Читать книгу Die Sklavenmädchen von Wiesbaden - Arne Hoffmann - Страница 15
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Silbig war in die Agentur zurückgekehrt. Deren Chef und Gründer Christian Teuerzeit, ein dynamischer Aufsteigertyp Ende 30, saß ihm am Schreibtisch gegenüber wie am Vormittag noch Kerk selbst Thum an einem anderen Schreibtisch in einer anderen Stadt, hatte die Ärmel hochgekrempelt wie immer und hörte sich Silbigs Bericht an, während er einen Kuli zwischen den Fingern herumwirbelte.
»Das war das verrückteste Gespräch, das ich jemals geführt habe! Und für den schien das alles völlig sinnvoll und verständlich zu sein«, schilderte Silbig gerade die Ausführungen des Paten und stellte fest, dass er immer noch aufgebracht war. »Als ob das alles feststehende Fakten wären und das einzige Problem sei, sie den Leuten richtig zu vermitteln. Ganz normales Tagesgeschäft, das leider unter einem schlechten Image leidet! Und ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte. Mein Gott, der Kerl macht seine Kohle schwerpunktmäßig mit Drogendeals, weißem Sklavenhandel, Vergewaltigung und Zuhälterei.«
Teuerzeit seufzte. »Ich denke, für Thum ist das Alltagsgeschäft. Wir wussten beide, dass Wiesbaden ein kleiner Kulturschock für Sie werden würde …«
»Oh bitte! Wir können doch dieses Thema nicht unter dem Blickpunkt Kulturrelativismus abhandeln!«
»Warum nicht? Wir arrangieren uns doch sonst mit aller möglichen Unbill, ohne groß darüber nachzudenken. Einer der weltweit führenden Sportschuhfabrikanten hat Zuliefererfirmen, in denen die Arbeiter und Arbeiterinnen 16-Stunden-Schichten fahren müssen, mit Amphetaminen auf den Beinen gehalten werden und für jedes Gähnen ein Strafgeld zahlen müssen. Moderne Sklavenhaltung, und das tut seinem Umsatz hierzulande nicht den geringsten Abbruch. Politisch kuscheln wir mit Ländern wie Russland oder China, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Wir sind Verbündete der USA, und die wiederum von Diktaturen wie Saudi-Arabien. In einer moralisch unperfekten Welt kann es doch gar nicht gelingen, selbst eine blütenweiß saubere Weste zu behalten.«
Silbig schnaubte. »Aber es gibt Grenzen! Wir können uns doch nicht allen Ernstes von der Mafia anheuern lassen!«
Teuerzeit blieb besonnen und ruhig. »Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie sich an irgendwelchen Verbrechen beteiligen. Sie sollen nur darüber berichten. Von außen. Wie es Journalistenpflicht ist. Wie wenn einer in den Kongo fährt oder zu den israelischen Siedlern im Hebron. Ohne uns mit diesen Leuten gemein zu machen.«
»Das ist doch lächerlich! Wir sollen Ghostwriter für ein Buch sein, das Reklame für dieses Verbrechertum darstellt. Thum wird derjenige sein, der seinen Namen auf das Manuskript setzt, also wird er auch bestimmen, was drinsteht.«
Teuerzeit ließ den Stift auf die Schreibtischplatte fallen und lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück. »Aber wir wissen doch gar nicht, wie das MS überhaupt aussehen wird. Nach dem, was uns als Exposé vorliegt, soll es eine reine Biographie werden. Der Mann wird sich wohl kaum damit brüsten, wie viele Mädchen er zum Anschaffen zwingt und wie viele Leute er wöchentlich umnieten lässt. Dann kann er auch gleich bei der Staatsanwaltschaft vorbeifahren und sich festnehmen lassen.«
»Ach!« Silbig machte eine unwillige Handbewegung. »Als ob die sich ernsthaft um ihn kümmern würden. In Wiesbaden! Haben Sie mal Jürgen Roth gelesen? ›Ermitteln verboten‹? ›Warum die Polizei den Kampf gegen die Kriminalität aufgegeben hat‹? Leute wie dieser Thum haben Politiker und Staatsanwälte doch schon längst in der Tasche. Jetzt geht es ihnen nur noch um die öffentliche Meinung. Müssen wir uns da zu ihren Handlagern machen?«
Es klopfte kurz an der offenen Tür des Raumes, und Sabine trat ein. Sie war Silbigs Kollegin, ein paar Jahre jünger als er, schlank, rothaarig und verdammt gutaussehend. Tatsächlich war sie, seit er vor einem halben Jahr in Teuerzeits Agentur begonnen hatte, ein Brennpunkt all seiner Tagträume. Ihr bloßer Anblick ließ ihm das Herz stocken. Gleichzeitig schweiften ihre Blicke so uninteressiert über ihn hinweg wie über ein Büromöbel. Einmal hatte er, halbherzig und schüchtern, einen Annäherungsversuch unternommen, aber den hatte sie so schnell und gekonnt geblockt, dass er sich nicht einmal sicher war, ob sie ihn überhaupt richtig wahrgenommen hatte. Und auch jetzt, als sie Teuerzeit die angeforderten Unterlagen reichte … Er hätte direkt auf sie springen, sie zu Boden werfen und durchnageln können.
Großer Gott, sagte er innerlich zu sich selbst, er war notgeiler als je zuvor! Das ging ihm schon den halben Tag so. Kaum zu fassen: Einmal in Wiesbaden gewesen, und er dachte nur noch ans Ficken! Diese Stadt besaß ein abartiges Flair, das die Leute ganz kirre machte.
Teuerzeit bedankte sich bei Sabine, die daraufhin den Raum verließ, ohne ihren Kollegen eines Blickes zu würdigen. Gedankenverloren durchblätterte Teuerzeit verschiedene Schreiben.
»Es wäre wirklich sehr schade«, sagte er. »Wie Sie wissen, habe ich den Markt ja schon mal ein bisschen abklopfen lassen. Das Interesse an einer Art Lebensbeichte des Paten von Wiesbaden ist groß. Das könnte für unsere Agentur der Durchbruch sein. Nicht nur wegen unserer Provision, auch von der Wahrnehmung her. Ein Treffer zieht weitere nach sich. Dauert nicht lange, und wir stehen auf einer Ebene mit Eggers und Landwehr oder Thomas Schlück.«
Silbig räusperte sich. »Ich denke, da setzen Sie etwas viel Vertrauen in ein einzelnes, noch dazu so anrüchiges Manuskript.«
»Sagen Sie das nicht. Wir haben hier schon Anfragen von den Größten der Branche. Random-House-Bertelsmann, die Verlagsgruppe Ullstein, Eichborn … Sogar mit Übersee habe ich ein paar erste Kontakte angebahnt. Simon und Shuster aus New York beispielsweise, und eventuell Knopf! Wenn wir da eine Lizenzausgabe durchsetzen könnten, wäre das natürlich der Hammer.«
Silbig konnte Teuerzeits Erregung nicht ganz teilen. »Na ja, ich weiß nicht …«, sagte er müde.
Teuerzeit blätterte weiter. »Ganz unterschiedliche Verlage sind das hier … Sogar Marterpfahl signalisiert vorsichtige Neugierde.«
Von einer Sekunde zur anderen durchfuhr es Silbig wie ein Blitz. Augenblicklich war er wieder hellwach. Er beugte sich vor. »Sie meinen … Happ ist interessiert …??«