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2.12 Relationale Psychoanalyse
ОглавлениеIn neueren Ansätzen der psychodynamischen Psychotherapien wird die Intersubjektivität betont. Besonders Harry S. Sullivan (1892–1949, amerikanischer Psychiater und Psychoanalytiker) konzipierte die Persönlichkeit des Menschen und deren Entwicklung als interpersonales Geschehen. Auch in objektbeziehungspsychologischen Ansätzen und besonders in der Selbstpsychologie wird der Mensch von seinen Beziehungen her gedacht: ein Mensch ist ohne andere Menschen nicht vorstellbar, auch die Subjektivität entspringt einer Intersubjektivität (Mertens 2011, S. 252). Damit erweitert sich die triebtheoretische Sichtweise, die freilich in der psychologischen Dialektik zwischen Subjekt und Objekt ebenfalls vertritt, dass der Mensch nicht von sich selbst heraus verstanden werden kann. Man bezeichnet diesen Perspektivwechsel in der Psychoanalyse als die »intersubjektive Wende« und die sich daraus ergebenden konzeptuellen und technischen Konsequenzen als »relationale Psychoanalyse«, als deren Begründer Stephen Mitchell (1946–2000, amerikanischer Psychoanalytiker) gilt (Mitchell 2005) ( Kap. 2.4).
Die intersubjektive Wende hat auch für die Therapie behandlungstechnische Konsequenzen. Bereits bei Otto Fenichel (1897–1946, österreichscher Psychoanalytiker) finden wir in seinem dritten Vortrag über »Probleme der psychoanalytischen Technik« folgende Bemerkungen:
»Verschiedene Analytiker benehmen sich verschieden, und diese Verschiedenheit muß das Benehmen des Patienten beeinflussen.« (Fenichel 2001, S. 78). Er sieht in einer ängstlichen Kontrolle der Gegenübertragung eine Gefahr: »Die Angst vor ihr (der Gegenübertragung) kann den Analytiker zur Unterdrückung aller menschlicher Freiheiten bei den eigenen Reaktionen führen. … Der Patient muss sich auf das »Menschsein« des Analytikers immer verlassen können.« (Fenichel 2001, S. 79).
Die Subjektivität des Analytikers ist eine Quelle eigener Übertragung auf den Patienten, auf die der Patient mit einer Gegenübertragung antwortet. »Der Analysand reagiert idiosynkratisch auf die spezifischen Eigenheiten des Analytikers« (Burchartz 2019a). So entsteht ein intersubjektiver Austausch, der zunächst unbewusst verläuft und sich nicht einfach kontrollieren lässt, zumal er sich in Bruchteilen von Sekunden mimisch, gestisch und in Stimme und Gestimmtheit vollzieht. Auch das Unbewusste des Analytikers ist diesem per definitionem nicht ohne Weiteres durchschaubar. Die psychoanalytische Arbeit besteht darin, dass zwei Subjekte sich zusammenschließen, um dieses interaktive Geschehen möglichst genau zu verstehen und auf seine Bedeutung hin zu untersuchen – vor dem Hintergrund des Lebenskontextes des Patienten. Schon Freud sprach von »Konstruktionen« in der Analyse (Freud 1937d). Psychoanalyse ist demnach nicht allein eine »Rekonstruktion« verdrängter Inhalte, sondern eine »Konstruktion« eines neuen Bedeutungszusammenhangs. Das gilt auch für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, wobei hier als Medium des Austausches besonders bei Kindern weniger die Sprache als vielmehr das Spiel zur Geltung kommt. In der »intersubjektiven Matrix« ereignen sich Begegnungen des »Sich-ineinander-Hineinversetzens«, in denen eine intensive und spontane Einsicht beider Beteiligten entsteht, ein »Gegenwartsmoment« (Stern 2018 [2005], S. 88 ff.).
Ähnlich beschreibt der italienische Analytiker Antonio Ferro die psychoanalytische Situation als Feld, in dem sich wechselseitige projektive Identifizierungen ereignen. Dieses Feld gilt es gemeinsam zu erkunden. Ferro bezeichnet das, was sich in einer analytischen Sitzung unbewusst und bewusst konstelliert, als »Figuren«. Anknüpfend an Bion schreibt Ferro: »Das Ziel des analytischen Paares … besteht im Wesentlichen darin, die Gefühle, von denen beide erfüllt sind, mitzuteilen (im Allgemeinen, jedoch nicht ausschließlich, durch Worte). Die Figuren werden häufig in dieser Situation der Begegnung und durch die Begegnung dieser beiden psychischen Apparate ›erschaffen‹« (Ferro 2003, S. 27). Der Therapeut steht also nicht außerhalb des Feldes, er ist Subjekt eines gemeinsamen Narrativs. »Ich verstehe unter Narration jenes Vorgehen des Analytikers während der Therapie, in dem er ganz und gar dialogisch und ohne besondere, durch Deutungen gesetzte Zäsuren gemeinsam mit dem Patienten ›einen Sinn konstruiert‹« (Ferro 2009, S. 10). Damit ist ein Anschluss an den Konstruktivismus hergestellt (Freud 1937d).