und drückte einen Knopf. »Hallo, Maggie hier. Ms. Smith und Ms. Wetzon sind da.« Sie wartete.

»Okay.« Sie legte auf und gewährte ihnen einen weiteren Blick auf ihre perfekte Kieferorthopädie. »Mr. Bird ist in einer Sitzung, aber er wird gleich für Sie da sein.«

»Wo geht es zur Toilette?« fragte Smith.

»Gleich nach den Aufzügen. Zweite Tür rechts.«

»Ich warte hier.« Wetzon, die immer sehr langsam in Wut geriet, fühlte sich allmählich von Smiths Ermahnung beleidigt, ihr das Reden zu überlassen. Unter gar keinen Umständen. Für wen hielt sich Smith denn? Sag das nicht mir, sag’s ihr, würde Wetzons Freund Carlos raten, aber Smith war so feinfühlig, daß sie spürte, wenn Wetzon ihren Siedepunkt erreicht hatte. Dann wurde sie sofort fürsorglich und aufmerksam und lenkte Wetzon von ihrem Zorn ab.

»Wie du willst«, sagte Smith leichthin, »obwohl ich meine, etwas mehr Farbe in deinem Gesicht würde dir guttun. Du siehst völlig fertig aus.« Sie hielt inne, und als sie sah, daß ihre Bemerkung keine Wirkung zeigte, hob sie die Schultern, ging an den Aufzügen vorbei und verschwand nach rechts.

Zwei Arbeiter in Overalls mit Farbklecksen stiegen aus dem Aufzug und brachten den sauren, stechenden Geruch nach Zigaretten und kaltem Schweiß mit. Der größere der zwei trug eine mit Farbe verspritzte Stehleiter. Der kleinere reichte Maggie ein Blatt Papier. »Miss Gray?«

Die Empfangsdame nickte, sah sich den Arbeitsauftrag genau an und schickte sie die Treppe hoch.

Die Gruppe der Hosenbeine am oberen Ende teilte sich vor den Arbeitern, dann gingen zwei Paare die Treppe hinunter und kamen in Wetzons Sicht. Vor Überraschung lief ihr Gesicht rosa an.

Der erste Mann war groß, ging leicht vorgebeugt und hatte den triefäugigen Blick eines Bassets. Der andere war ein untersetzter Mann mit sich lichtendem Haar. Er trug einen neuen grauen Anzug. Der erste Mann war Artie Metzger, Detective Sergeant der New Yorker Polizei, der zweite war Silvestri, der den neuen Anzug anläßlich seiner Beförderung zum Detective Lieutenant im vorigen Monat gekauft hatte.

Welch interessante Wendung der Ereignisse, dachte Wetzon. Aber Destry hatte gegenüber Smith etwas von einer Zusammenkunft mit der Polizei an diesem Morgen erwähnt. Wetzon schlenderte zum Fuß der Treppe und wartete ab, bis Silvestri und Metzger sie entdeckten. Doch sie waren ins Gespräch vertieft und nahmen sie vermutlich nur am Rand als einen Rock mehr wahr.

»Was stellen wohl zwei nette Kerle wie ihr beide an so einem Ort an?«

»Les …« Silvestri starrte auf sie hinunter. Einen kleinen Moment lang zeichnete sich echtes Staunen auf der berufsmäßigen Maske ab.

Als Antwort grinste sie schelmisch. Silvestri warf ihr immer vor, daß sie nur ihrer Nase folgte und der Polizei dazwischenfunkte. Was würde er jetzt sagen? Schließlich war sie unschuldig hier, rein geschäftlich für ihre Firma. »Tag, Artie«, begrüßte sie Metzger und überging Silvestris verwirrten Blick. Sie zog eine große Schau ab, als sie ihnen die Hand schüttelte, erst Metzger, dann Silvestri, stets des wachsamen Blickes von Maggie Gray bewußt, und dann mit ihnen zu den Aufzügen ging. Metzger drückte auf den Abwärtsknopf, und ein Licht blinkte, eine Tür ging auf. Die Männer stiegen ein und drehten sich zu ihr um. »Bitte wählen Sie Ihr Stockwerk«, bemerkte der Aufzug. »Drücken Sie H, um in die Halle zu fahren.«

»Bis später, Les.« Silvestri nahm sein kleines Notizbuch vor und blätterte es durch, als suche er etwas. Nachdem er sich von dem Schock, sie hier zu sehen, erholt hatte, gab er nichts mehr preis, und dabei wußte er, daß sie darauf brannte, zu erfahren, was hier vor sich ging.

»Moment mal, ihr zwei.« Die Türen begannen sich zu schließen. »Was führt euch in mein Revier?« Sie schob ihre Aktentasche zwischen die Türen, die ein wenig auseinandergingen, gerade so weit, daß sie Silvestris Antwort hören konnte.

»Mord.«

Tödliche Option

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