Читать книгу Tödliche Option - Annette Meyers - Страница 9

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»Mord?« wiederholte sie, während sie die geschlossenen Aufzugtüren anstarrte.

»Mord? Hast du gerade Mord gesagt?« Wetzon hatte nicht einmal gehört, daß Smith hinter sie getreten war.

»Smith!« Sie warf sich herum. Der Musical-Refrain ging ihr durch den Kopf. Er sagte Mord, da da da dam, er sagte Mord, da da da dam.

»Entschuldigen Sie, Ms. Smith, Ms. Wetzon. Mr. Bird erwartet Sie jetzt oben im Konferenzzimmer.« Maggie Gray in cremefarbener Seide stand neben ihrem Schreibtisch und gab ihnen ein Zeichen.

Wer war ermordet worden? Wetzons Gedanken drehten sich im Kreis. Wer war gestorben außer … Als sie an der Treppe waren, kamen die zwei Arbeiter vom oberen Stock herunter. Einer trug die Leiter, der andere ein großes Gemälde, das halb mit einem schmutzigen Stück Sackleinen bedeckt war. Smith drängte sich zwischen den Männern durch. Das Sackleinen verrutschte ein wenig, und darunter kam ein Ölporträt des verstorbenen Goldie Barnes zum Vorschein.

»Der König ist tot, es lebe der König«, sagte Wetzon.

Smith drehte sich um und sah auf sie hinab. »Was ist denn los mit dir? Nun mach schon.«

Die Treppe mündete auf eine Galerie, von der man das Stockwerk darunter überblickte. Auf diesem Stock befanden sich das Penthaus mit dem Speiseraum der Leitenden und die Chefbüros. Nur ein Eisengeländer wie das an der Treppe stand zwischen der Kante der Galerie und dem freien Raum. Über ihnen war das Oberlicht, durch das die Mittagssonne drang, so daß man sich fast wie im Freien fühlte. Ein Picasso aus seiner Dada-Periode – nur Winkel, ängstliche Kanten – hing an der Wand gegenüber. Laute Stimmen drangen aus der halboffenen Tür des Konferenzzimmers.

Wetzon legte eine Hand auf Smith’ Arm und hielt sie zurück. Johnny Hoffritz’ Stimme mit ihren kräftigen Alabama-Rhythmen war unverkennbar. »… konnte nicht leise gehen … war klar, daß er noch einmal versuchen würde, uns einen reinzuwürgen.«

»Na, das war auch kaum zu erwarten, daß er leise gehen würde.« Destry Birds Tonfall verriet eindeutig die Oberschicht Virginias, gute alte Familie. Irgend jemand lachte schallend, dann fuhr Destry fort. »Besser auf diese Weise …«

»Für uns.«

»Meine Damen …«

Smith und Wetzon, beim Lauschen ertappt, fuhren zusammen. Sie standen vor einer königlichen Korpulenz, einem ungeheuer dicken Mann im makellosen grauen Nadelstreifenanzug und weißen Hemd, dem Kostüm des Investmentbankers oder Börsenmaklers.

Wetzon erkannte ihn sofort als den Mann, der bei dem Bankett links neben Goldie gesessen hatte.

Der dicke Mann atmete mit kurzen lauten Schnaufern, als wäre er die Treppe hinaufgerannt, was vermutlich zutraf, und unter dem Arm trug er eine flache Ledermappe. Ein schaler Pfefferminzgeruch umgab ihn. Er heftete sich an Wetzons Ellenbogen, da sie mehr seine Größe hatte als die beeindruckende Smith, die mindestens einen Kopf größer war. So führte er Wetzon mitten ins Konferenzzimmer, während eine amüsierte Smith die Nachhut bildete.

»Ah, da sind Sie ja. Gut. Dann mal los.« Hoffritz saß am oberen Ende des Konferenztisches aus Nußbaum auf dem großen Lederstuhl, den er nach hinten gekippt hatte – auf Goldies Stuhl. An der Wand hinter seinem Kopf war ein großer leerer Fleck, eine Spur heller als der übrige Raum, wo einst ein großes Gemälde gehangen hatte. Mit dem kleinen Kopf und dem fliehenden Kinn hatte Johnny Hoffritz etwas von der Gottesanbeterin an sich. Seine braunen Augen standen weit auseinander und waren halb bedeckt von feinen, fast durchsichtigen Lidern. Eine Zigarette löste sich in der Tasse mit schwarzem Kaffee auf, die er mit einem Ruck beiseite schob. »Noch eine Runde Kaffee … Chris?« Seine Finger schnippten träge in Chris Gorhams Richtung. Gorhams Gesicht mit den hohen Wangenknochen lief bis zu dem zu kurzen sandfarbenen Haar rot an. Mit zusammengebissenen Zähnen stand er auf, grüßte Smith und Wetzon kaum und verließ das Zimmer. Er stand offenbar ganz unten in der Hackordnung.

»Nehmen Sie Platz«, forderte Destry Smith und Wetzon auf. Er schüttelte dem dicken Mann die Hand, ohne aufzustehen. »Doktor …« Destry hatte glattes braunes Haar mit exaktem Seitenscheitel und runde glänzende Backen, eine fast babyzarte Haut und einen kleinen rosa herzförmigen Mund. Eine gebogene Nase mit Höcker vermochte kaum zu verhindern, daß er weichlich aussah.

Smith setzte sich selbstverständlich neben Johnny Hoffritz. Es war leicht zu erkennen, wer der neue Führer war. Da Goldie nicht mehr da war, könnte sie vielleicht einige persönliche Vorstöße machen.

Der dicke Doktor, wer immer er war, kam Wetzon zuvor und ließ seine gewaltige Masse auf dem Stuhl neben Smith nieder, so daß er die beiden trennte. »Ich bin Dr. Ash, Carlton Ash.« Er sagte es in einem Ton, als müßte Wetzon den Namen kennen. Sie lächelte ihn höflich an, und er reichte ihr eine Schinkenseite in der Form einer Hand, die sie schütteln durfte. Er atmete schwer.

»Fangen wir an.« Hoffritz schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Neil, reiß dich endlich von dem verdammten Telefon los.« Er zog eine Zigarette aus einem Päckchen und steckte sie, ohne sie anzuzünden, in den Mundwinkel.

Neil Munchen, dunkelhaarig, dunkeläugig, eine frühe Sonnenbräune und einen blauen Fleck auf den Wangen, sah entschieden fremdländisch neben dem andern aus. Er legte den Hörer auf, setzte sich neben Wetzon und nickte ihr zu. Seine schwere goldene Rolex blinkte sie unter seiner steifen weißen Manschette hervor an.

Aus einer Westentasche nahm Dr. Ash ein kleines Inhaliergerät und inhalierte ein nach Pfefferminz riechendes Spray, indem er nacheinander je ein Nasenloch zudrückte.

Chris kam mit einem weißhaarigen Schwarzen in schwarzem Anzug zurück, der ein silbernes Tablett mit Tassen und einer großen Kaffeekanne trug.

Wetzon empfand die Runde, abgesehen von Neil Munchen, als ausgesprochen angelsächsisch. Ein ziemlich großer Unterschied zu der Art, wie Goldie Barnes in seinen besten Tagen Luwisher Brothers geleitet hatte, dachte sie. Goldie glaubte, Einwanderer hätten mehr Hunger im Bauch.

»Schließ die Tür, Dougie.« Dougie war Douglas Culver, Leiter der Finanzierungsabteilung, ein rundlicher gemütlicher Typ aus Georgia mit trägem Lächeln und schnellem Verstand.

Die besondere und höchst attraktive Eigenart von Luwisher Brothers war, daß jeder produzierte; das heißt, jeder hatte Kunden und erledigte die Arbeit des Börsenmaklers/Finanzberaters neben seinen anderen Aufgaben. Das bedeutete, daß Teilhaber, Direktoren und Abteilungsleiter ihr eigenes Gewicht hatten.

»Ich lege es dar«, begann Hoffritz, nachdem alle Tassen bis auf Wetzons, die Koffein mied, gefüllt waren. »Und ihr hakt ein, wo ihr wollt. Jeder hier kennt Smith und Wetzon. Sie sollen Makler für uns rekrutieren, aber wir haben in letzter Zeit nicht viel von ihnen gesehen.«

Wie reizend, dachte Wetzon. Na schön. Smith wollte reden, also würde sie Smith dieses heiße Eisen überlassen. Und sie zweifelte nicht daran, daß Smith damit fertig würde. Noch keiner hatte sich mehr als einmal mit Smith angelegt.

Smith blickte in die Runde und bedachte jeden am Tisch mit einem strahlenden Lächeln. »Meine Herren, ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, was für ein Klima derzeit an der Wall Street herrscht. Sie wollen große Produzenten? Zahlen Sie Ihnen die Vorauspauschalen, die andere Firmen zahlen.«

»Wir kaufen keine Makler. Es ist ein Privileg, hier arbeiten zu dürfen.« Destry predigte die Firmentaktik.

»Es gibt nicht mehr sehr viele große Produzenten. Sie sind seit dem Crash von 87 eine seltene und vom Aussterben bedrohte Art geworden, und sie möchten dafür belohnt werden, daß sie in diesem unsicheren Klima so gut zurechtkommen. Die Makler sind nervös, verunsichert. Sie haben Angst davor, die Stelle zu wechseln und keine Konten übertragen zu können.« Sie sah Wetzon an.

»Das ist richtig«, nahm Wetzon den Faden auf. »Ich spreche jede Woche mit Hunderten von Maklern, und wir wissen, welche Qualität Sie bei Luwisher Brothers wünschen. Wir würden Ihnen nie jemanden vorführen, der nicht beste Qualität ist.« Sie ließ den Blick um den Tisch wandern. »Klar, wenn Sie Makler sehen möchten, die Probleme auf ihrer Börsenregistrierung haben oder die ihre Produktion mit unlauteren …«

»Das hängt doch wohl von dem Problem ab. Wir können jeden Fall für sich betrachten. Ich setze voraus, daß jeder Börsenmakler früher oder später irgendeine Anzeige bekommt.« Destry sah Hoffritz an, der nickte. Es ging das Gerücht, daß Destry Birds Lizenz zwei Monate lang suspendiert worden war, während er bei Marcus, Jones in Richmond arbeitete.

»Sprechen wir doch über dieses sogenannte Klima.« Dr. Ash richtete seine Aufforderung an Wetzon. Er schürzte die Lippen und schnaufte schwer beim Sprechen. Sein Bauch drückte gegen die Tischkante.

»Das Klima ist die unberechenbare Natur des Marktes«, sagte Smith.

»Zum erstenmal suchen Makler langfristige Sicherheit«, ergänzte Wetzon. »Geld, stabile Firmen, streßfreie Umgebung.«

»Ja«, schnaufte Dr. Ash. »Gut, gut.« Er nickte Hoffritz zu. Hoffritz lächelte, ohne die Lippen zu öffnen, und bewegte dabei die Zigarette, die herabzuhängen begann. »Sollen wir das neue Profil des Luwisher-Maklers diskutieren? Wir würden gern so viele Leute von der Sorte sehen, wie Sie uns zeigen können.«

»Sie brauchen Sie bloß herzubringen, und wir werden mit ihnen einig«, sagte Destry.

Neil Munchen starrte in seinen Kaffee und sah bedrückt aus.

»Okay, Carl?«

Dr. Ash nahm ein Blatt Papier aus seiner Mappe und schob es an Smith vorbei zu Hoffritz, der auf die Seite schielte.

Smith räusperte sich gekünstelt und sah Wetzon an, die einen Stenoblock und einen Federhalter aus der Aktentasche nahm.

»Wir möchten Makler sehen, die verheiratet sind, mit Kindern, mit Verbindlichkeiten wie Hypotheken, Privatschulen. Gute Produzenten, die auf zwei fünfzig oder dreihundert brutto kommen.«

Wetzon hörte auf zu schreiben. Das war verrückt. Zwar hatten die meisten Makler schwere Verbindlichkeiten, aber wie konnte eine Firma die jüngeren Makler von vornherein ausgrenzen? Es ergab keinen Sinn.

»Und wir würden gern einige Frauen sehen. Erzählen Sie mir nicht, Mädchen, daß Sie nicht ein paar präsentieren können.«

Er ließ die zerkaute Zigarette in seine Tasse fallen.

Smith’ Lächeln gefror auf ihrem Gesicht. Wetzon konnte beinahe ihre Gedanken lesen. »Mädchen« war ein rotes Tuch, besonders für Smith. Wetzon schaute auf, doch ohne eine Miene zu verziehen. Hoffritz merkte nicht einmal, daß er beleidigend war.

»Und zufällig«, fuhr Hoffritz fort, »setzen wir auch Tom Keegen darauf an.«

»Tom Keegen!« platzte Smith heraus. Sie versuchte nicht einmal, ihre Gelassenheit zu wahren. Smith haßte Tom Keegen, ihren Hauptkonkurrenten. Sie hatte vor Jahren einen Zusammenstoß mit ihm gehabt. »Jeder weiß, daß Keegen auf zwei Seiten absahnt, und er macht es genauso hier bei Luwisher Brothers.«

»Wir haben durch ihn in letzter Zeit ein paar gute Leute gesehen«, sagte Chris.

Wetzon legte den Federhalter hin. Der Schleimscheißer. Chris wußte, daß Keegen ein mieser Typ war. Jeder wußte es. Aber wenn ihnen heutzutage in der Wall Street Moamar Gaddhaffi Makler schickte, würden sie sogar mit ihm arbeiten. Man konnte nicht mehr sagen, die Zeiten ändern sich – sie hatten sich geändert.

»Wir mögen seine Arbeit« sagte Hoffritz. »Und wir mögen Ihre Arbeit, Mädchen, zeigen Sie uns also, was Sie tun …«

Die Tür zum Konferenzzimmer wurde mit einem gewaltigen Kraftausbruch aufgestoßen, und Ellie Kaplan stolzierte ins Zimmer. »Was versucht ihr hier ungestraft unter den Teppich zu kehren?« Sie sah furchtbar aus – zerknittertes Seidenkostüm, das normalerweise gepflegte graue Haar zerzaust, das Gesicht geschwollen und verzerrt –, keine Spur von der eleganten Frau im glitzernden Silberkleid auf dem Bankett. Ellie blieb abrupt stehen, starrte auf den Fleck an der Wand hinter Hoffritz’ Kopf und heulte auf: »Was habt ihr mit seinem Porträt gemacht?«

»Hören Sie, liebe Ellie …« Dougie sprang auf, legte einen Arm um sie und streichelte ihren Rücken, worauf sie in Tränen ausbrach und die Arme um ihn schlang. Sein Gesicht drückte Ekel aus.

Wetzon, die instinktiv aufgestanden war, um Ellie Kaplan zu helfen, fing die Blicke zwischen der Viererbande auf, denn Neil Munchen war eindeutig ein Außenseiter.

»Ach, Wetzon, könnten Sie so gut sein, und die arme gute Ellie zum Wasch …« Dougies Stimme verlor sich. Er machte sich von der völlig aufgelösten Frau los und stieß sie geradezu auf Wetzon.

»Natürlich tut Wetzon das, stimmt doch, Wetzon?« Smith’ Ton war vielsagend.

Das Telefon auf der Anrichte begann zu läuten, dreimal, Pause und noch einmal drei kurze Klingelzeichen. Neil nahm ab. »Ja?« Er sah Hoffritz an und zeigte mit dem Hörer auf ihn. »Für dich.«

Hoffritz stand langsam auf und nahm den Hörer. »Ja. Hm, du weißt, was du zu sagen hast. Nein. Scheiße, sag einfach, daß wir über Goldie Barnes vorzeitigen Tod schockiert waren und es uns schwerfällt, zu glauben, daß er ermordet wurde.«

Ellie stützte sich zitternd vor Erregung auf Wetzon, als sie aus dem Zimmer gingen. »Und wie«, sagte sie.

Tödliche Option

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