Читать книгу Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter - Arne Burchartz - Страница 35
2.9.4 John Bowlby und die Bindungstheorie
ОглавлениеJohn Bowlby (1907–1990, englischer Psychiater und Psychoanalytiker) entwickelte aus Beobachtungen von hospitalisierten Kindern, die früh von ihren Müttern getrennt waren, die Bindungstheorie. Die vergleichbaren Forschungen von René Spitz (1887–1974, österreichisch-amerikanischer Psychoanalytiker) kamen zu ähnlichen Ergebnissen: Nach anfänglichem Protest fallen die Kinder in Gleichgültigkeit, bei länger anhaltender Deprivation stellt sich die »anaklitische Depression« ein (Bowlby 1969, 1976, 1983; Spitz 1996). Bindung ist gemäß Bowlby ein primäres biologisch angelegtes Bedürfnis. Das Bindungssystem strebt nach Sicherheit, Schutz und Geborgenheit. Ohne die Sicherstellung dieser anaklitischen Bedürfnisse kann ein Kind nicht gedeihen. Komplementär dazu besteht das Explorationssystem. Ist das Bindungsbedürfnis befriedigt, ist das Kind fähig, sich von den primären Bindungspersonen zu trennen und die soziale und dingliche Welt zu erkunden. Steigt die Angst bei der Exploration, wird das Bindungssystem aktiviert und das Kind sucht Nähe, Schutz und Trost bei den Bindungspersonen.
Bowlby erforschte zusammen mit Mary Ainsworth (1913–1999, kanadische Psychologin, ab 1950 Mitarbeiterin von Bowlby) Bindungsverhalten und Bindungsstile mittels der »fremden Situation«. Nach einer Trennungssituation von der Mutter fielen die Reaktionen des Kindes beim Wiedersehen unterschiedlich aus: freudiges Begrüßen, Ablehnung und Wut, Teilnahmslosigkeit. Aus diesen Beobachtungen erschlossen Bowlby und Ainsworth verschiedene Bindungsstile: Sichere Bindung, unsicher-ambivalente Bindung, unsicher-vermeidende Bindung und desorganisierte Bindung.
Eine sichere Bindung entsteht durch die Feinfühligkeit der Bindungsperson, mit der sie die Signale des Kindes aufnimmt und versteht und dessen Bedürfnisse in einer angemessenen Zeitspanne und passgenau befriedigt.
Bindungsstile werden als Bindungsrepräsentanzen verinnerlicht und bilden die Grundlage für die Beziehungsgestaltung des Individuums. Sie sind nicht unveränderlich, können sich je nach Entwicklungsbedingungen modifizieren und sind auch psychotherapeutisch beeinflussbar. Eine sichere Bindung ist ein wesentlicher protektiver Faktor für die Entwicklung über die gesamte Lebensspanne. Risikofaktoren für die Bindungsentwicklung sind frühe Trennungen und Verluste, Erkrankungen der Eltern, Traumatisierungen – auch solche der Eltern, sofern sie nicht bearbeitet werden konnten (Brisch 2000, S. 58 ff.).