375 | Kirke bemerkte mich jetzt, wie ich dasaß, ohne die SpeiseMit den Händen zu rühren, versunken in tiefe Schwermut;Und sie nahte sich mir, und sprach die geflügelten Worte: Warum sitzest du so wie ein Stummer am Tische, Odysseus, Und zerquälst dein Herz, und rührest nicht Speise noch Trank an? |
380 | Ist dir noch bange vor Hinterlist? Du mußt dich nicht fürchten!Denn ich habe dir’s ja mit hohem Eide geschworen! Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte: Kirke, welcher Mann, dem Recht und Billigkeit obliegt,Hätte das Herz, sich eher mit Trank und Speise zu laben, |
385 | Eh’ er die Freunde gerettet, und selbst mit Augen gesehen?Darum, wenn du aus Freundschaft zum Essen und Trinken mich nötigst;Gib sie frei, und zeige sie mir, die lieben Gefährten! Also sprach ich. Sie ging, in der Hand die magische Rute, Aus dem Gemach, und öffnete schnell die Türe des Kofens, |
390 | Und trieb jene heraus, in Gestalt neunjähriger Eber.Alle stellten sich jetzt vor die mächtige Kirke, und dieseGing umher, und bestrich jedweden mit heilendem Safte.Siehe da sanken herab von den Gliedern die scheußlichen BorstenJenes vergifteten Tranks, den ihnen die Zauberin eingab. |
395 | Männer wurden sie schnell, und jüngere Männer, denn vormals,Auch weit schönerer Bildung und weit erhabneres Wuchses.Und sie erkannten mich gleich, und gaben mir alle die Hände;Alle huben an, vor Freude zu weinen, daß ringsumLaut die Wohnung erscholl. Es jammerte selber die Göttin. |
400 | Und sie nahte sich mir, die hehre Göttin, und sagte: Edler Laertiad’, erfindungsreicher Odysseus, Gehe nun hin zu dem rüstigen Schiff’ am Strande des Meeres;Zieht vor allen Dingen das Schiff ans trockne Gestade,Und verwahrt in den Höhlen die Güter und alle Geräte. |
405 | Dann komm eilig zurück, und bringe die lieben Gefährten. Also sprach sie, und zwang mein edles Herz zum Gehorsam. Eilend ging ich zum rüstigen Schiff am Strande des Meeres,Und fand dort bei dem rüstigen Schiffe die lieben Gefährten,Welche trostlos klagten, und häufige Tränen vergossen. |
410 | Wie wenn im Meierhofe die Kälber den Kühen der Herde,Welche satt von der Weide zum nächtlichen Stalle zurückgehn,Alle mit freudigen Sprüngen entgegen eilen; es haltenKeine Gehege sie mehr, sie umhüpfen mit lautem GeblökeIhre Mutter: so flogen die Freunde, sobald sie mich sahen, |
415 | Alle weinend heran; und ihnen war also zu Mute,Als gelangten sie heim in Ithakas rauhe GefildeUnd in die Vaterstadt, wo jeder geboren und groß ward.Und sie jammerten laut mit diesen geflügelten Worten: Göttlicher Mann, wir freun uns so herzlich deiner Zurückkunft, |
420 | Als gelangten wir jetzo in Ithakas heimische Fluren!Aber wohlan! erzähl’ uns der übrigen Freunde Verderben! Also riefen sie aus; und ich antwortete freundlich: Laßt uns vor allem das Schiff ans trockne Gestade hinaufziehn,Und in den Höhlen die Güter und alle Geräte verwahren! |
425 | Und dann machet euch auf, mich allesamt zu begleiten,Daß ihr unsere Freund’ in Kirkes heiliger WohnungEssen und trinken seht; denn sie haben da volle Genüge! Also sprach ich; und schnell gehorchten sie meinem Befehle. Nur Eurylochos suchte die übrigen Freunde zu halten; |
430 | Und er redte sie an, und sprach die geflügelten Worte: Arme, wo gehen wir hin? Welch heißes Verlangen nach Unglück Treibt euch, in Kirkes Wohnung hinabzusteigen? Sie wird unsAlle zusammen in Schwein’, in Löwen und Wölfe verwandeln,Und uns Verwandelte zwingen, ihr großes Haus zu bewachen! |
435 | Ebenso ging es auch dort den Freunden, die des KyklopenFelsengrotte besuchten, geführt von dem kühnen Odysseus!Denn durch dessen Torheit verloren auch jene das Leben! Also sprach er; und ich erwog den wankenden Vorsatz, Mein geschliffenes Schwert von der nervichten Hüfte zu reißen, |
440 | Und sein Haupt, von dem Rumpfe getrennt, auf den Boden zu stürzen,Ob er gleich nahe mit mir verwandt war. Aber die FreundeSprangen umher, und hielten mich ab mit flehenden Worten: Göttlicher Held, wir lassen ihn hier, wenn du es befiehlest, Bleiben an dem Gestad’ um unser Schiff zu bewahren. |
445 | Aber führe du uns zu Kirkes heiliger Wohnung. Also sprachen die Freunde, und gingen vom Strande des Meeres. Auch Eurylochos blieb nicht bei dem gebogenen Schiffe,Sondern folgte, geschreckt durch meine zürnende Drohung. Aber der übrigen Freund’ in der Wohnung hatte die Göttin |
450 | Sorgsam gepflegt, sie gebadet, mit duftendem Öle gesalbet,Und mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, bekleidet.Und wir fanden sie jetzo im Saal beim fröhlichen Schmause.Als sie einander gesehn, und sich nun alles erzählet;Weinten und jammerten sie, daß rings die Wohnung ertönte. |
455 | Aber sie nahte sich mir, die hehre Göttin, und sagte: Edler Laertiad’, erfindungsreicher Odysseus! Reget jetzo nicht mehr den unendlichen Jammer! Ich weiß ja,Wie viel Elend ihr littet im fischdurchwimmelten Meere,Und wie viel ihr zu Lande von feindlichen Männern erduldet. |
460 | Aber wohlan! eßt jetzo der Speis’, und trinket des Weines,Bis ihr so frischen Mut in eure Herzen gesammelt,Als womit ihr zuerst der vaterländischen InselRauhe Gefilde verließt! Nun seid ihr entkräftet und mutlos,Und erinnert euch stets der mühsamen Irren, und niemals |
465 | Stärkt euch die Freude den Mut: ihr habt sehr vieles erlitten! Also sprach sie, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam. Und wir saßen ein ganzes Jahr von Tage zu Tage,An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.Als nun endlich das Jahr von den kreisenden Horen erfüllt ward, |
470 | Und mit dem wechselnden Mond viel Tage waren verschwunden;Da beriefen mich heimlich die lieben Gefährten, und sagten: Unglückseliger, denke nun endlich des Vaterlandes; Wenn dir das Schicksal bestimmt, lebendig wieder zu kehrenIn den hohen Palast, und deiner Väter Gefilde. |
475 | Also bewegten die Freunde mein edles Herz zum Gehorsam. Und wir saßen den ganzen Tag bis die Sonne sich neigte,An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,Legten sich meine Genossen im schattigen Hause zum Schlummer. |
480 | Und ich bestieg mit Kirke das köstlichbereitete Lager,Faßt’ ihr flehend die Knie’; und die Göttin hörte mein Flehen.Und ich redte sie an, und sprach die geflügelten Worte: Kirke, erfülle mir jetzt das Gelübde, so du gelobtest, Mich nach Hause zu senden! Mein Herz verlanget zur Heimat, |
485 | Und der übrigen Freunde, die rings mit Weinen und KlagenMeine Seele bestürmen, sobald du den Rücken nur wendest. Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort: Edler Laertiad’, erfindungsreicher Odysseus.Länger zwing’ ich euch nicht, in meinem Hause zu bleiben. |
490 | Aber ihr müßt zuvor noch eine Reise vollenden,Hin zu Aïdes’ Reich und der strengen Persephoneia,Um des thebäischen Greises Teiresias’ Seele zu fragen,Jenes blinden Propheten, mit ungeschwächtem Verstande.Ihm gab Persephoneia im Tode selber Erkenntnis; |
495 | Und er allein ist weise: die andern sind flatternde Schatten. Also sagte die Göttin; mir brach das Herz vor Betrübnis. Weinend saß ich auf Kirkes Bett, und wünschte nicht länger,Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu schauen.Als ich endlich mein Herz durch Weinen und Wälzen erleichtert; |
500 | Da antwortet’ ich ihr, und sprach die geflügelten Worte: Kirke, wer soll mich denn auf dieser Reise geleiten? Noch kein Sterblicher fuhr im schwarzen Schiffe zu Aïs. Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort: Edler Laertiad’, erfindungsreicher Odysseus, |
505 | Kümmre dich nicht so sehr um einen Führer des Schiffes!Sondern richte den Mast, und spanne die schimmernden Segel;Dann sitz ruhig, indes der Hauch des Nordes dich hintreibt!Aber bist du im Schiffe den Ocean jetzo durchsegelt,Und an dem niedern Gestad’ und den Hainen Persephoneiens, |
510 | Voll unfruchtbarer Weiden und hoher Erlen und Pappeln;Lande dort mit dem Schiff’ an des Oceans tiefem Gestrudel,Und dann gehe du selber zu Aïdes dumpfer Behausung.Wo in den Acheron sich der Pyriphlegethon stürzet,Und der Strom Kokytos, ein Arm der stygischen Wasser, |
515 | An dem Fels, wo die zween lautbrausenden Ströme sich mischen;Nahe bei diesem Orte gebiet’ ich dir, edler Odysseus,Eine Grube zu graben, von einer Ell’ ins Gevierte.Rings um die Grube geuß Sühnopfer für alle Toten:Erst von Honig und Milch, von süßem Weine das zweite, |
520 | Und das dritte von Wasser, mit weißem Mehle bestreuet.Dann gelobe flehend den Luftgebilden der Toten:Wenn du gen Ithaka kommst, eine Kuh, unfruchtbar und fehllos,In dem Palaste zu opfern, und köstliches Gut zu verbrennen,Und für Teiresias noch besonders den stattlichsten Widder |
525 | Eurer ganzen Herde, von schwarzer Farbe, zu schlachten.Hast du den herrlichen Scharen der Toten geflehet, dann opfreEinen Bock und ein Schaf von ungezeichneter Schwärze,Ihre Häupter gekehrt zum Erebos; aber du selberWende dein Antlitz zurück nach den Fluten des Stromes. Dann werden |
530 | Viele Seelen kommen der abgeschiedenen Toten.Jetzo ermahn’ und treib aufs äußerste deine Gefährten,Beide liegenden Schafe, vom grausamen Erze getötet,Abzuziehn, und ins Feuer zu werfen, und anzubetenAïdes schreckliche Macht und die strenge Persephoneia. |
535 | Aber du reiße schnell das geschliffene Schwert von der Hüfte,Setze dich hin, und laß die Luftgebilde der TotenSich dem Blute nicht nahn, bevor du Teiresias ratfragst.Und bald wird der Prophet herwandeln, o Führer der Völker,Daß er dir weissage den Weg und die Mittel der Reise, |
540 | Und wie du heimgelangst auf dem fischdurchwimmelten Meere. Also sprach sie; da kam die goldenthronende Eos. Und sie bekleidete mich mit wollichtem Mantel und Leibrock;Aber sich selber zog die Nymphe ihr Silbergewand an,Lang, anmutig und fein; und schlang um die Hüfte den schönen |
545 | Goldgetriebenen Gürtel, und schmückte das Haupt mit dem Schleier.Aber ich ging durch die Burg, und ermunterte meine Gefährten,Trat zu jeglichem Mann, und sprach die freundlichen Worte: Lieget nun nicht länger, vom süßen Schlummer umduftet! Laßt uns reisen, denn schon ermahnt mich die göttliche Kirke! |
550 | Also sprach ich, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam. Aber ich führt’ auch von dannen nicht ohne Verlust die Gefährten.Denn der Jüngste der Schar Elpenor, nicht eben besondersTapfer gegen den Feind, noch mit Verstande gesegnet,Hatte sich heimlich beiseit’ auf Kirkes heilige Wohnung, |
555 | Von der Hitze des Weins sich abzukühlen, gelagert.Jetzo vernahm er den Lärm und das rege Getümmel der Freunde;Plötzlich sprang er empor, und vergaß in seiner Betäubung,Wieder hinab die Stufen der langen Treppe zu steigen;Sondern er stürzte sich grade vom Dache hinunter; der Nacken |
560 | Brach aus seinem Gelenk, und die Seele fuhr in die Tiefe. Zu der versammelten Schar der übrigen sprach ich im Gehen: Freunde, ihr wähnt vielleicht, zur lieben heimischen InselHinzugehn; doch Kirke gebeut eine andere Reise,Hin zu Aïdes’ Reich und der strengen Persephoneia, |
565 | Um des thebäischen Greises Teiresias’ Seele zu fragen. Als sie dieses vernommen, da brach ihr Herz vor Betrübnis; Jammernd setzten sie sich in den Staub, und rauften ihr Haupthaar:Aber sie konnten ja nichts mit ihrer Klage gewinnen. Während wir nun zu dem rüstigen Schiff am Strande des Meeres |
570 | Herzlich bekümmert gingen, und viele Tränen vergießend;Ging auch Kirke dahin, und band bei dem schwärzlichen SchiffeEinen Bock und ein Schaf von ungezeichneter Schwärze,Leicht uns vorüberschlüpfend. Denn welches Sterblichen AugeMag des Unsterblichen Gang, der sich verhüllet, entdecken? |