Читать книгу Tödliche Option - Annette Meyers - Страница 15
ОглавлениеEs war heiß wie in einem Backofen, die Sonne stach um halb fünf immer noch, und es war so schwül, daß einem das Atmen schwerfiel. Das Pflaster brannte durch die Sohlen von Wetzons Ferragamos. Sie zog die Jacke aus und trug sie über dem Arm.
An Feiertagen im Sommer leerte sich Wall Street mit der Schlußglocke. Um vier Uhr war jeder auf dem Weg nach den Hamptons.
An Sommerwochenenden blühte die Stadt auf. Die Restaurants waren nicht überfüllt, Kino- und Theaterkarten waren leichter zu bekommen, und es gab Straßenfeste, Flohmärkte und Kunstausstellungen.
Wetzon trödelte, keine Frage. Sie wollte nicht mit Silvestri und seinen Detectives reden. Noch nicht. Was hatte Smith noch gesagt? Sag ihnen, was sie ohnehin herauskriegen.
Das Siebzehnte Revier war in der 51. Street, aber Wetzon ging daran vorbei, die Second Avenue hoch bis zur 53., wo sie ein Häagen-Dazs kannte. Sie kaufte eine Portion Schokoladeneis mit Schokoladensplittern und ließ sich einen Becher statt einer Eiswaffel geben, damit es nicht auf sie tropfte.
Das Reviergebäude sah mehr nach einer Grundschule als nach einer Polizeiwache aus. Die Polizei war zur Institution geworden. Sie wollte Polizeiwachen aus eindrucksvollem Beton sehen, schwarz vom Schmutz und Ruß der Jahre, mit massiven Türen, hohen Steintreppen und mit einem diensthabenden Polizisten hinter dem Schreibtisch, erhöht auf einem Podium, so daß man den Hals verrenken mußte, um ihn zu sehen.
Dieses Reviergebäude wirkte nicht einschüchternd.
Trotzdem betrat Wetzon das Siebzehnte mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Sie würde mit Silvestri Streit bekommen.
Die Beamtin in Zivil am Schreibtisch, eine Frau in einem blauen Hosenanzug aus Polyester und mit orangefarbenem Haar, war neu und kannte sie nicht, so daß sie förmlich angemeldet wurde.
Der Lärm aus dem Bereitschaftsraum drang auf den Korridor. Drinnen saßen fünf oder sechs Detectives an abgestoßenen grauen Metallschreibtischen, in verschiedenen Stadien ihrer Tätigkeit, Berichte tippend und telefonierend. Eine unglückliche Familie aus dem Mittelwesten, Mami und Papa und zwei kulleräugige Kinder in Latzhosen voller Schokoladenflecken, meldeten ihren Ford Kombi als gestohlen. Schreibmaschinen klapperten, und zwei Nutten beschwerten sich, man habe sie ohne jeden Grund aufgegriffen. Plastik- und Pappbehälter mit Essen und Kaffee standen überall herum. Sämtliche Wände waren mit grauen Aktenschränken zugestellt. In einer Ausnüchterungszelle lag ein unangenehmer Klotz, der laut schnarchte. Notizzettel waren an jedes freie Fleckchen an der Wand geklebt oder an schief hängende Schwarze Bretter geheftet. Und jede Menge Kalender mit Eselsohren, die alles zeigten, von Landschaften bis zu leicht bekleideten Frauen.
Auf dem Boden in einer vollgestellten Ecke ließ eine monströse Pflanze, mehr tot als lebendig, die Blätter hängen. Eine Schabe saß dreist auf einem Blatt. Igitt, dachte Wetzon.
Silvestri hatte jetzt ein eigenes Büro, wenn man es so nennen konnte, einen etwas größeren Raum zwischen Hasenställen, ohne Fenster.
Der Fußboden war mit graubraunen Linoleumfliesen ausgelegt. Ringsum im Zimmer hingen Klammerbrettchen an Nägeln; an der Außenwand hinter Silvestris frisch gestrichenem schwarzen Metallschreibtisch gab es eine große Anschlagtafel aus Kork, an die ein Stadtplan geheftet war, daneben einige Arbeitsbogen und noch ein Kalender mit Eselsohren.
Metzger telefonierte gerade in seinem Büro direkt neben Silvestris Zimmer und winkte ihr zu. Sie warf ihm eine Kußhand zu und ging in Silvestris Büro. Eine große Frau in engen Hosen, in denen sich ein hübsch gerundeter Po abzeichnete, stand bei Silvestri und unterhielt sich mit ihm. Wetzon räusperte sich.
»Detective Mo Ryan, Les Wetzon«, sagte Silvestri lässig. »Mo arbeitet mit mir und Metzger zusammen.«
Mo Ryan richtete ihre kornblumenblauen Augen auf Wetzon und musterte sie unverfroren. Wetzon erwiderte das Kompliment und sah rotes gelocktes Haar und Pfirsichteint, rosa Sommersprossen und einen großen Busen. Mo, die Wetzon überragte, reichte ihr eine feste Hand und sagte ohne allzu große Begeisterung: »Sehr erfreut.«
Wetzon sträubte sich innerlich. Werde ich eingeordnet oder was? dachte sie. Mo Ryan und sie schätzten sich ab. »Nett, Sie kennenzulernen«, log Wetzon und fing Silvestris türkisfarbenen Blick auf. Er lachte sie aus und wollte sie vielleicht sogar ein bißchen ärgern.
»Holen wir Metzger dazu, Mo, und Kaffee für die ganze Runde. Koffeinfreien für Les.« Er wartete, bis Mo draußen war, dann sagte er: »Komm vom hohen Roß herunter, Les.« Er ging um den Schreibtisch herum, stand vor ihr und fuhr mit einem Finger über ihre Seite, von der Achselhöhle bis zur Taille. Sie spürte die Hitze zwischen ihnen durch die dünne Seidenbluse.
»Ist sie neu?«
»Wer, Mo?«
»Nein, Barbara Bush.«
Er grinste sie an. Sie liebte seinen holzig-rauchigen Geruch.
»Sie ist schon eine Weile hier.«
»Aha.«
Er machte einen schnalzenden Laut mit der Zunge. »Ich werde das übergehen. Mo hat es gerade zum Detective gebracht. Es ist ihr erster Fall. Sie wird einige gute Erfahrungen machen.«
»Hoffentlich dienstlicher Art.«
Silvestri grinste wieder und setzte sich. Trotz der Klimaanlage war es schwül im Zimmer. Ein großer Ventilator in der Ecke blies matt heiße Luft auf sie.
Wetzon hängte ihre Jacke über die Lehne eines häßlichen zerkratzen Holzstuhls und blieb mit der Strumpfhose an einem Splitter hängen, als sie sich setzte. »Verflixt!« Sie betrachtete das klaffende Loch am Knie und zerrte den Rock darüber. »Ich weiß nicht einmal, warum ich hier bin«, murmelte sie.
»Du bist hier, um uns Hintergrundinformationen über Personen bei Luwisher Brothers zu geben, die Goldie Barnes gut genug kannten, um ein Mordmotiv zu haben.«
»Warum muß ich das tun? Bestimmt könnte es jemand anderes auch. Das bringt mich in eine unangenehme Lage. Es handelt sich um einen Kunden. Und einige von diesen Leuten haben mir im Vertrauen Dinge über sich gesagt.«
»Hör zu, Les, ich verlange von dir keinen Vertrauensbruch.« Er machte eine Pause. »Noch nicht.«
»Noch nicht.«
»Aber es würde mir das Leben viel leichter machen, weil deine Beobachtungen verläßlich sind.«
»Ich glaube, ich habe ein Kompliment gehört.« Sie strahlte ihn an. »Aber du scheinst nicht zu begreifen, daß das, was ich weiß, sehr persönlich sein könnte, mir im Vertrauen bei einem Drink erzählt. Daß ich eine vertrauliche Mitteilung für mich behalte, ist ein Prüfstein meiner Zunft. Ich schädige meine Glaubwürdigkeit irreparabel, wenn ich das Vertrauen breche.« Sie erinnerte sich daran, daß sie sich einmal mit Destry Bird auf einen Drink getroffen hatte, als er neu in New York war. Sie hatten beide Perrier bestellt, und er hatte ihr anvertraut, daß er gerade Mitglied der Anonymen Alkoholiker geworden war. »Zu persönlich, um es irgendwem anzuvertrauen«, sagte sie und schüttelte den Kopf.
»Ich werde beurteilen, was …«
»Nein, das wirst du nicht. Du kannst nicht. Ich habe einen Beruf, den ich sehr ernst nehme, im Gegensatz zu dir.«
Sie war verletzt. »Ich muß beurteilen, was ich dir sage. Ich kann nicht einfach meine Moral über Bord werfen …«
Die Luft zwischen ihnen knisterte, und Wetzon schaute weg, zupfte an dem Loch in der Strumpfhose, zog den Rocksaum gerade. Als sie aufsah, waren seine Augen schiefergrau.
»Ich hoffe, wir stören nicht«, sagte Mo Ryan. Sie hatte noch einen Knopf an ihrem Hemd geöffnet, und ihr Busenansatz war sehr deutlich zu sehen. Sie warf sich lässig auf einen Stuhl, den sie aus dem Bereitschaftsraum hereingezogen hatte, und Metzger stellte sich an den Türrahmen, wo er die beste Sicht auf den Busenansatz hatte.
Silvestri nahm einen Schluck Kaffee, verzog gequält das Gesicht und stellte den Pappbecher ab. »Mann, ist der heiß …«
»Soll ich Ihnen einen Eiswürfel holen?« fragte Mo Ryan eifrig und sprang auf.
Wetzon starrte Silvestri streng an, während er mit einem Finger auf Mo zeigte und ihn langsam senkte. Mo folgte dem Hinweis und ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. Sie wirkte leicht ernüchtert.
»Unterhalten wir uns über Luwisher Brothers, Les.« Silvestri langte hinter sich und zog die Arbeitsbogen von der Korktafel. Er nahm ein Notizbuch aus der Innentasche seines Jacketts und blätterte die Seiten durch, bis er eine leere fand. »Erzähl uns von der Firma.«
»Über die Firma an sich kann ich nicht viel sagen, außer daß sie von den drei Söhnen eines eingewanderten deutschen Juden namens Nathaniel Luwisher, der im Bürgerkrieg ein Vermögen mit Baumwolle machte, gegründet wurde.« Sie sah über die Schulter nach Metzger, der anscheinend abgeschaltet hatte, da er sich mehr für den malerischen Anblick von Mo Ryans Busen interessierte. »Die Leitung der Firma ging, glaube ich, nach dem Zweiten Weltkrieg von der Familie in andere Hände über. Der einzige unter den Nachkommen, der sich dafür interessierte, Luwisher Brothers zu leiten, fiel im Krieg. Die anderen verlegten sich auf Kunst, Politik und Medizin. Ich glaube, es gibt einen Luwisher, der in Umweltproblemen aktiv ist, Bionahrung oder etwas in der Richtung.«
Metzger gähnte ungezwungen.
Silvestris Telefon läutete. Er nahm ab. »Ja?« Er hörte gespannt zu. »Okay.« Er legte auf und nickte Metzger fast unmerklich zu. »Weiter.«
Wetzon schlug ein Bein über und spürte, wie sich Schweiß in den Kniekehlen sammelte. Sie trank einen Schluck des abgekühlten Kaffees. »Ich weiß nicht, was du davon noch wissen willst. Es könnte einen Luwisher-Nachkommen geben, der den Namen nicht mehr trägt. Das kann ich natürlich nicht wissen. Immerhin ist interessant, daß die erste Generation und die zweite, glaube ich, nichts als Söhne und nur ein oder zwei Töchter hervorbrachte. Danach gab es Scharen von Töchtern und sehr wenige Söhne.«
»Wem gehört denn das Kapital?« fragte Metzger.
»Ich weiß nicht. Es ist eine Privatfirma. Die Angestellten, die Teilhaber wurden, besitzen Anteile – bestimmte unter ihnen. Luwisher-Nachkommen möglicherweise. Goldie Barnes selbstverständlich. Sie müssen nichts publik machen, weder die Aufschlüsselung des Eigentums am Kapital noch die Bilanzen. Aber es dürfte für euch ziemlich leicht sein, denke ich, herauszufinden, wer wer ist.«
Silvestri schrieb etwas in sein Notizbuch. »Wie geht das genau vor sich, wenn man dort Teilhaber wird?«
»Auch das weiß ich nicht genau. Ich kann es dir nur ungefähr sagen. Um Teilhaber zu werden, muß man wohl ein Topproduzent sein, sagen wir, über eine Million Dollar als Bruttoproduktion, in anderen Worten ist das die jährliche Gesamtsumme des Maklers an Provisionsforderungen an Kunden.« Sie dachte kurz nach.
»Und der Makler muß mit Sicherheit einen superguten Ruf haben, was bedeutet, daß er keine Probleme mit der Aufsicht hat.«
»Sag das bitte noch mal, Les.«
»Du meinst, das mit der Aufsicht?« Er nickte. »Jede Maklerfirma hat eine Rechtsabteilung, die mit der New Yorker Aktienbörse zusammenarbeitet, um das Marktgeschehen zu überwachen und zu garantieren, daß der Handel den Vorschriften der Börsenaufsichtsbehörde SEC und der Börse entspricht. Verstanden?«
»Verstanden.« Silvestri wedelte mit der Hand. »Weiter.«
»Beteiligungen läßt man denen zukommen, die große Abschlüsse tätigen, Leuten wie John Hoffritz, die durch Fusionen und Aufkäufe Umsatz in die Firma bringen.« Sie ertappte sich dabei, daß sie überlegte, ob Twoey Geschäftsanteile erbte oder ob die Partnergruppe Goldies Anteil von Twoey und Janet zurückkaufen mußte.
»War Goldie mit den Luwishers verwandt?« fragte Mo. Sie holte ein zerdrücktes Päckchen Kent aus der Hemdtasche, raschelte mit dem Cellophan und schüttelte eine Zigarette heraus.
»Nicht daß ich wüßte.« Sie sah, daß Mo eine Notiz in ihr Buch schrieb. Sie würden das nachprüfen, aber Wetzon war ziemlich sicher, daß es keine Verbindung gab. Goldie war splitternackt, wie er immer gesagt hatte, zu Luwisher Brothers gekommen, gleich nachdem er aus der Armee ausgeschieden war. »Noch etwas?« Es war stickig im Zimmer. Sie stand auf und griff nach ihrer Jacke. Mo ließ ein gelbes Feuerzeug schnappen und zündete die Zigarette an, um Rauchschwaden in der dicken Luft zu verbreiten.
»Nicht so eilig, Les. Du kannst uns ein paar Stichworte zu den Spielern sagen.« Silvestri sortierte die Arbeitsbogen und breitete sie auf dem Schreibtisch aus.
Mit einem Seufzer setzte sie sich. »Ich möchte gern wissen, wie Goldie getötet wurde, wenn es erlaubt ist.«
»Ich habe es dir bereits gesagt. Er wurde vergiftet.«
»Das weiß ich. Ich wollte wissen, mit was für einem Gift? Wie wurde es gemacht?«
»Das ist vertrauliches Wissen.«
»In anderen Worten, nur du und der Mörder wissen es?«
Er bedachte sie mit einem Blick, der nur als höhnisch beschrieben werden konnte. »Ganz recht.«
»Okay.« Sie akzeptierte das. »Schieß los.« Sie machte es sich auf dem Stuhl bequem. Das bedeutete, daß es vermutlich auf dem Bankett vor aller Augen passiert war. Nein. Das waren bloß Vermutungen. Es mußte nicht unbedingt so sein. Es konnte ein langsam wirkendes Mittel sein, etwas zu Hause Verabreichtes …
»Hoffritz
»Er wird wahrscheinlich Luwisher Brothers weiterhin leiten. Er ist schon lange Teilhaber. Muß eine Menge Kapital angehäuft haben. Sehr geschäftstüchtig und ganz Südstaatler – Alabama, glaube ich.« Sie strahlte Silvestri an und dachte: In Wahrheit ist er eine verschlagene, verlogene Schlange aus dem Süden und hätte absolut alles getan, um sich Goldie vom Hals zu schaffen, damit er die Firma leiten könnte. Aus dem Augenwinkel sah sie, daß Mo Romane schrieb und nur mit Mühe nachkam. Gut.
»Destry Bird.«
»Glatt. Vermutlich jetzt, wo Goldie tot ist, die Nummer zwei. Aus Virginia, Oberschicht. Sehr sogar, glaube ich. Er und Hoffritz sind ein ernst zu nehmendes Gespann. Die Börsenmakler nennen die zwei Search und Destroy. Und wende keinem von beiden den Rücken zu, dachte sie.
»Bitte, Les?« Hatte er ihre Gedanken gelesen?
Sie verbarg ihre Gefühle und erinnerte sich, wie die zwei Männer Goldie am Ehrentisch umringt hatten, unmittelbar bevor Goldie aufstand, um zu sprechen – und zu sterben. »War es in seinem Jack Daniel’s?«
Mo hob rasch den Kopf, aber Silvestri zeigte keine Regung. Zu spät. Was immer Goldie getötet hatte, war gefunden worden; es war in Goldies Drink gewesen.
In der Erinnerung hörte sie Goldies Stimme – denn es war seine Stimme gewesen, davon war sie jetzt überzeugt – aus der Herrentoilette, die sagte: »Nur über meine Leiche.«
»Ist dir etwas eingefallen, Les?« Silvestri beugte sich über den Tisch vor, seine Frage eine Anklage, den Blick gespannt auf sie gerichtet.
Sie schloß die Augen, um ihn auszuschalten, und sah wieder den Ehrentisch vor sich. »Nur, daß sich alle um Goldie drängten. Die Leute gingen auf ihn zu, um ihn ihrer Wertschätzung zu versichern.«
»Schöne Wertschätzung«, bemerkte Metzger.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe wirklich nichts Ungewöhnliches gesehen.« Sie sah im Geiste Chris wild gestikulieren und Goldies Drink verschütten. Jemand hatte ihn ersetzt … Sie hob den Kopf und stellte fest, daß Silvestri sie durchschaute. Sie zuckte die Achseln und sah ihn mit großen, unschuldigen Augen an.
»Douglas Culver«, las er von einem Arbeitsbogen ab.
»Er ist der Chef der Finanzierungsdienste. Ein wirklich netter Typ. Noch einer aus dem Süden. Diesmal ist es Atlanta, glaube ich. Mit ihm läßt sich dort am besten reden.« Sie erinnerte sich an Dougies angeekelten Blick, als Ellie vor ihm zusammengebrochen war. Entweder hatte er etwas gegen Frauen, oder er mochte Ellie nicht.
»Neil Munchen.«
»Neil leitet das Telemarketing-Programm.« Sie stellte die Beine gerade und schlug sie in der anderen Richtung über. Sie fühlte sich, als säße sie in einer Pfütze aus Schweiß.
»Telemarketing?« fragte Mo und sah von ihrem Notizblock auf. Sie nahm einen letzten scharfen Zug aus der Zigarette und trat sie auf dem Boden aus. Sie trug rote Pumps.
»Kundenwerbung per Telefon. Sie haben ihre Leute am Telefon und Hinweise von Dun und Bradstreet und anderen überall im Land. Die Werber melden die Gespräche an, beurteilen die Bankgeschäfte und den Hintergrund aufgrund des Hinweises, und dann ruft der Makler zurück und preist die Aktie des Tages an, gewöhnlich eine, für die die Firma die Trommel rührt.«
»Klingt sehr nach unsolider Transaktion«, sagte Mo. »Welcher schlaue, reiche Mann würde einem absolut Fremden private finanzielle Informationen über das Telefon mitteilen?«
Wetzon lächelte, froh, eine gefunden zu haben, die naiver war als sie. »So läuft es, und so kaufen sie Aktien. Unternehmensleiter, reiche Leute, geschäftstüchtige Leute. Es ist ein sehr erfolgreiches Programm – das heißt, die Firma holt dabei eine Menge Geld heraus, die Makler ebenso. Es werden auch wirklich intelligente Leute reingelegt.«
»Ich begreife es einfach nicht«, sagte Mo mit einem Blick auf Silvestri. »Wir ziehen doch ansonsten Diebe aus dem Verkehr.«
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Das ist kein Betrug. Es ist vollkommen legal, und manche Investoren machen damit sogar Gewinn.«
»Was ist mit Munchen?« mischte sich Silvestri ein. »Was weißt du von ihm?«
»Neil war Goldies Schützling. Er lernte Telemarketing bei Lehman, und Goldie holte ihn zu Luwisher Brothers, um ein Konkurrenzteam zu Lehman aufzustellen, weil Goldie mit Sheldon Amble bei Lehman in Fehde lag.«
»Sheldon Amble.« Silvestri schrieb den Namen in sein Notizbuch. »War dieser Sheldon Amble bei dem Bankett?«
Wetzon lachte. »Nur im Geist. Sheldon entzog sich vor einigen Jahren der Mühsal des Irdischen.« Moment, dachte sie, Moment. Sheldon Amble.
»Ja, Les?«
Sie blinzelte schuldbewußt. Sie brauchte Zeit, um sich klarzuwerden, um sich zu erinnern. Er hatte es ihr an der Nasenspitze angesehen, daß ihr etwas eingefallen war, und wußte auch, daß sie es nicht mitteilen würde.
»Nichts. Ehrlich, Silvestri.« Sie betrachtete ihre Hände.
»Woher stammt dieser Munchen?« fragte Metzger. »Auch so ein Hinterwäldler?«
»Nein, Artie.« Sie lachte. »Ob ihr es glaubt oder nicht, keiner von diesen Burschen ist ein Hinterwäldler. Wenigstens nicht nach außen hin. Sie sind gediegene Leute aus dem tiefen Süden.«
»Munchen kommt also nicht aus den Südstaaten?« Silvestri blieb bei der Sache.
»Nein? Auf keinen Fall. Er kommt eindeutig von Long Island.« Sie sprach es wie die New Yorker aus, mit dem harten g, so daß es zu einem Wort wurde, Longisland. »Jude. Zu dunkel und unangelsächsisch für sie. Ein Außenseiter in diesem Verein. Überprüfe seine Sonnenbräune. Ein heimlicher Goldkettenträger, wie er im Buche steht.« Sie erinnerte sich an die Schramme auf seiner Wange, als er aus der Herrentoilette kam. »Sind wir bald durch? Ich muß ein paar Telefonate erledigen.«
»Tatsächlich, Les?« Nun stotterte er.
»Ach, hör auf, Silvestri. Ich muß Laura Lee wegen der Einladung, die wir planen, anrufen.«
»Christopher Gorham.«
Sie schnitt ihm ein Gesicht und schlug das Bein erneut über. »Ich war mit Chris an dem betreffenden Abend zusammen, weil seine Frau – Abby – ihn sitzengelassen hat. Er war deswegen durcheinander.« War er das? dachte sie. Er war wegen irgend etwas aus der Fassung, aber sie hätte wetten können, daß es mehr mit Goldie als mit Abby zu tun hatte. »Ihm untersteht das Büro, in dem die Börsennotierungen zusammenlaufen. Ich kenne ihn, seit er in der Branche ist. Er ist kein Mörder.« Sie konnte sich nicht vorstellen, daß Chris genug Wut ansammeln könnte, um jemanden zu ermorden.
»Jeder könnte ein Mörder sein, Les. Das solltest du inzwischen wissen.« Seine Stimme hatte einen warnenden Unterton. »Dazu gehören nur ein unvernünftiger Augenblick und ein Motiv.«
»Chris nicht. Er ist gut protestantischer Herkunft – Connecticut, glaube ich. Greenwich. Beste angelsächsische Referenzen. Gewann eine Bronzemedaille im Schwimmen bei Olympischen Spielen irgendwann.« Und wurde als Teilhaber bei Luwisher Brothers übergangen, dachte sie, behielt es aber für sich. »War’s das?« Sie stand auf.
»Noch einer.« Silvestri sah sie finster an. »Dr. Carlton Ash.«
Sie setzte sich. »Ich kenne ihn überhaupt nicht.« Sie dachte kurz nach. »Er paßt nicht hinein. Er ist Berater bei Goodspeed Associates. Er wurde von Luwisher Brothers engagiert, um irgendeine geheime Studie zu erstellen, und er hängt seit Monaten dort herum.«
»War er bei dem Bankett?«
»Ja. Er saß direkt neben Goldie. Kann ich jetzt gehen?« Sie stand schnell auf und nahm ihre Jacke. »Wiedersehen zusammen.« Sie öffnete die Tür. »Deine Klimaanlage stinkt.« Sie schloß die Tür.
Silvestri holte sie im Bereitschaftsraum ein. »Warum die große Eile, Les?«
»Ich habe es doch gesagt. Ich habe vergessen, Laura Lee anzurufen.«
»Warum habe ich das Gefühl, daß du mir etwas verheimlichst?«
»Ich? Würde ich so was tun, Silvestri?« Sie reckte sich und küßte ihn auf die Wange. Er schwitzte. Sein Hemd war naß, besonders um die Schulterhalfter.
»Du lügst«, sagte er. »Bis später.« Er strich ihr über den Nacken und ging in sein Büro zurück. Metzger hatte sich auf ihren Stuhl gesetzt und unterhielt sich mit Mo. Silvestri gestikulierte mit den Arbeitsbogen.
Wetzon wandte sich ab. Um sie herum schien sich die Geschäftigkeit des Bereitschaftsraums – schrillende Telefone, eine kreischende Betrunkene, ein wimmerndes Kind – zu steigern.
Sheldon Amble, der starke Mann bei Lehman, war nicht im eigenen Bett gestorben. Seine Geliebte war eine junge Maklerin bei einer anderen Firma gewesen. Eine Frau, so ging das Gerücht um, die Sheldon Goldie Barnes weggenommen hatte.
Die Frau war Ellie Kaplan.