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2.13 Triangulierung

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In den Objektbeziehungstheorien wird das Werden der Persönlichkeit in einer Zwei-Personen-Perspektive gefasst – entscheidend ist die (frühe) psycho-physische Beziehungsmatrix zwischen Mutter und Kind. Kommt dem Vater bei Freud noch eine wesentliche psychische strukturbildende Funktion zu, so entschwindet er schon bald nach ihm, übrig bleiben dyadische Muster. Entsprechendes bildet sich auch in der Entwicklungspsychologie ab. Eine gewisse Relativierung enthielt stets die Kinderpsychotherapie, hat man es doch hier zwangsläufig mit (mindestens) einer realen dritten Instanz zu tun – den Eltern.

Ernest L. Abelin, Schweizer Psychiater, Mitarbeiter der Forschungsgruppe um Margret Mahler ( Kap. 2.14, Kap. 4.2), knüpft an deren Betonung der Bedeutung des Vaters für die Separationsphase um den 18. Lebensmonat an. In Verbindung mit den Forschungsarbeiten von Jean Piaget und René Spitz entwickelt er das Konzept der Triangulierung. Es besagt, dass sich das Kind nicht allein auf die beiden Eltern gesondert bezieht, vielmehr rückt die Wahrnehmung der Eltern als liebendes Paar in den Mittelpunkt. Damit entsteht ein dreidimensionaler psychischer Raum. Das Kind erlebt sich als partiell ausgeschlossen aus der libidinösen Beziehung der Eltern untereinander. Dies verhilft dem Kind zu einer autonomen Selbstentwicklung, »aber es braucht natürlich auch vor und nach dem Ausgeschlossen-Sein von der intimen Zweisamkeit der Eltern ihren Trost« (Garstick 2019, S. 32). Damit wird eine Identifikation mit dem Dritten ermöglicht sowie die Einnahme einer reflektierenden Haltung dem Elternpaar gegenüber, ohne sich selbst aufzugeben – »eine Grundlage der Mentalisierungs- und Lernfähigkeit« (Dammasch 2008, S. 31).

Das Konzept der Triangulierung findet sich auch in den Funktionen, die Jaques Lacan dem Vater, besser der Väterlichkeit zuweist: der reale Vater, der imaginäre Vater und der symbolische Vater (Müller-Pozzi 2015, S. 314 ff.). Die »strukturale Psychoanalyse« betont die grundlegende triadische Struktur der symbolischen Ordnung, in die das Individuum und die dyadischen Beziehungen eingebettet sind (Lang 2011). Bereits vorgeburtlich besteht eine solche »strukturale Triade«. Der reale Vater ermöglicht und erzwingt von Beginn an eine andere Erfahrung des Kindes. Er tut dies in Verbindung zur Mutter, die ihn beim Kind als Dritten einführt – eine »primordiale Symbolisierung durch die Mutter«. Das führt zu Konflikten, denn der Vater begrenzt den exklusiven Besitzanspruch des Kindes auf die Mutter. Mit dem »Nein-des-Vaters« entstehen nun im Kind imaginär alle Verwicklungen des Ödipuskomplexes, die unter dem Schutz der Triade sich entfalten. Ein zweites »Nein-des-Vaters« schließlich löst den Ödipuskomplex, setzt das Inzestverbot durch und weist dem Kind seinen Platz in der Generationenfolge zu. Der symbolische Vater repräsentiert die triadische Ordnung und eröffnet damit eine gesellschaftliche Dimension: Sein doppeltes Nein ist »ein Ja des Vaters: Indem er die eine verbietet, gibt er alle anderen frei.« (Müller-Pozzi 2015, S. 323). Der symbolische Vater ist eine Funktion des realen Vaters – das unterstreicht die Notwendigkeit einer real anwesenden Väterlichkeit.

Die Triangulierung hilft dem Individuum, »Zwischenräume« zu erschaffen, wo eine individuelle Reifung möglich ist – eine aktive Auseinandersetzung mit der Welt der Objekte und Dinge anstatt einer unterwerfenden Anpassung an die psychophysischen Vorgaben eines Beziehungsobjekts. Dieser »Zwischenraum«, der sich in den äußeren Beziehungen konstelliert, wird internalisiert und bildet die Basis für stabile innere Objekte, für Trieb- und Affektrepräsentanzen und ermöglicht es dem reifenden Ich, zunehmend gekonnt zwischen Innen und Außen, zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu vermitteln und ich- und sozialverträgliche Abwehren zu bilden.

Triangulierungsprozesse verlaufen bei Jungen und Mädchen unterschiedlich. Das hängt damit zusammen, dass der Junge schon früh entdeckt, dass er anders ist und zu einem anderen werden muss als die Mutter. Seine Geschlechtsentwicklung wird ganz entscheidend geprägt durch die Präsenz des Vaters (Hopf 2014). Das Mädchen hingegen kann sich lange mit der Mutter identifizieren und braucht den Vater als erstes gegengeschlechtliches libidinöses Objekt zur nicht-inzestuösen Bestätigung seiner erotischen Weiblichkeit (Seiffge-Krenke 2017).

Für die psychodynamische Therapie mit Kindern und Jugendlichen ist die Triangulierung in dreierlei Hinsicht von Bedeutung:

Erstens ist die »triadische Kompetenz« (v. Klitzing und Bürgin 2005; v. Klitzing und Stadelmann 2011; Göttken und v. Klitzing 2015) der Eltern ein entscheidender Prädiktor für eine gelingende Kindertherapie.

Zweitens lässt sich die psychische Entwicklung anhand des Standes der Triangulierungskompetenz des Kindes beschreiben; also seiner Fähigkeit, zwischen Dyade und Triade zu changieren (sehr prägnant beschrieben in: Dammasch 2008, S. 24 ff., vgl. auch: Grieser 2011, 2015) – daraus ergeben sich Folgen für die Behandlungsplanung.

Drittens ist die Psychotherapie selbst ein Vorgang der Triangulierung: In die Eltern-Kind-Beziehung kommt ein bedeutsamer Dritter; analog zur Mutter-Vater-Kind-Triade müssen auch hier die Eltern dem Therapeuten eine innere Erlaubnis geben, diese Position einzunehmen.

Das schulenübergreifende Konzept der Triangulierung betont erneut die Väterlichkeit in der psychoanalytischen Theoriebildung. Dies hat sicher auch einen gesellschaftlichen Hintergrund: Das Fehlen von väterlicher Präsenz in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bei zunehmend in Auflösung befindlichen Beziehungsstrukturen birgt Risiken für die psychische Gesundheit; die Zunahme gewisser Störungsbilder, z. B. der Bewegungsunruhe oder narzisstischer Störungen lässt sich damit in Verbindung bringen.

Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter

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