Читать книгу Tödliche Option - Annette Meyers - Страница 7

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Die Nachmittagssonne drang durch die offenen Glastüren, und die berauschenden Düfte des Sommers wehten ins Zimmer und kitzelten Wetzons Nase. Sie hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und versuchte krampfhaft, sich auf den ausführlichen Nachruf auf Goldie Barnes in der New York Times zu konzentrieren.

»Wuschudascheisohna?« Smith hatte den Mund mit Chips vollgestopft.

»Wenn du das freundlicherweise für mich übersetzen würdest.« Wetzon warf einen Blick über den Zeitungsrand auf ihre Partnerin, die die Unverschämtheit besaß, ausgeschlafen wie nach acht Stunden Nachtruhe auszusehen, und munter und voller Tatendrang war.

»Wuß-test-du-daß-er-ei-nen-Sohn-hat-te?«

»Wer?«

»Warum bist du so schwer von Begriff? Goldie Barnes natürlich. Wer denn sonst?«

»Nein, das wußte ich nicht.« Sie überflog den Nachruf. »Da steht es. ›Hinterbliebene … Janet Barnes … Goldman Barnes II.‹ … Aha, er ist bei L. L. Rosenkind. Ist das nicht interessant?«

»Väter und Söhne«, bemerkte Smith wissend.

Wetzon nickte, während sie halb auf Smith hörte und halb auf die gewandte Art, wie B. B. – ihr Assistent Bailey Balaban – am Telefon mit einem potentiellen Kunden umging. Er entwickelte wirklich Geschick, wie er sich auf einige vielversprechende Kandidaten konzentrierte, die Wetzon dann weiter betreuen konnte. »Es war Herzstillstand.«

»Ich meine, ich habe gehört, daß er an schwerem Asthma litt – den Sauerstofftank überall dabei, so schlimm war es.«

Das Telefon läutete einmal, zweimal, ein drittes Mal. Wetzon griff zum Hörer. »Smith & Wetzon.«

»Wozu haben wir B. B.?« brummte Smith.

Wetzon legte die Hand auf die Sprechmuschel. »Er ist mitten in einem Kontaktgespräch.«

»Tag, Wetzon, hier ist Sharon.«

»Haben wir einen Harold Alpert hier?« Smiths Frage war laut und rhetorisch.

»Tag, Sharon, ich habe versucht, für Sie auf dem laufenden zu bleiben.« Wetzon schüttelte den Kopf über Smith und schwang die Füße vom Schreibtisch, fegte die Zeitungen auf den Boden und blätterte die »Fahndungsbogen« durch, bis sie Sharon Murphys fand.

»Sharon Murphy?« formte Smith mit den Lippen.

Wetzon zeigte mit dem Daumen nach oben.

Harold Alpert erschien in der Tür und machte einen nervösen und besorgten Eindruck. Es war jetzt beinahe vier Jahre her, daß Harold bei Smith & Wetzon als Sommerpraktikant und Kundenwerber angefangen hatte. Sie hatten ihn zum Juniorpartner gemacht, allerdings unter der Bedingung, B. B. zu unterstützen, wenn viel zu tun war. Smith stand auf und winkte Harold in den Garten hinaus.

»Ich glaube, ich bin jetzt bereit, Gespräche zu führen, Wetzon.« Sharon hatte eine heisere, erotische Stimme, die ein ungeheuer erfolgreiches Verkaufsinstrument war – sie brachte die Leute dazu, ihr zuzuhören. »Es ist ganz furchtbar hier … Sie werden es wohl gehört haben.«

»Was gehört?« Wetzon wußte, daß in diesem Zweigbüro einige wichtige Personen abgesprungen waren. Es war ein Jammer, daß sie nicht wenigstens bei einigen die Hand im Spiel gehabt hatte. Aber man konnte nicht überall sein, und sie regte sich nicht mehr darüber auf. Man konnte noch so gut sein, aber einige potentielle Kandidaten fielen immer durch die Ritzen.

»Hm, ich will nicht zuviel sagen – ich glaube, sie schneiden unsere Anrufe mit –, aber wir haben in den letzten drei Monaten drei wirklich große Produzenten verloren, und Wally nimmt plötzlich die Büroleitung sehr ernst.«

»Wenn er es nicht tut, wird er das Büro loswerden. Wall Street ist voll von Managern, die solche Posten suchen.« Seit dem Crash im Oktober 1987, seit Hutton von Shearson geschluckt worden war, seit Drexels Verkauf der Privatkundenabteilung, Pru-Baches Kauf von Thomson McKinnons Einzelhandelsgeschäft und Drexels spektakulärem Konkurs war die Privatkundenbranche erheblich geschrumpft. Geschäftsführer gab es wie Sand am Meer, und die Firmen konnten zunehmend wählerisch sein und waren es auch. Das größere Problem war, daß ziemlich viele Geschäftsführer mittelmäßig waren: Sie konnten nicht motivieren, nicht rekrutieren und nicht handelseinig werden, das heißt, einen Börsenmakler nicht bewegen, sich an sie zu binden. Es war der Alptraum eines Headhunters, eine ganze Reihe perfekter Kandidaten vorweisen zu können, jedoch keine Geschäftsführer, die in der Lage waren, den Vertrag zu unterschreiben.

»Die Stimmung ist scheußlich. Wally führte mich zum Mittagsessen aus – um über meine Fortschritte zu sprechen, sagte er, nachdem er mich in den drei Jahren, die ich schon hier bin, übersehen hat –, und dann hat er ausschließlich von sich geredet und wie schwer es sei, alle bei Laune zu halten.«

»Warten Sie … Sie haben das letzte Jahr mit dreihundertfünfzigtausend abgeschlossen. Wo stehen Sie nach den ersten fünf Monaten dieses Jahres?«

»Zwei fünfzig.«

»Klar, daß er Sie zum Mittagessen ausführt. Er hätte Sie zu Lutèce einladen sollen.«

»Dieser miese Typ. Wir sind in das Schnellrestaurant um die Ecke gegangen. Er käme sowieso bei Lutèce nicht rein. Ich weiß nicht, Wetzon. Einfach in ein anderes großes Maklerhaus zu gehen – ich weiß nicht. Ich glaube, ich brauche eine sehr aggressive Kundenwerbeatmosphäre, und ich möchte eine Vorauszahlung. Ich gehe nicht ohne Geld.«

»Sie könnten zu Luwisher Brothers gehen und dort in die Kundenwerbung einsteigen. Neil Munchen hat ein gutes Programm laufen. Aber sie zahlen nichts voraus.«

»Und sie sitzen da unten. Ich habe gerade eine Wohnung in der 59. Street gekauft. Ich möchte zu Fuß zur Arbeit gehen. Jeden Tag mit der U-Bahn runterzufahren würde mich verrückt machen. Ich müßte ein Vermögen für Taxis ausgeben, und außerdem ist mein Therapeut da oben.«

»Okay, warum sprechen Sie dann nicht mit Dayne Becker und Loeb Dawkins? Sie bekommen den Vertrag, den Sie wollen, und vielleicht können Sie sogar noch ihren eigenen Kontakter vertraglich festschreiben.«

»Also gut, in Ordnung. Verabreden Sie etwas für mich, bevor ich kneife. Sagen wir, ein Gespräch diesen Mittwoch um fünf und das andere nächsten Mittwoch. Stadtmitte. Und nicht mit dem Geschäftsführer bei Dayne Becker, mit dem Sie mich letztes Jahr zusammengebracht haben. Er war mir unsympathisch. Er war zu überheblich.«

»Ja, Sie haben recht. Es gibt einen prima jungen Geschäftsführer im Büro 54. und Fifth. Er wird Ihnen gefallen.«

Wetzon legte auf, als Harold sich mit gesenktem Blick an ihrem Schreibtisch vorbeischob und in sein winziges Kämmerchen im Vorzimmer zurückging. Sie hatten ihn überredet, den Bart zu stutzen, damit er nicht mehr wie ein orthodoxer Rabbi aussah, aber mit dem Schnurrbart, der Hornbrille und dem latschigen Gang war er ein zweiter Groucho Marx. Sie unterdrückte ein Grinsen.

»Und?« Smith stand in der Tür zum Garten.

»Sie möchte eine aggressive Atmosphäre und im voraus etwas auf die Hand.«

»Die wissen nie, was sie wollen, Wetzon. Du solltest gar nicht hinhören. Sag ihnen einfach, so und so.«

»Wo bist du gestern abend noch hingegangen?« Wetzon hatte nicht vor, Smith Gelegenheit zu geben, ihr wieder einmal vorzuhalten, daß Börsenmakler sie ständig ausnutzten. »Ich habe dich gesucht, nachdem …«

Smith lächelte geheimnisvoll. »Jake kennt Janet Barnes von früher. Wußtest du, daß sie eine Fingerhut ist?« Sie musterte ihr Gesicht in einem Taschenspiegel und zupfte mit einer Pinzette ein verirrtes Augenbrauenhaar aus.

»Die Spirituosendynastie? Im Ernst?«

»Die haben wahrscheinlich das ganze Gesöff gestern abend zum Einkaufspreis bekommen.« Smith legte den Spiegel und die Pinzette in die Schreibtischschublade. »Vielleicht rufe ich sie an und spreche ihr mein Beileid aus. Ich kannte Goldie ganz gut …« Ihre Stimme verlor sich.

Sie heckt etwas aus, dachte Wetzon, die beobachtete, wie es in Smith arbeitete, klick, klick, klick. Sie überlegt, ob Jarnet Barnes auf irgendeine verrückte Weise nützlich sein könnte. Smith war fest entschlossen, zur New Yorker Gesellschaft zu gehören, und da sie jetzt mit Jake Donahue befreundet war, würde sie es vielleicht schaffen. Jake war ein Zauberer, wenn es um Beziehungen ging.

Wetzon zog die Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. »Janet ist wahrscheinlich bei ihrer Familie und ihren Bekannten gut aufgehoben, Smith. Und du hast Goldie so gut wie nicht gekannt. Vielleicht eine Karte von uns beiden …«

Smith schnitt ihr mit einem kurzen »Ich mach’ das schon« das Wort ab. Sie summte leise. »Weißt du, Wetzon, du wirst allmählich eine richtige kleine schwarze Wolke.« Sie rümpfte ihre zierliche Nase und sah Wetzon streng an. »Ist dir klar, daß ständig Leute in deiner Nähe sterben?« Sie brachte den Seidenschal um ihren Hals in Ordnung.

»Glaubst du das wirklich?« Wetzon versuchte, gleichgültig zu wirken, doch ihre Stimme zitterte. Der gleiche Gedanke war ihr auch schon durch den Kopf gegangen. »Bin ich eine Art Magnet, der Unglück anzieht? Oder liegt es nur an unserem verrückten Beruf?« Sie ertappte sich dabei, daß sie einen Dolch auf Sharon Murphys Karteikarte kritzelte, dann riß sie sich zusammen und radierte ihn aus.

»Ehrlich, Schatz, ich glaube nicht, daß die ganzen Verurteilungen wegen Insidergeschäften und Betrug etwas Positives bewirkt haben.«

»Das Bild des Börsenmaklers in der Öffentlichkeit ist miserabel, und in letzter Zeit habe ich mich oft nach Gesprächen mit Leuten, mit denen wir zu tun haben, so dreckig gefühlt, daß ich am liebsten unter die Dusche gegangen wäre.«

»Hör auf!« Smith hielt eine Hand hoch. Wir arbeiten in einem verrückten Beruf. Denke immer daran, unser Motiv ist, das Geld aus ihren Taschen in unsere zu bringen.« Sie packte eine neue Mine für ihren goldenen Kugelschreiber aus und warf die alte weg, die klirrend in den Messingpapierkorb fiel. »Aber ich muß dir sagen, daß zum erstenmal, seit …«

»Sag’s bitte nicht.« Sie wußte, daß Smith den letzen Mord erwähnen wollte, in den Wetzon verwickelt war, im Winter des großen Schneesturms.

Smith nickte feierlich. »Die Karten, Zuckerstück. Ich weiß nicht … ich kann es nicht erklären … es ist ein Gefühl, als wäre etwas Unausweichliches um dich.« Sie lächelte. »Jetzt reg dich nicht auf. Ich meine, du solltest ein Medium konsultieren.«

Wetzon stöhnte auf. »Ach, Smith. Nein, ich will davon nichts wissen. Kann ich den Dingen nicht ihren Lauf lassen? Ich liebe Überraschungen. Die machen das Leben doch erst so verdammt lustig.« Sie meinte es sogar ernst. »Außerdem wurde Goldie Barnes nicht ermordet.« Sie schaute auf die Liste der Personen, mit denen sie sprechen mußte.

»Hm.« Smith war beleidigt. »Ich habe bloß einen ernsthaften Vorschlag gemacht. Ich fürchte, dir steht einiger …«

»Telefon für dich, Smith.« B. B. klopfte an den Türrahmen.

»Destry Bird.«

Wetzon und Smith starrten sich an. Smith griff zum Hörer.

»Destry … ja … hm, natürlich, Sie haben unser tiefstes Mitgefühl … ja … Sie wissen, daß wir Ihnen zu Diensten sind.«

Sie machte Wetzon groteske Grimassen, und ihre Augen funkelten. »Montag? Wir könnten um neun kommen … aha, verstehe. Halb zwölf paßt gut.« Sie sah Wetzon an, die ungeduldig nickte. »Also bis dann.« Sie legte auf.

»Worum geht es?«

»Wir sind eingeladen, bei Luwisher Brothers über neue Einstellungsverfahren zu reden.«

»Neue Einstellungsverfahren? Wer übernimmt die Firma?«

»Er hat mich nicht aufgeklärt.«

»Der König ist tot, es lebe der König.«

Smith fixierte das Telefon, dann Wetzon. »Es paßt ihnen nicht um neun wegen einer polizeilichen Ermittlung.« Sie schauderte.

»Eine polizeiliche Ermittlung? Weswegen? Die Verfahren? Eine Buchprüfung? Was?«

Dunkle Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, ohne daß sie es bemerkt hatten. Ein Windstoß fegte durch die offenen Türen, wirbelte Papiere auf und blies sie in alle Ecken. Die Frauen sprangen auf und schlossen mit einiger Mühe die Glastüren. Ein gezackter Blitz fuhr aus dem dunkelgrauen Himmel und schlug in den hohen Holzzaun, der den Nachbargarten abschloß. Gerade als der Zaun Feuer fing, öffnete der Himmel seine Schleusen, und die Flut löschte die Flammen. »Es geht los«, sagte Smith.

Tödliche Option

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