Читать книгу Tödliche Option - Annette Meyers - Страница 6

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»Wohin um Himmels willen bist du verschwunden?«

Xenia Smith, groß, schlank und strahlend in ihrem glänzenden goldenen Carolyne-Roehm-Kleid, war die andere Hälfte von Smith & Wetzon, der Personalberatungsfirma, die die zwei Frauen vor sechs Jahren gegründet hatten. »Weißt du nicht, daß man einen attraktiven Mann wie Chris Gorham nie allein lassen sollte?«

Hatte Smith Chris nicht in der Gruppe vor der Herrentoilette bemerkt? Offenbar nicht.

»Genaugenommen«, sagte Wetzon ironisch, »bin ich Chris gefolgt, damit sich keine andere Frau an ihn heranmachen kann. Jetzt hast du alles verdorben. Hast du ihn denn nicht gerade aus der Toilette kommen sehen?«

Smith schaute Wetzon verdutzt an. »Das würde ich nicht tun, wenn ich du wäre, Wetzon. Die Leute werden denken, mit dir stimmt was nicht, und sie hätten recht.«

»Ach laß, Smith, es war Spaß. Ich interessiere mich nicht für Chris …« War es der Mühe wert? Wetzon seufzte und ließ sich von Smith wieder in den Ballsaal schleppen. Was für einen Sinn hatte es, mit Smith zu diskutieren? Sie hörte nie zu und wußte sowieso immer alles besser. Smith würde nie die Tatsache akzeptieren, daß Wetzon ein ernst zu nehmendes Verhältnis mit Silvestri hatte, dem Detective der New Yorker Polizei, den Wetzon vor drei Jahren bei den Ermittlungen im Mordfall Barry Stark kennengelernt hatte.

»Außerdem wirst du alles verpassen. Goldie hat angekündigt, daß er vor dem Essen ein paar Worte sagen möchte.«

»Ich habe bereits das interessanteste Ereignis des Abends verpaßt, vielen Dank auch«, murrte Wetzon.

Die beiden Frauen schlängelten sich durch das Gedränge der anderen Gäste in Abendkleidung, die ebenfalls ihre Plätze suchten. Es sah wie eine Konferenz von Smokings und Carolyne-Roehm-Kleidern aus, und Wetzon stand in ihrem seidenen kleinen Schwarzen da.

»Wall Street wird allmählich eine richtige schmuddlige UN mit den ganzen bunten Gesichtern, allerdings muß ich sagen, daß Ellie Kaplan eben mit einem ziemlich attraktiven Chinesen an der Bar gesprochen hat«, kommentierte Smith mit flapsiger Ironie.

»Hübsche Beine«, flüsterte heißer Atem in Wetzons Ohr. Eine Hand streifte ihr Hinterteil und verweilte ein wenig zu lang, um ein Versehen zu sein. Smith war vor ihr und konnte weder hören noch sehen, wie ihr derzeitiger Liebhaber, Jake Donahue, seinen üblichen Annäherungsversuch bei Wetzon machte.

»Verschwinden Sie, Jake«, zischte sie und machte einen Schwenk zur Seite, so daß seine Hand abrutschte.

»Ah, Jake.« Smith hatte sich umgedreht und ihn entdeckt. Er war kaum zu übersehen – groß und bullig, rothaarig, durchdringende blaue Augen.

Noch eine Merkwürdigkeit. Donahue war irgendwie an Luwisher Brothers interessiert, sonst wäre er heute abend nicht hier.

Mit den hohen Wangenknochen, der olivfarbenen Haut und den mandelförmigen Augen war Smith eine wahre Femme fatale. Sie konnte jeden Mann haben, und deshalb mußte Wetzon immer wieder staunen, daß sie sich mit Jake Donahue eingelassen hatte, diesem Widerling, der Investoren betrogen, bei der Regierung ausgepackt, Namen genannt hatte und dem man dann in einem Tenniscamp, wo kooperative Wirtschaftskriminelle ihre Zeit absaßen, ein paar Monate lang ein wenig auf die Finger geklopft hatte.

O ja, Jake Donahue war durchaus attraktiv, auf die gleiche Art, wie alle mächtigen Männer attraktiv sind. Aber in Wetzons Augen strahlte er nur Gier aus. Und Gier zerstörte die Börsenmaklerbranche, die sie kannte und liebte.

Sie kamen zu ihren Tischen, als gerade der erste Gang, Shrimps en croûte, von Kellnern in schwarzen Smokings serviert wurde. Wer sind die Aufseher und wer die Insassen? fragte sich Wetzon und mußte ein Kichern unterdrücken.

»Ich dachte, Goldie wollte eine Rede halten.« Sie stieß Smith, die am nächsten Tisch saß, mit dem Ellbogen an.

»Schsch

Sie sah zum Ehrentisch hinüber. Goldie war hinter dem verschwenderischen Blumenschmuck kaum zu sehen. Luwisher Brothers hatte sich ganz schön ins Zeug gelegt bei diesem Abschiedsessen zu Ehren ihres Vorstandsvorsitzenden, eines der letzten großen alten Männer der Wall Street.

Der Stuhl neben Wetzon war leer, und sie schaute sich nach Chris Gorham um. Sie hatte Chris als ehrgeizigen jungen Börsenmakler bei Merrill Lynch kennengelernt und war in Verbindung mit ihm geblieben, als er stellvertretender Geschäftsführer bei Drexel wurde. Sein rasanter Aufstieg zu einem Geschäftsführerposten bei Luwisher Brothers war für Wetzon nicht überraschend. Er konnte nun Eigenkapital in einer Firma haben, weil Luwisher Brothers eine der letzten der reinen Personengesellschaften war, die es noch an der Wall Street gab. Wenn er Gesellschafter wurde – und das stand in Aussicht –, würde Chris über Nacht zum Multimillionär werden, wenn die Firma aufgekauft oder in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden sollte. Er hatte alles – abgesehen davon, daß es in seinem Familienleben kriselte. Vor sechs Wochen war seine Frau mit den Kindern nach Charleston zu ihren Eltern gefahren.

Als er Wetzon eingeladen hatte, ihn zu diesem Bankett zu begleiten, war sie geschmeichelt gewesen, und es hatte sie interessiert, wie diese internen Feiern der Selbstbeweihräucherung abliefern. Und außerdem war es gut fürs Geschäft, wie Smith immer sagte.

Sie entdeckte ihn. Mit dem Rücken zu Wetzon beugte er sich über den Ehrentisch und versuchte offenbar, von Goldie Barnes angehört zu werden. Jeder versuchte, mit Goldie Barnes zu sprechen, so schien es, denn die sich vor ihm drängelnden Firmenangehörigen versperrten Wetzon beinahe die Sicht auf ihn. Goldie Barnes gehörte zum zweiten Establishment (wenn man die Morgans, die Schiffs, die Lehmans und die Loebs und ihresgleichen als erstes Establishment betrachtete) an der Wall Street, ebenso wie Sandy Weill, der die Seele von Shearson war, der verstorbene Sy Lewis, der Bear von Bear Stearns, Nate Gancher von Oppenheimer und Don Regan, der Merrill Lynch ins zwanzigste Jahrhundert gebracht und in Reagans Weißem Haus Schiffbruch erlitten hatte. Alles Männer, die dem privaten vornehmen Klub der alten Wall Street die Sache aus der Hand genommen hatten und damit gut gefahren waren. Sie hatten sich aggressiv hineingedrängt, und der Wandel im Geschäftsstil, der große Umfang, der zu einem heillosen Durcheinander bei Transaktionen führte, und schließlich die finanziellen Rückschläge in den Siebzigern bereiteten ihnen den Weg, die Führung an der Wall Street zu übernehmen. Dieser Wandel, der gegen Ende der Vierziger begonnen hatte, nach dem Krieg, erreichte 1981 einen Höhepunkt, als Sandy Weill Shearson Hammill, Hayden Stone, Faulkner, Dawkins & Sullivan, Loeb Rhoades, Hornblower Weeks, Noyes & Trask an American Express verkaufte.

Am Ehrentisch setzte sich das Walroß, das Wetzon vor der Herrentoilette gesehen hatte, neben Goldie Barnes und beobachtete jede Geste von Chris mit höflicher Miene und scharfen Augen. Seine Lippen bewegten sich, doch Wetzon war die Sicht durch eine zum Blumenschmuck auf dem Tisch gehörende, gewaltige rosa Pfingstrose verstellt. Zwischen Goldie und dem dicken Mann stand Ellie Kaplan, die größte Produzentin bei Luwisher Brothers. Ellies vorzeitig ergrautes Haar, zu einem dicken Pony gefönt, fiel über ihr Gesicht. Sie trug ein langes, silbrig glitzerndes Kleid mit einem runden Ausschnitt, der den Brustansatz dezent andeutete. Goldie hob die Hand und tätschelte Ellies Wange. Sie war die erste Börsenmaklerin gewesen, die Luwisher Brothers einstellte, und Goldie hatte sich für sie stark gemacht. Ellie wandte sich mit geschürzten Lippen an den dicken Mann. Sie schien etwas Spöttisches zu sagen. Der dicke Mann nahm ein Naseninhaliergerät aus einer Innentasche und atmete tief ein, erst mit einem Nasenloch, dann mit den andern, ohne auf Ellie zu achten. Als sie vom Tisch zurücktrat, nahmen Hoffritz und Bird schnell ihren Platz ein. Hoffritz mit seinem schmierigen Lächeln schob die Drinks von der Tischkante weg und drängte sich an Goldie. Bird legte einen Arm um Goldies Schulter. Goldie schüttelte ihn ab. Die alte Ordnung veränderte sich also erneut. Goldie Barnes hatte die muffige, verstaubte hundertjährige Firma Luwisher Brothers als Konkurrenten um die fetten Börsendollars in Dividendenpapieren ins Feld geführt. Er war eine Legende, und an der Wall Street ging das Gerücht, daß Search und Destroy versuchten, ihn hinauszudrängen.

Wetzon blickte zu Smith’ Tisch hinüber. Smith unterhielt sich angeregt mit einem attraktiven weißhaarigen Mann, der Felix Rohatyn ziemlich ähnlich sah. Man konnte sich auf Smith verlassen, daß sie den einen Mann in der Finanzwelt fand, den Wetzon für sexy hielt.

Oben am Ehrentisch war Goldie auf seinem Stuhl herumgerutscht, so daß Wetzon ihn jetzt voll im Blick hatte. Er war ein Riese im maßgeschneiderten Smoking mit einem prachtvollen weißblonden Schopf, der von der Sonne streifig gebleicht und wie eine Mähne straff nach hinten gekämmt war. Er sah von Kopf bis Fuß wie der goldene Löwe aus, der Name, unter dem man ihn an der Wall Street kannte, und ganz und gar nicht nach den amtlichen fünfundsechzig Jahren. Goldie stand auf und beugte sich mit einem Glas Bourbon in der Hand vor, um mit Chris zu sprechen. Während sie ihn beobachtete, sah sie Chris erstarren, wie von einem Schock. Der Löwe schüttelte die Mähne. Ein kleines Lächeln verzerrte sein fleischiges Gesicht und endete, ganz ähnlich wie beim MGM-Löwen, mit einem Grollen.

Den ungeheuer dicken Mann neben dem Löwen schien der Wortwechsel außerordentlich zu amüsieren. Goldie setzte sein Glas ab. Chris machte eine ausholende Armbewegung, als wollte er seine Rede unterstreichen, und warf dabei mehrere Gläser um, darunter Goldies Bourbon und einen Wasserbecher. Der dicke Mann wuchtete sich hoch, nachdem er ein paar Spritzer Wasser abbekommen hatte.

In dem Durcheinander tauchten John Hoffritz und Destry Bird auf und nahmen ihre Plätze am Ehrentisch ein, während Chris ängstlich und kleinlaut einem Kellner winkte, der herüberkam und die Pfütze mit einer Leinenserviette aufwischte.

Goldie setzte sich wieder und hob ein Glas an die Lippen. Er schaute zu seiner Frau hinüber, die sich mit Alton Pinkus unterhielt, einem Mitglied des Aufsichtsrats von Luwisher Brothers und früheren Funktionär des Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO. Janet Barnes hatte eine tiefe Falte zwischen den Augen, und sie gestikulierte energisch mit ihrer Gabel.

Ellie Kaplan beendete ihre ziemlich aufgeregte Unterredung mit einem Kellner, der Wetzon den Rücken zukehrte, und rutschte auf ihren Stuhl am Tisch fast im gleichen Augenblick, als Chris seinen Stuhl mit einem Ruck zurückzog und sich neben Wetzon setzte. Chris war sichtlich außer sich, vermutlich weil Neil Munchen an Goldies Tisch saß.

»Irgendwas passiert?« Wetzon spießte eine winzige Garnele auf. Wie merkwürdig und gespannt die Atmosphäre im Ballsaal geworden war.

Chris wollte etwas sagen, wurde aber vom Klang eines Messers auf Glas unterbrochen. Alle wandten sich zum Ehrentisch hin.

Goldie Barnes nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas Bourbon und trank Wasser aus dem Pokal vor sich nach. Er erhob sich langsam von seinem Stuhl, ein sonderbares angedeutetes Lächeln im Gesicht.

»Meine Freunde, es schmerzt mich aufrichtig, Ihre kleine Feier zu verderben …« Er hielt inne, hustete und schaute zu den Kristallkronleuchtern hoch. Sicher kam nun ein Scherz. Der Löwe, hieß es, hatte viel Sinn für Humor.

Wetzons Blick wurde durch ein gedämpftes Stöhnen rechts von ihr abgelenkt. Chris saß vornübergebeugt, mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf.

Jemand schnappte nach Luft.

Wetzon blickte wieder auf Goldie Barnes. Er fuchtelte mit den Armen.

Chris warf den Kopf herum und sprang auf.

Jemand schrie: »Goldie!«

»Nein!«

»Du lieber Gott!«

»Helft ihm doch!«

Alle im Saal erhoben sich fast gleichzeitig. Goldie hielt sich die Kehle. Er hustete, würgte, machte entsetzliche Geräusche. Sein Gesicht wurde rot, dann blau. Er schien zu tanzen. Mit einer letzten verkrampften Bewegung stürzte er vornüber auf den Ehrentisch zwischen die Gläser und Teller. Das Blumenarrangement fiel zu Boden. Einige Gäste sprangen beiseite.

Der Tisch schwankte heftig, dann brach er unter der schweren Last von Goldie Barnes zusammen.

Tödliche Option

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