| Ihm antwortete drauf die lilienarmige Jungfrau:Keinem geringen Manne noch törichten gleichst du, o Fremdling.Aber der Gott des Olympos erteilet selber den Menschen,Vornehm oder geringe, nach seinem Gefallen ihr Schicksal. |
190 | Dieser beschied dir dein Los, und dir geziemt es zu dulden.Jetzt, da du unserer Stadt und unsern Gefilden dich nahest,Soll es weder an Kleidung, noch etwas anderm, dir mangeln,Was unglücklichen Fremden, die Hilfe suchen, gebühret.Zeigen will ich die Stadt, und des Volkes Namen dir sagen: |
195 | Wir Phäaken bewohnen die Stadt und diese Gefilde.Aber ich selber bin des hohen Alkinoos’ Tochter,Dem des phäakischen Volkes Gewalt und Stärke vertraut ist. Also sprach sie, und rief den schöngelockten Gespielen: Dirnen, steht mir doch still! wo fliehet ihr hin vor dem Manne? |
200 | Meinet ihr etwa, er komme zu uns in feindlicher Absicht?Wahrlich, der lebt noch nicht, und niemals wird er geboren,Welcher käm’ in das Land der phäakischen Männer, mit FeindschaftUnsre Ruhe zu stören; denn sehr geliebt von den Göttern,Wohnen wir abgesondert im wogenrauschenden Meere, |
205 | An dem Ende der Welt, und haben mit keinem Gemeinschaft.Nein, er kommt zu uns, ein armer irrender Fremdling,Dessen man pflegen muß. Denn Zeus gehören ja alleFremdling’ und Darbende an; und kleine Gaben erfreun auch.Kommt denn, ihr Dirnen, und gebt dem Manne zu essen und trinken; |
210 | Und dann badet ihn unten im Fluß, wo Schutz vor dem Wind ist. Also sprach sie. Da standen sie still, und riefen einander, Führten Odysseus hinab zum schattigen Ufer des Stromes,Wie es Nausikaa hieß, des hohen Alkinoos’ Tochter;Legten ihm einen Mantel und Leibrock hin zur Bedeckung, |
215 | Gaben ihm auch geschmeidiges Öl in goldener Flasche,Und geboten ihm jetzt, in den Wellen des Flusses zu baden.Und zu den Jungfraun sprach der göttergleiche Odysseus: Tretet ein wenig beiseit’, ihr Mädchen, daß ich mir selber Von den Schultern das Salz abspül’, und mich ringsum mit Öle |
220 | Salbe; denn wahrlich schon lang entbehr’ ich dieser Erfrischung!Aber ich bade mich nimmer vor euch, ich würde mich schämen,Nackend zu stehn, in Gegenwart schönlockiger Jungfraun. Also sprach er, sie gingen beiseit’, und sagten’s der Fürstin. Und nun wusch in dem Strom der edle Dulder das Meersalz, |
225 | Welches den Rücken ihm und die breiten Schultern bedeckte,Rieb sich dann von dem Haupte den Schaum der wüsten Gewässer.Und nachdem er gebadet, und sich mit Öle gesalbet;Zog er die Kleider an, die Geschenke der blühenden Jungfrau.Siehe da schuf ihn Athene, die Tochter des großen Kronions, |
230 | Höher und jugendlicher an Wuchs, und goß von der ScheitelRingelnde Locken herab, wie der Purpurlilien Blüte.Also umgießt ein Mann mit feinem Golde das Silber,Welchen Hephästos selbst und Pallas Athene die WeisheitVieler Künste gelehrt, und bildet reizende Werke: |
235 | Also umgoß die Göttin ihm Haupt und Schultern mit Anmut.Und er ging ans Ufer des Meers, und setzte sich nieder,Strahlend von Schönheit und Reiz. Mit Staunen sah ihn die JungfrauLeise begann sie, und sprach zu den schöngelockten Gespielen: Höret mich an, weißarmige Mädchen, was ich euch sage! |
240 | Nicht von allen Göttern verfolgt, die den Himmel bewohnen,Kam der Mann in das Land der göttergleichen Phäaken!Anfangs schien er gering und unbedeutend von Ansehn;Jetzo gleicht er den Göttern, des weiten Himmels Bewohnern.Würde mir doch ein Gemahl von solcher Bildung bescheret, |
245 | Unter den Fürsten des Volks; und gefiel es ihm selber zu bleiben!Aber, ihr Mädchen, gebt dem Manne zu essen und trinken. Also sprach sie; ihr hörten die Mägde mit Fleiß, und gehorchten: Nahmen des Tranks und der Speis’, und brachten’s dem Fremdling am Ufer.Und nun aß er und trank, der herrliche Dulder Odysseus, |
250 | Voller Begier, denn er hatte schon lange nicht Speise gekostet. Und ein Neues ersann die lilienarmige Jungfrau: Lud auf den zierlichen Wagen die wohlgefalteten Kleider,Spannte davor die Mäuler mit starken Hufen, bestieg ihn,Und ermunterte dann Odysseus, rief ihm und sagte: |
255 | Fremdling, mache dich auf, in die Stadt zu gehen! Ich will dich Führen zu meines Vaters, des weisen Helden, Palaste,Wo du auch sehen wirst die edelsten aller Phäaken.Tu nur, was ich dir sage; du scheinst mir nicht unverständig.Siehe, so lange der Weg durch Felder und Saaten dahingeht, |
260 | Folge mit meinen Mägden dem mäulerbespanneten WagenHurtig zu Fuße nach, wie ich im Wagen euch fahre.Aber sobald wir die Stadt erreichen, welche die hoheMauer umringt: (An jeglicher Seit’ ist ein trefflicher Hafen,Und die Einfahrt schmal; denn gleichgezimmerte Schiffe |
265 | Engen den Weg, und ruhn, ein jedes auf seinem Gestelle.Allda ist auch ein Markt um den schönen Tempel Poseidons,Ringsumher mit großen gehauenen Steinen gepflastert;Wo man alle Geräte der schwarzen Schiffe bereitet,Segeltücher und Seile, und schöngeglättete Ruder. |
270 | Denn die Phäaken kümmern sich nicht um Köcher und Bogen;Aber Masten und Ruder und gleichgezimmerte Schiffe,Diese sind ihre Freude, womit sie die Meere durchfliegen.)Siehe, da mied’ ich gerne die bösen Geschwätze, daß niemandUns nachhöhnte; man ist sehr übermütig im Volke! |
275 | Denn es sagte vielleicht ein Niedriger, der uns begegnet:Seht doch, was folgt Nausikaen dort für ein schöner und großerFremdling? Wo fand sie den? Der soll gewiß ihr Gemahl sein!Holte sie diesen vielleicht aus seinem Schiffe, das fernherSturm und Woge verschlug? Denn nahe wohnet uns niemand. |
280 | Oder kam gar ein Gott auf ihr inbrünstiges FlehenHoch vom Himmel herab, bei ihr zeitlebens zu bleiben?Besser war’s, daß sie selber hinausging, sich aus der FremdeEinen Gemahl zu suchen; denn unsre phäakischen FreierSind ihr wahrlich zu schlecht, die vielen Söhne der Edeln! |
285 | Also sagten die Leut’, und es wär’ auch wider den Wohlstand.Denn ich tadelte selber an andern solches Verfahren,Wenn man, der Eltern Liebe mit Ungehorsam belohnend,Sich zu Männern gesellte vor öffentlicher Vermählung.Aber vernimm, o Fremdling, was ich dir rate; wofern du |
290 | Wünschest, daß bald mein Vater in deine Heimat dich sende.Nah am Weg’ ist ein Pappelgehölz, Athenen geheiligt.Ihm entsprudelt ein Quell, und tränkt die grünende Wiese,Wo mein Vater ein Haus mit fruchtbaren Gärten gebaut hat;Nur so weit von der Stadt, wie die Stimme des Rufenden schallet. |
295 | Allda setze dich nieder im Schatten des Haines, und warte,Bis wir kommen zur Stadt, und des Vaters Wohnung erreichen.Aber sobald du meinst, daß wir die Wohnung erreichet;Mache dich auf, und gehe zur Stadt der Phäaken, und frageDort nach meines Vaters, des hohen Alkinoos’, Wohnung. |
300 | Leicht ist diese zu kennen, der kleinste Knab’ auf der GasseFühret dich hin. Denn nicht auf gleiche Weise gebauetSind der Phäaken Paläste; des Helden Alkinoos’ WohnungStrahlt vor allen. Und bist du im ringsumbaueten Vorhof,Dann durcheile den Saal, und geh zur inneren Wohnung |
305 | Meiner Mutter. Sie sitzt am glänzenden Feuer des Herdes,Drehend die zierliche Spindel mit purpurfarbener Wolle,An die Säule gelehnt; und hinter ihr sitzen die Jungfraun.Neben ihr steht ein Thron für meinen Vater, den König,Wo er, wie ein Unsterblicher, ruht, und mit Weine sich labet. |
310 | Diesen gehe vorbei, und umfasse mit flehenden HändenUnserer Mutter Kniee; damit du den Tag der ZurückkunftFreudig sehest und bald, du wohnest auch ferne von hinnen.Denn ist diese dir nur in ihrem Herzen gewogen,O dann hoffe getrost, die Freunde wiederzusehen, |
315 | Und dein prächtiges Haus, und deiner Väter Gefilde! Also sprach die Fürstin, und zwang mit glänzender Geißel Ihre Mäuler zum Lauf; sie enteilten dem Ufer des Stromes,Trabten hurtig von dannen, und bogen behende die Schenkel.Aber sie hielt sie im Zügel, damit ihr die Gehenden folgten, |
320 | Ihre Mägd’ und Odysseus, und schwang die Geißel mit Klugheit.Und die Sonne sank; und sie kamen zum schönen Gehölze,Pallas’ heiligem Hain. Hier setzt’ Odysseus sich nieder.Und er betete schnell zur Tochter des großen Kronions: Höre mich, siegende Tochter des wetterleuchtenden Gottes! |
325 | Höre mich endlich einmal, da du vormals nimmer mich hörtest,Als der gestadumstürmende Gott mich zürnend umherwarf!Laß mich vor diesem Volk Barmherzigkeit finden und Gnade! Also sprach er flehend; ihn hörete Pallas Athene. Aber noch erschien sie ihm nicht; sie scheute den Bruder |
330 | Ihres Vaters: er zürnte dem göttergleichen OdysseusUnablässig, bevor er die Heimat wieder erreichte. |