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Marterpfahl Verlag …

Silbig saß in seinem Büro und begutachtete immer noch Thums Exposé. Hinter den Fenstern der Agentur glühte weiterhin erbarmungslos die Junisonne. Das in einigen Wettervorhersagen angekündigte Abendgewitter war ausgeblieben. Tatsächlich sollte es in den nächsten Tagen noch heißer werden. Die Nachrichten im Radio begannen. Offenbar als Teil der ersten Wahlkampfphase des Jahres hatte der Grüne Volker Beck dem Unionspolitiker Schöhnbohm vorgeworfen, die CDU wolle eine Polizei mit Gestapo-Befugnissen. Derweil stritt sich Schröder mit Blair über die Europäische Union.

Silbig bekam kaum etwas davon mit, konnte sich nicht einmal auf die Ausführungen des Paten so richtig konzentrieren. Er war gedanklich von seinem Gewissenskonflikt vollkommen in Anspruch genommen.

Einerseits konnte er das wirklich nicht bringen. Thums Darlegungen konnte man nicht als bloße Lebensbeichte abtun. Derlei Bücher waren auch von Mafiosi bereits erschienen und hatten zu keinerlei ethischen Überlegungen Anlass gegeben. Das Problem war, dass Thum regelrecht Reklame für seine Beschäftigungsform machte, dem potentiellen Zuhälternachwuchs echte Tipps gab und so weiter.

Andererseits war es schon eine gewaltige Verlockung, bei Marterpfahl einsteigen zu können. Das war vermutlich der deutsche Avantgarde-Verlag, so wie damals Olympia Press im Paris der fünfziger Jahre. Etliche hoffnungsvolle Autoren versuchten verzweifelt, ihre Manuskripte dort unterzubekommen, aber es gelang nur den wenigsten. Dies nicht zuletzt, weil der alte Happ es sich immer noch nicht nehmen ließ, sich höchstpersönlich und mit höchsten Ansprüchen selbst um jedes Projekt von der Begutachtung bis zur Drucklegung zu kümmern – wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, den Efeu seiner wildumrankten Villa bei Tübingen zu beschneiden. Es hätte das Renommee ihrer Agentur schon außerordentlich gesteigert, wenn sie dort einen Fuß in die Tür bekommen würden, das war Silbig klar.

Endlich sah er ein, dass er heute ohnehin nichts mehr zuwege bringen würde, schob die bedruckten Seiten zusammen, schaltete das Radio aus und machte sich auf den Weg.

Er kam an Sabines Büro vorbei und warf einen Blick hinein. Seine begehrenswerte Kollegin gehörte ebenfalls zu denen, die abends länger durchhielten. Sie hämmerte gerade irgend etwas in die Tastatur ihres PCs. Silbig klopfte kurz an ihre Tür. »Ich geh jetzt, mach’s gut.« – »Tschüss«, erwiderte sie und hob kurz die Hand zum Gruß, ohne von ihrem Bildschirm aufzusehen.

Einmal abgeblitzt, immer abgeblitzt. Musste diese Frau mit diesem Traumkörper ausgerechnet wenige Zimmer neben seinem arbeiten!? Musste sie ihn praktisch komplett ignorieren? Wie immer in letzter Zeit mischte sich in Silbigs hoffnungsloses Begehren inzwischen auch ein gerüttelt Maß an Aggression.

Er verließ die Agentur und ging zu seinem Wagen. Manchmal versuchte er, Sabines Anblick in seinem Kopf zu behalten, bis er zu Hause war und es sich bequem machen konnte. Diesmal gelang es ihm nicht, weil sich wieder sein innerer Zwiespalt davor schob.

Marterpfahl! hämmerte es in seinem Kopf. Und dann wieder: Wiesbaden! Die Stadt, von der es hieß, sie würde jeden unweigerlich verschlingen. Mancher stellte fest, dass er zwar irgendwie aus Wiesbaden herauskam, aber Wiesbaden nie wieder aus ihm. Und Silbig hätte sich als Ghostwriter und Lektor nicht mit irgendwelchen Randbereichen der Stadt beschäftigen müssen, sondern direkt mit ihrem finsteren Herzen. Mit Drogengeschäften, Menschenhandel und Zwangsprostitution. Wie würde er damit umgehen? Silbig musste an die Worte von Nietzsche denken: Wenn immer du in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

Ob er nicht doch besser die Finger davon lassen sollte?

Die Sklavenmädchen von Wiesbaden

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