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Auf der Insel, 9. November 2014

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Das Festland ist nicht zu sehen, nur Nebel, als wäre die Insel weit fortgetrieben. Kälte dringt durch Mark und Bein. Wäre Lech doch hier und würde mich in seinen Armen wärmen.

Einmal – es war im letzten Sommer, als wir gerade aufgewacht waren – sagte er, es gäbe Tage, in die man sich stürze wie in die Arme seiner Geliebten: Tage, an denen alles einen Glanz besaß. Dann gibt es die anderen Tage. Über die aber sprach er nicht, ich auch nicht, damals nicht. Tage, die, wie Lars Gustafsson schrieb, gleich einer Nadelspitze sind. Und »auf dieser Nadelspitze leben wir, wie die Engel«, die fallenden Engel, die »am Kometenschweif ihres langen Haares« in die Tiefe stürzen.

Heute ist so ein Nadelspitzentag. Und diese Nadelspitze ist zu spüren. Lech ist wieder ins Krankenhaus gekommen. Es hatte angefangen, als wir nach Bukarest fahren wollten. Er bekam eine Lungenentzündung. Das geschieht schnell, wenn man COPD hat. Als Ärztin weiß ich das, ich weiß mehr, als ich manchmal wissen will. Auch, dass das Schlimmste passieren kann, wenn man Lungenentzündung und zugleich COPD hat. Es gibt ein Wissen, das wie eine Nadelspitze im Herzen ist.

Gestern saß ich an seinem Krankenbett. Er schlief die meiste Zeit, eine Sauerstoffmaske über Nase und Mund. Als ich seine Hand streichelte, war die heiß. Oder wie sein Arzt sagte: Das Fieber tobt in seinem Körper. Ich musste an einen meiner Patienten denken, einen alten Priester, der lebensgefährlich erkrankt war. Er sagte mit kaum vernehmbarer Stimme, es sei wichtig, die Kategorie des Jubels lebendig zu erhalten. Ich hätte ihn fragen sollen, wie man das macht.

Hätte Lech nicht mit drei anderen Patienten im Zimmer gelegen, wäre ich dortgeblieben. Nun war ich gezwungen, ihn zu verlassen. Es war dunkel, als ich nach Hause fuhr. Kurz vor Råby graste ein Rudel Damhirsche neben der Straße, im Scheinwerferlicht leuchteten ihre Augen rot. Wie das Ewige Licht in der Kirche meiner Kindheit, das stets brannte, dank Alois, dem kleinen rundlichen Pfarrer, der Vaters Freund war. Allmorgendlich füllte er das Öl in der roten Lampe nach. Wie Lech einmal zu mir gesagt hatte: Es sind wir Menschen, die Ewigkeiten füreinander schaffen.

Ich bog von der Straße ab in die Allee. Bei den Briefkästen an der Brücke hielt ich an. Ich hatte einen Brief bekommen, von der rumänischen Fluggesellschaft TAROM. Ich legte ihn auf den Beifahrersitz und fuhr über die Brücke zu unserem Haus. Die Fenster waren dunkel, kein Laut war zu hören. Als ich aus dem Wagen stieg, fühlte ich mich wie die Letzte eines vertriebenen Volkes.

Das Erste, was ich beim Betreten des Hauses sah, war Lechs Pullover. Er lag auf dem Stuhl in der Diele, als hätte er ihn gerade dort abgelegt. Ich berührte ihn, als könnte mir das helfen, und ging ins Schreibzimmer. Dort legte ich den Brief auf den Schreibtisch, ungeöffnet. Wie soll man einen Brief, der alles entscheidet, an einem Nadelspitzentag lesen können?

Stattdessen streckte ich mich im Wohnzimmer auf dem Sofa aus, auf dem mit dem Wolfspelz, einem großen, schönen Wolfspelz. Lech hatte ihn auf einer Auktion für mich erstanden. Noch bevor ich erfahren hatte, wem Großvater seinen Wolfspelz umgelegt hatte. In meiner Kindheit hatte er ihn mir umgelegt. Und gesagt, nun könne mich keine Kälte der Welt mehr treffen. Vielleicht hat er das auch zu der anderen gesagt. Doch sagte er nie das, was Mutter sagte: dass Wölfe nie verstummen, nicht einmal, wenn sie zu Pelzen geworden sind. Erst, wenn sie auch das Letzte vom Menschen verschlungen haben, sein zitterndes Herz.

Ich fühlte die Müdigkeit bleischwer kommen. All diese unruhigen Nächte, in denen die Geräusche, die selbstverständlich waren, fehlten: Lechs Atemzüge, dicht neben mir.

Goodbye, Bukarest

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