Читать книгу Die Sklavenmädchen von Wiesbaden - Arne Hoffmann - Страница 11
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Frank Silbig war wieder allein. Kerk hatte ihn mit einigen freundlichen, aber zugleich inhaltsleeren Worten vertröstet und ihm zu verstehen gegeben, dass das Warten sich lohnen würde. Wobei das nackte Mädchen offenbar eine Art Köder dargestellt hatte. Ein Köder, der funktioniert hatte, wie Silbig innerlich zugab.
Es war inzwischen nicht nur reine Neugierde, die ihn dazu bewog zu bleiben.
Silbig versuchte, seine herumrasenden Gedanken abzulenken, indem er sich in ein herumliegendes »ef-Magazin« vertiefte, offenkundig eine Zeitschrift für Libertäre und Neoliberale. Gerade hatte ein Artikel Naomi Braun-Ferenczis über die Zwangsprostitution seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als Silbig durch ein Klopfen an der Tür schon wieder aufgeschreckt wurde. »Ja bitte?« fragte er und sah auf. Ein weiteres Mädchen trat ein, bekleidet diesmal, wenn auch nur mit engen, knappen Shorts und einer praktisch durchsichtigen Bluse. »Martin Thum«, flüsterte sie.
Dann trat er in den Raum. Es wirkte, als würde er das Zimmer allein durch seine Gegenwart augenblicklich in Besitz nehmen. Ihm folgte ein hochgewachsener Mann mit einer Schlägervisage.
»Thum«, stellte er sich vor, reichte Silbig seine fleischige Hand, drückte ebenso kurz wie fest zu. »Sorry, ich wurde aufgehalten. Was Geschäftliches.« Eine rasche Kopfbewegung in Richtung seines Begleiters: »Das ist Bruno. Meine Rechtsabteilung.«
»Herr Thum. Bruno.« Silbig neigte zur Begrüßung den Kopf und lächelte. Die beiden Männer blieben ernst. Thum führte seinen Gast zurück an den Schreibtisch.
Silbig wusste nicht ganz, wie er beginnen sollte. Wie eröffnete man das Gespräch mit einem Mafioso? »Hallo, wie geht es Ihnen? Jemand Interessantes erschossen heute?« Angestrengt suchte er nach den richtigen Worten, während er sich bemühte, nach außen hin locker zu wirken.
Glücklicherweise nahm ihn Thum die Mühe eines Vorgeplänkels auf sehr direkte Art ab. »Sie wissen, weshalb ich Sie habe hierher kommen lassen?« begann er ohne Umschweife. Er schien nicht gerade in bester Laune zu sein.
»Im Groben ja. Ich habe gerade auch noch einmal mit Ihrem Mitarbeiter, Herrn Kerk, gesprochen. Sie möchten, dass wir uns um ein Buchmanuskript von Ihnen kümmern.«
»Genau, ja. Ghostwriting, lektorieren, verlagsfertig machen, den großen Verlagen anbieten. Was Ihre Agentur eben so tut. Alles auf der Grundlage von meinen Vorgaben natürlich.«
Silbig hatte seine Akten wieder aus dem Koffer gezogen. »Da haben wir es ja … Und der Titel soll tatsächlich …?«
»›Über das Verrecken‹, genau.«
Silbig hüstelte. »Das ist ein bisschen ungewöhnlich. Den einen oder anderen Verleger könnte diese Deutlichkeit vielleicht abschrecken.«
Thum schnaubte. »Das wäre in dieser Branche das erste Mal. Außerdem beschreibt der Titel am deutlichsten, worum es in meinem Buch geht.«
Silbig begann zu blättern. »Und das wäre Ihre Rolle …«
»… im Wiesbadener Geschäftsleben. Genau, ja.«
»Das ist …« – Silbig rang nach den richtigen Worten – »… in einigen Geschäftsbereichen natürlich auch eine etwas delikate Angelegenheit.«
Ein missmutiges Grunzen. »Hören Sie mal, ja? Ich war und bin mit allem, was ich mache, sehr erfolgreich. Das ist es, was hier zählt. Der Markt kennt keine Moral, keine Unterscheidung in gesellschaftlich wertvoll oder schädlich. Er kennt nur Angebot und Nachfrage, Gewinner und Verlierer. Eigenverantwortung und Wettbewerb – das ist es, was zählt!«
Silbig schluckte. Wie sollte er dem Mafiapaten von Wiesbaden diplomatisch beibringen, dass er modernen Sklavenhandel und brutale Gewalt gegen Menschen irgendwie problematisch fand? »Sie bringen Leute um«, wandte er schließlich schüchtern ein. Er hoffte, dass das nicht allzu vorwurfsvoll oder naseweis klang.
Thum verdrehte die Augen. Er wirkte wie jemand, der sich gerade fragte, wie er diesem Jüngelchen diplomatisch beibringen sollte, dass hier in Wiesbaden die Uhren etwas anders tickten als im Rest des Landes. »Haben sie schon mal etwas von ›Survival of the fittest‹ gehört? Das Überleben der Tüchtigsten? Das Kroppzeug wird ausgejätet, und zum Schluss hat man eine Gesellschaft von Menschen, die wirklich in der Lage sind, sich zu behaupten und die Welt voranzubringen. Ich versichere Ihnen, es hat, seit ich hier in Wiesbaden etwas zu sagen habe, kein einziges Mal Fälle von unnötiger Gewalt gegeben. Wenn wir in dieser Hinsicht aktiv wurden, dann nur, wenn wir uns zur Wehr setzen mussten, wenn es Profit brachte, oder wenn uns jemand dabei im Wege stand. In solchen Fällen wird er natürlich weggeputzt, das ist klar.«
Silbig rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. »Verstehen Sie meine Einwände bitte nicht als Kritik. Aber es ist ja auch so, dass wir, also wenn wir das Manuskript anbieten, müssen wir uns ja auf Einwände, die zu erwarten sind, da müssen wir uns schon irgendwie drauf vorbereiten. Viele deutsche Verlage beurteilen Morde, Schutzgelderpressungen und Drogengeschäfte immer noch ein bisschen ungnädig. Dann heißt es oft schnell: Das ist gegen das Gesetz … Oder wir fangen uns die Kritik ein, wir würden mit diesem Titel PR für eine kriminelle Vereinigung betreiben.«
»Und das ist genau der Zahn, den wir den Leuten mit diesem Buch ziehen wollen!« Thum schlug mit der Pranke auf seinen Schreibtisch. »Das ist ein völlig falscher Blickwinkel! Der Grundirrtum ist, dass der Staat sich immer noch in das reinhängen will, was eigentlich Sache der Wirtschaft wäre. Wir sind keine kriminelle Vereinigung. Wir akzeptieren nur einfach diese ständige Einmischung nicht. Wir sind autark! Und als autonome, außerstaatliche Gesellschaftsform haben wir natürlich unsere eigenen Regeln, die andernfalls der Staat übernehmen würde. Sie sagen: Wir bringen Leute um. Das ist nichts anderes als unsere Form der Todesstrafe. Würden Sie die USA als eine kriminelle Vereinigung bezeichnen?« Er sprach jetzt schneller, redete sich ein wenig in Rage. »Wir handeln mit Drogen, sagen Sie. Was ist mit der staatlichen Tabaksteuer? Wir wollen eine finanzielle Entlohnung dafür haben, dass von uns betreute Einzelhändler in Ruhe ihrem Geschäft nachgehen können, dass ihnen nichts passiert – auch nicht durch Leute, die mit unserer Organisation gar nichts zu tun haben. Das nennen Sie Schutzgelderpressung. Und wir haben unser Schweigegebot, die Omerta, das ist unsere Form des Datenschutzes. Aber wir nutzen auch der Gesamtgesellschaft. Etliche Menschen, die auf dem offiziellen Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben, kommen bei uns unter, bis hin zu hoch ausgebildetem Fachpersonal. Chemiker, Chemiefacharbeiter, Apotheker und Pharmazeuten, die sonst auf der Straße säßen, werden von uns engagiert, um neue Genuss- und Aufputschmittel zu erzeugen. Den Gewinn, den wir damit machen, lassen wir auf einem Weg, den unsere Kritiker Geldwäsche nennen, wieder in die Wirtschaft fließen, gründen kleine Unternehmen, bauen sie aus, kurbeln so den allgemeinen Wohlstand an. Das wird vom Durchschnittsbürger bis jetzt alles noch gar nicht gesehen! Aber genau darum geht es mir! Jeder darf uns kritisieren, natürlich, das ist ein freies Land. Aber viele Leute hacken auf uns herum, die zu anderen, ebenso üblen Zuständen die Klappe halten. Und unser Standpunkt kommt in den Medien so gut wie überhaupt nicht vor! Ich möchte, dass wir das ändern. Ich will, dass wir all diese Fakten in unserem Buch rüberbringen.«
Silbig wusste einen Moment lang nicht, was er erwidern sollte.
»Falls Sie mit im Boot sind«, ergänzte Thum. »Aber deswegen sprechen wir ja gerade miteinander. Soll ich Ihnen sonst noch irgend etwas erklären?« Er warf einen missmutigen Blick auf seine Uhr. »Oder haben Sie sich schon entschieden? Kann ich auf Ihre Unterstützung zählen?«