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Auf der Suche nach Bruno Wannsee, im April 2015

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Dass ein Garten so üppig blühen konnte – überall Tulpen und Osterglocken und ein großer alter Kirschbaum, dessen Äste vor lauter Blüten kaum zu sehen waren. Und dann die Wärme! Mit einem Mal gingen die Berliner Frauen in dünnen flatternden Kleidern umher, mit nackten Armen und Beinen.

Ich stand am Gartentor mit dem eisernen Türgriff in der Hand, der von der Sonne erwärmt war. Der Schotterweg, der zum Haus führte, war frisch geharkt, ein weiß gekalktes Haus, die Wände mit wildem Wein bewachsen. Einen Moment lang hielt ich inne. Es war, als würde der Kirschbaum klingen, als säße dort jemand und ließe den Bogen über ein Cello gleiten, nur ganz leicht über eine der Saiten. Wie wenn es auf unserer Insel die Bienen zu den Kirschbäumen zieht und Lech sagt: Jetzt singen unsere Bäume.

Ich öffnete das Tor und ging zum Haus hinauf. Die Tür war blau gestrichen, als hätte sie die Farbe vom Himmel entliehen. Ich drückte auf die Klingel. Es ertönte ein Dreiklang, ein Klang in Dur hätte Vater gesagt, der das absolute Gehör besaß. Eine kleine, rundliche Frau öffnete, gekleidet in ein taubengraues Leinenkleid. Auch ihr Haar war grau, langes, geflochtenes graues Haar, das sie als Kranz um den Kopf gelegt hatte. Ihr Gesicht wirkte glatt. Erst als das Licht darauf fiel, wurde ein Netz feiner Falten sichtbar. Sie lächelte, als ich meinen Namen sagte, und wir gaben uns die Hand. Ihre Hand war warm, hatte einen festen, freundlichen Griff. Und sie sagte ihren Namen mit klingender Stimme: Sabine Grünhoff.

Sie würde Hannes holen, sagte sie. Er befände sich in der Werkstatt, obwohl Sonntag war. Er konnte nicht anders. Ob ich einen Moment auf der Terrasse Platz nehmen wollte? Ich fragte, ob ich sie nicht begleiten könnte. Werkstätten fand ich immer verlockend. Und so gingen wir zusammen hin.

Es war eine große, helle Werkstatt, nach Malerfarbe und Holz duftend. An der Arbeitsbank stand Hannes D. M. Grünhoff, der einst Dmitri H. Michailowitsch Fjodorow hieß: ein großer, breiter Mann im langen weißen Kittel wie ein Doktor. Seine Unterschenkel waren nackt und bleich, um die Knöchel ein Netz blau schimmernder Venen. Die Füße steckten in schwarzen Holzpantoffeln. Das Gesicht war rund und rosig, das Haar weiß gelockt. Doch was den Blick an ihm am meisten anzog, waren seine braunen Augen: Sie strahlten hinter der Brille wie die eines glücklich Verliebten.

Er war dabei, die Teile für einen Stuhl zu schleifen. Denn Stühle seien seine Spezialität, sagte er, selbst wenn er auch Tische und Schränke gemacht habe. Doch Stühle zu bauen wäre das Schönste überhaupt. Und zugleich das Schwierigste: einen Stuhl anzufertigen, der den Menschen trägt, sodass er seinen Körper vergisst und sich dem widmen kann, was ihn vom Tier unterscheidet, dem Denken. Fantasie – wenn sie frei sein soll – erfordert einen guten Stuhl. Und es ist in der Tat eine Kunst, einen solchen zu bauen. Es hatte ihn viele Jahre gekostet, das zu erlernen. Und jetzt konnte er es einfach nicht lassen, obwohl er schon dreiundachtzig und seit Langem in Rente war.

Er zeigte mir die Werkstatt, die unterschiedlichen Holzsorten, die Leinölfarben und Werkzeuge. Das Holz sei das Wichtigste, sagte er, Holz zu finden, das sich formen lässt und das nicht müde wird, die Schwere des Menschen zu tragen, auch nicht nach Jahrhunderten. Bei Stradivaris Geigen hatte er gelesen, dass sie aus Ahornholz gebaut waren, mit einer Dichte, die alles übertraf. Und dass es dieses Ahornholz in den Bergen des Balkans gab. Die dortigen Winter mit ihren eisigen Stürmen und die Sommer mit ihrer brennenden Hitze bewirkten, dass die Bäume nur langsam wuchsen, mit ungewöhnlich starkem Holz. Holz, das auch für seine Stühle passen könnte. Denn war es nicht schließlich so, dass Geigen und Stühle zusammengehörten? Beide befreiten den Menschen von seiner Schwere.

Wir nahmen auf der Terrasse auf Ahornstühlen Platz, gestrichen mit hellgrüner Leinölfarbe, es war genau die Farbe, sagte Grünhoff, die das Ahornlaub der Karpaten im Frühjahr zeigte. Er saß mir gegenüber, in weißem Leinenhemd und beigefarbenen Shorts, zwischen uns ein Tisch, gestrichen in derselben hellgrünen Farbe. Neben ihm saß seine Frau. Sie wollte seine Geschichte gern hören, sagte sie, obgleich sie sie schon früher vernommen hatte. Wie zu dem Zeitpunkt, als meine Mutter vor einer Reihe von Jahren zu ihnen gekommen war.

Mutter hatte erwähnt, dass sie Witwe war. Vater war im Dezember 2002 gestorben, Mutter im November 2007. Also musste sie irgendwann in diesen fünf Jahren hier gewesen sein. Es regnete, als sie kam, sagte Grünhoff, ein gewaltiger Regen, als wollte eine Sintflut Berlin ertränken. Als Mutter vor seiner Tür stand, dachte er, sie sähe aus wie jemand, der in Noahs Arche keinen Platz bekommen hatte. Also sah er sich gezwungen, ihr Tee mit Rum anzubieten. Und seinen schönsten Sitzplatz, einen Stuhl aus transsylvanischem Ahorn.

Ich fragte, ob Mutter mich erwähnt hatte. Grünhoff sah das vor ihm stehende Glas an, eins der drei Gläser, die seine Frau auf den Tisch gestellt hatte, gefüllt mit Berliner Weiße, einem hellen kalten Bier, gewürzt mit Waldmeister, der es grün schimmern ließ. Nein, sagte er nach einer Weile, sie sprach nur von Bruno. Er erinnerte sich genau, dass sie gesagt hatte, er wäre der letzte Mensch, den sie, falls er also am Leben war, noch hatte.

»Wir sollten das Bier jetzt trinken«, sagte Grünhoffs Frau. Und Grünhoff hob sein Glas und rief: »Prost!« Ich nahm einen Schluck. Es schmeckte gut. Ich dachte an Mutter, die als Kind in Ostpreußens Wäldern Waldmeister gepflückt hatte, große Büschel blühenden Waldmeisters, aus denen Großmutter Sirup kochte. Sirup, der der Bowle Duft und Geschmack verlieh, die auf den samstäglichen Abendgesellschaften in Mutters Elternhaus serviert wurde, einem großen weißen alten Gutshaus ein Stück vor Pieniȩżno, das damals Mehlsack hieß. Die Bowle kam auf den Tisch, wenn der Tanz begann, eine grün schimmernde Bowle, mit der sich Großvater erfrischte, nachdem er die schönsten Frauen Mehlsacks in seinen Armen herumgewirbelt hatte, so lange, bis sie seine Ansicht teilten: dass die Menschen füreinander geschaffen waren, ganz besonders sie und er.

Ich zog das Bild von Chopin aus meiner Tasche. Grünhoff sagte, er ähnele Bruno, nur sei Bruno magerer gewesen.

Hatte Grünhoff vielleicht Bilder von Bruno?

»Kein einziges«, sagte er, »auch keins von Dinu.«

»Wer war Dinu?«

»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Grünhoff.

Ich sagte: »Ich habe alle Zeit der Welt.«

»Die hatte Ihre Mutter nicht«, sagte Grünhoff. »Sie wollte nur von Bruno reden hören.«

Ich sagte, ich wolle alles hören.

Er fragte: »Die ganze Geschichte meines Lebens?«

Ich antwortete: »Ja.«

Goodbye, Bukarest

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